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Alle Jahre wieder - Zum 60. Jahrestag: Eröffnung des bundesweiten Gedenkmarathons in Dresden

Der 13. Februar steht vor der Tür und wieder werden sich tausende Bürger und Nazis zu einem kollektiven "Trauermob" vor der Dresdner Frauenkirche versammeln. Trauer über den Verlust von Verwandten und Bekannten, die den Betroffenen nicht abgesprochen werden kann, treibt allerdings die Allerwenigsten an diesem Tag auf die Strasse. Das dürfte allen klar sein, die den Veranstaltungen zum Gedenken an die Dresdner Opfer schon einmal beigewohnt haben und über die geschichtliche Entwicklung dieses Tages in Dresden informiert sind. Vielmehr handelt es sich um ein eindeutig politisches Statement mit fast schon religiösem Charakter: in einer kollektiven Zeremonie stellen sich die Dresdner, in Vertretung für das restliche Deutschland, als Opfer der Alliierten dar. Objektive historische Fakten werden abgelehnt, der Fokus wird auf emotional-subjektive Leidensgeschichten gelegt; man will nicht wissen sondern glauben. Die Deutschen reihen sich ein unter die Opfer des zweiten Weltkrieges. Bevorzugt erinnert man sich an "Fronterfahrung, Flucht und sogenannten Bombenkrieg" ("Viktimisierung der Deutschen", Phase 2.10, Dezember 2003)

Diese Interpretation der Geschichte spart Ursachen und Kontext, der den Luftangriff auf Dresden notwendig machte, vollkommen aus. Ausgeklammert werden die Verbrechen der Deutschen: der Vernichtungskrieg im Osten, die Versklavung von Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien zu Zwangsarbeit, die oft mit dem Tod endete. Ausgeklammert wird die Ermordung von körperlich und geistig Behinderten Menschen, Sinti und Roma, Homosexuellen, und natürlich allen Menschen, die versuchten, Widerstand zu leisten. Der industrielle Massenmord durch die Deutschen fand seinen Höhepunkt in der Shoah, der Ermordung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden.

Die deutsche TäterInnenschaft verschwindet in einer allgemeinen Geschichte des Leidens. Das historische Geschehen so relativiert, steht der deutsche Landser in einer Reihe mit dem jüdischen Kind, das in der Sowjetunion erschossen wurde, mit den Insassen deutscher Konzentrationslager, mit denen, die in den Vernichtungslagern im Osten vergast wurden und mit denen, die durch deutsche Bombardierungen den Tod fanden. Beispielhaft dafür steht das offizielle Plakat der Stadt Dresden für den 13. Februar: Dresden steht hier aufgelistet zwischen den von Deutschen zerstörten Städten Coventry, Warschau und Guernica.

Die Verhöhnung der Opfer stoppen!

Wie im Aufruf des offiziellen, bürgerlichen Dresdens - "Ein Rahmen für das Erinnern" (Artikel im Dresdner Blättl) - formuliert, wehren auch wir uns gegen jede Verhöhnung der Opfer. Die Verhöhnung besteht allerdings nicht darin, wie die UnterzeichnerInnen offenbar meinen, den Dresdner Bombentoten nicht zu gedenken und stattdessen ihre Rolle im deutschen TäterInnenkollektiv den DresdnerInnen in Erinnerung zu rufen. Die Verhöhnung besteht auch nicht in der Feststellung, dass der 13. Februar 1945 Teil der notwendigen und begrüssenswerten Zerschlagung Nazideutschlands durch die Alliierten war. Verhöhnung findet aber gerade dann statt, wenn die Opfer des deutschen Terrors mit denen gleichgesetzt werden, die ihn auch in Dresden ausübten. Und genau das passiert alljährlich. Die (eigentlich banale) Erkenntnis auszusprechen, dass die Deutschen, inklusive der DresdnerInnen, das Problem und die alliierten Luftangriffe ein Teil der Lösung waren, ist selten so notwendig wie an diesem (Jahres-) Tag in Dresden.

