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Dresdner Staatsschutz ermittelt gegen DRESDEN.UMSONST
Sozialer Protest wird kriminalisiert

Seit einigen Monaten ermittelt der Dresdner Staatsschutz wegen schweren Hausfriedensbruchs gegen die Kampagne DRESDEN.UMSONST, die sich mit künstlerischen Ausdrucks- und Interventionsformen gegen räumliche und soziale Ausgrenzung wendet. Heute morgen wurden drei Beschuldigte von Polizeibeamten zuhause abgeholt und unter Zwang zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die Schiessgasse verbracht.

Damit erreicht eine massive Kriminalisierungskampagne gegen sozialen Protest in Dresden einen weiteren Höhepunkt.

Angefangen hatte alles mit einer Aktion in der Altmarkt-Galerie, die untersuchen sollte, inwieweit Handlungen, die im öffentlichen Raum früher selbstverständlich waren, wie Tanzen, Betteln, musizieren, Karten spielen, Auf-dem-Boden-sitzen und das Trinken von Alkohol, in angeblich multifunktionalen Einkaufszentren noch möglich sind. Mit dieser Aktion sollte gegen die räumliche Ausgrenzung von "abweichenden" Verhaltensweisen protestiert werden.

Am 14. September gingen dann AktivistInnen der Kampagne DRESDEN.UMSONST im städtischen Arnhold-Bad schwimmen. Mit Luftballons, Handzetteln, Musik, UMSONST und ohne zu bezahlen. Ein paar Wochen später fand eine weitere Aktion statt: BUS UND BAHN FREI. Offen und in Gruppen wurde Strassenbahn gefahren. Nicht schwarz, sondern UMSONST. Im November dann führte DRESDEN.UMSONST einen szenischen Dialog im Theater Junge Generation vor ca. 350 Jugendlichen auf, in dem die Schliessung von sozialen und kulturellen Einrichtungen thematisiert wurde.

Die Kampagne DRESDEN.UMSONST will mit ihren symbolischen Aneignungen deutlich machen, dass bestimmte soziale Bedürfnisse keinen Luxus darstellen, der zur Disposition gestellt werden kann, sondern zum Leben dazugehören. DRESDEN.UMSONST will dabei neue Wege beschreiten, um politische Inhalte mit künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden.

Diese Form des politischen Protestes wird jetzt kriminalisiert.

Nach der 15 minütigen Aktion "Heute FREIbaden" wurden vier Personen von Polizeibeamten festgehalten, ihre Personalien aufgenommen und Fotomaterial beschlagnahmt. Was sich anfangs als polizeiliches Routinehandeln ausnahm, stellte sich im Nachhinein als Ermittlungsmassnahme der Abteilung des Staatsschutzes der Dresdner Polizei dar. Und die wollen es ganz genau wissen. Mittlerweile wird nicht nur gegen die vier Festgenommenen wegen schweren Hausfriedensbruchs ein Verfahren geführt, sondern auch gegen MitarbeiterInnen und KünstlerInnen des Kunstprojektes DRESDENPostplatz. Ende des Jahres schickte der Staatsschutz an alle Beschuldigten eine Vorladung zur Vernehmung heraus, in der auch eine erkennungsdienstliche Behandlung angedroht wurde, die das Anfertigen von Portraitfotos und die Abnahme von Fingerabdrücken beinhaltet.

Die Ermittlungsmassnahmen des Staatsschutzes machen aber nicht bei den Beschuldigten halt, sondern erstrecken sich auf alle und alles, was sie mit DRESDEN.UMSONST in Verbindung bringen. So wurde die Kuratorin des Kunstprojektes DRESDENPostplatz, die aus dem Schwimmbad als Journalistin berichtete, von Beamten des Staatsschutzes über drei Stunden lang verhört. Ebenso wurden an den Redakteur der Radiosendung, der über die Aktion berichtete, und den Lizenznehmer des Veranstaltungs- und Kunstsenders Zeugenvorladungen verschickt. Im Vorfeld wurde bereits per Telefon damit gedroht, die Beschuldigten zuhause aufzusuchen, um sie zwangsweise für eine erkennungsdienstliche Behandlung vorzuführen. Heute morgen wurde mit einem massiven Polizeiaufgebot die Drohung wahrgemacht.

Wir müssen zugeben, dass wir über den Umfang der staatlichen Repression überrascht sind. Was sich anfangs lediglich als eine Arbeitsbeschaffungsmassnahme für tätigkeitslose StaatsschützerInnen darstellte, entpuppt sich als gezielte Kriminalisierung sozialen Protestes. Sie meinen es wirklich ernst. Das bedeutet aber auch, dass wir mit unseren Aktionen den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Der Umfang des Abbaus sozialer und kultureller Leistungen und die damit verbundene Ausschliessung von Teilen der Bevölkerung macht sich nicht nur an der Gesundheitsreform, den Hartz- und Rürup-Gesetzen deutlich, sondern auch an dem geplanten Sparhaushalt der Stadt Dresden. Proteste dagegen werden als so gefährlich angesehen, dass der STAATSSCHUTZ ermittelt. Dabei stellen symbolische Aneignungen und temporäre Besetzungen keinesfalls Interventionsformen dar, die ungewöhnlich oder kriminell sind, sondern gehören schon immer zum Repertoire politischen Protestes und künstlerischer Auseinandersetzung, wie die derzeitigen Aktionen der Studierenden in Hamburg, Berlin und Sachsen deutlich machen.

Besondere Brisanz erfahren die Ermittlungen des Dresdner Staatsschutzes aber nicht nur dadurch, dass die Anfertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken als geeignete und verhältnismässige Massnahmen wegen 15minütigen UMSONSTBadens angesehen werden, sondern dass auch versucht wird, Journalistinnen und Journalisten, die ihrer Berichtspflicht nachkommen, in die Nähe von Mitwissern zu drängen. Oder wurde schon mal der Sendeleiter des MDR von der Polizei vorgeladen, weil er von Besetzungsaktionen Leipziger Studierender berichtet hat? Damit wird deutlich, dass es nicht darum geht, Informationen für einen etwaigen Prozess zu sammeln, sondern Menschen mit eigenen Ideen und ihr soziales Umfeld auszuforschen.

Wir sehen diese Ermittlungen des Dresdner Staatsschutzes nicht nur als Massnahmen gegen DRESDEN.UMSONST, sondern gegen alle, die sich gegen den zunehmenden Sozialabbau gewehrt haben und auch weiterhin wehren wollen. Mit der Anfang des Jahres in Kraft getretenen AGENDA 2010 und den anstehenden Kürzungen im Kultur- und Sozialhaushalt der Stadt Dresden nehmen der Unmut und die Unzufriedenheit weiter zu. Welcher Ausdrucks- und Interventionsformen sich dabei bedient werden kann, ist noch offen. Wenn es dem Dresdner Staatsschutz gelingt, symbolische Aneignungen zu kriminalisieren, werden Formen zivilen Ungehorsams kaum noch möglich sein. Es geht also nicht nur um DRESDEN.UMSONST, sondern um die Zukunft des sozialen Protestes und Widerstandes und die möglichen Formen politischer Auseinandersetzung. Daher rufen wir alle auf, sich mit der Kampagne DRESDEN.UMSONST zu solidarisieren und sich gegen die Kriminalisierung durch den Dresdner Staatsschutz zu wenden.


Karen Pietscher DRESDEN.UMSONST

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