Das konnte auch auf der Veranstaltung des Hannah-Arendt-Institutes für - so genannte - Totalitarismusforschung, das wegen seines zweifelhaften Geschichtsverständnisses überregionale Bekanntheit erlangte, am 20. Januar diesen Jahres wahrgenommen werden. Der renommierte englische Historiker Frederick Taylor stellte sein neues Buch "Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945" vor. Nicht mit den 60 bis 80 Nazis, inklusive NPD-Abgeordneten und ihren einschlägigen Äusserungen begründete ein Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Institutes den Abbruch der Veranstaltung, sondern mit dem Hinweis auf einen Kölner Bürger, der den DresdnerInnen die Unverhältnismässigkeit ihrer alljährlichen Trauerrituale im Vergleich zum ungleich schwerer betroffenem Köln aufzeigte.

Der nationalistische "Höhepunkt"

Der deutsche Opferwahn, zelebriert am 13. Februar in Dresden, zieht natürlich auch die an, die "schon immer gewusst haben", dass die Deutschen die eigentlichen Opfer sind und waren. Der Aufmarsch der Nazis konnte seine Teilnehmerzahlen jährlich erhöhen. Er entwickelte sich in den letzten Jahren zu einer der grössten europäischen Nazidemonstrationen. Die Dresdner Lokalpresse verschweigt oder verharmlost dies und formuliert lieber, "Bürger führten einen Schweigemarsch durch" (DNN in ihrer Berichterstattung über den Naziaufmarsch am 13. Februar 2001). Erwähnt wurden die Nazis nur, wenn es zu Auseinandersetzungen mit linken GegendemonstrantInnen kam. Wie sollte auch anders damit umgegangen werden, wenn mehrere tausend Nazis im Grunde genommen das Gleiche tun, wie die vor der Frauenkirche versammelten BürgerInnen, Lokalprominenz und der Bürgermeister? Dieses Jahr findet ihre Teilnahme an den Gedenkfeierlichkeiten, inklusive den Kranzniederlegungen auf dem Heidefriedhof und an der Frauenkirche, das erste Mal quasi offiziell statt (Obwohl sich auch die letzten Jahren niemand daran störte.), da sie jetzt als Nationales Bündnis Dresden im Stadtrat und, mit 9,2% für die NPD, auch im sächsischen Landtag sitzen.

Staatlicher Geschichtsrevisionismus

Einem Deutschland, das selbstbewusst Weltpolitik machen will und macht (Das wiedervereinigte Deutschland strebt einen Sitz im UN-Sicherheitsrat an und will mit seinem Partner Frankreich die EU als Gegenpol zu den USA profilieren.), ist die eigene nationalsozialistische Geschichte, die schliesslich in Auschwitz kulminierte, natürlich hinderlich. So muss die Geschichte verfälscht und zurecht gebogen werden. Bevorzugt wird, wie in Dresden, das eigene Leid in den Mittelpunkt gestellt. Dadurch geraten die von den Deutschen begangenen Verbrechen immer mehr aus dem Blickfeld. Lässt sich die Vergangenheit nicht verdrängen und zurecht lügen, dann wird sie für den kapitalistische Normalbetrieb (Weltweit werden deutsche Interessen offensiv vertreten oder wie es Verteidigungsminister Struck formulierte: "Deutsche Interessen müssen auch am Hindukusch verteidigt werden.") instrumentalisiert - eine Methode die sich seit Beginn der rot-grünen Ära grosser Beliebtheit erfreut. Diese macht Auschwitz zum kontinuierlichen Bezugspunkt deutscher Aussenpolitik, mit dem sich wie in Jugoslawien eine deutsche Kriegsbeteiligung legitimieren lässt. Mit dem allerdings auch, hinweisend auf die besondere, geschichtlich bedingte moralische Verantwortung, Kriege abgelehnt werden können, wie der - gegen eine faschistische Diktatur - im Irak. Dieser Umgang verharmlost das deutsche Verbrechen des Holocaust' und ist - wie eine Überlebende des deutschen Vernichtungswahns bemerkte - eine "neue Form der Auschwitz-Lüge".

"Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn ihre Ursachen beseitigt wären" (Theodor W. Adorno, 1959)

Dem geschichtsrevisionistischen Treiben am 13. Februar in Dresden werden wir uns entgegen stellen und rufen dazu auf, sich an den Gegenaktivitäten zu beteiligen.


Antifaschistische Initiative Dresden [AID]

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