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Neulich beim Frühstück mal wieder was gelernt: Wie Arbeit und Leistung bestimmt nicht zusammenhängen

Die Wissensseite der Süddeutschen Zeitung ist berühmt-berüchtigt für die absurdesten Meldungen aus der Welt der Wissenschaft. Neben dem Hypen biologistischer Erklärungen für menschliches Handeln, finden sich auch immer wieder "Ergebnisse" aus Versuchsanordnungen der Psycholog*innen, die einen in Erstaunen versetzen. Die neueste Erkenntnis lautet "Geld macht faul" (SZ vom 01.09.2009). Nun weiss ja der Volksmund so gut wie niemand sonst, dass Geld das eigentliche Schmiermittel der Marktwirtschaft ist. Ohne Geld oder finanzielle Anreize würde doch niemand arbeiten! Wohin mangelnde materielle Entlohnung führen würde, habe man in der DDR und der Sowjetunion ja schon gesehen.

Nun haben aber pikanterweise Harvard-Psychologen herausgefunden, dass Gehaltserhöhungen Motivation und Leistung senken können.
Die Versuchsanordnung, die die SZ zitierte, war die folgende: Vor 20 Monate alten Babys lassen die Versuchsleiter wie zufällig Bleistifte fallen und warten, wie die Babys darauf reagieren. Heben sie die Stifte auf oder lassen sie sie liegen? Die Psychologen teilten die Babys in zwei Gruppen auf. Die erste bekam fürs Aufheben einen Bauklotz geschenkt, die zweite Gruppe bekam nichts. Und nun die Überraschung: Die Hilfsbereitschaft der Kinder in der Bauklotzgruppe sank und zwar, so der Versuchsleiter, weil die Belohnung den natürlichen Altruismus der Kinder zerstören würde.
Nun stellen sich zunächst drei Fragen. Was haben Gehaltserhöhungen mit Hilfsbereitschaft zu tun, was Bleistift aufheben mit Altruismus und 20 Monate alte Babys mit Menschen, die soeben eine Gehaltserhöhung bekommen haben? Nun, nichts. Das aber ficht weder die SZ noch die Psychologen an, die es gleichermassen beherrschen, noch die unterschiedlichsten Phänomene in einen Topf zu werfen. Also machen sie erstmal munter weiter mit noch anderen faszinierenden Forschungen und ihren Ergebnissen: Kinder, die Süssigkeiten fürs Puzzlen bekamen, verloren schneller die Lust am Puzzlen als jene, die leer ausgingen und ein Psychologe aus Stanford hat sogar noch herausgefunden, "dass sich die Fähigkeit von Kindern, Denksportaufgaben zu lösen, auf eine ganz einfache Weise zerstören lässt: indem man ihnen eine Belohnung verspricht." (SZ) Die einfache Erklärung, dass man Kinder mit Süssigkeiten oder anderen Spielzeugen von der ursprünglichen Aufgabe schlicht ablenkt, ist offensichtlich für die Psychologen keine. Auch die Verwechslung von Hilfsbereitschaft und Leistungsbereitschaft bereitet der Wissenschaft kein Kopfzerbrechen, sondern die Resultate, die sie glauben daran ablesen zu können, machen ihnen Sorge: Aus dem Verhalten der Kinder folgern sie messerscharf, dass Geld, Urlaub oder Sonderzahlungen die Leistungsbereitschaft nicht steigern. "Wer für seine Arbeit bezahlt wird, der folgert unwillkürlich, dass er nicht um der Sache selbst willen arbeitet, sondern nur fürs Geld - und das sei eine fatale Umdeutung. Ein profaner äusserer Anreiz schiebe sich dann über das ursprüngliche hehre innere Handlungsmotiv. Plötzlich beginnt der Mensch, den Wert seiner Arbeit zu messen und mit anderen zu vergleichen." (SZ)

Ja, wo kommen wir denn dahin? Leute arbeiten gar nicht mehr als Bäckereifachverkäuferinnen ab morgens um vier Uhr, weil es ihnen Spass macht, sondern nur weil sie damit ihre eigenen Brötchen verdienen wollen. Wo bleibt da der Aufopferungswille als Burgerbrater im Schichtdienst, wenn er die Narben an seinen Unterarmen nicht mehr gerne aus freien Stücken, sondern nur noch wegen des Geldes in Kauf nimmt?

Die Herren und Damen Psychologen pflegen eine Auffassung von Arbeit, die einiges über ihre privilegierte Stellung in der Wissenschaftselite verrät, aber wenig mit den praktischen Arbeitserfahrungen lohnabhängiger Menschen oder gar einer vernünftigen Analyse von deren Misere zu tun hat. Lohnabhängige tragen in erster Linie ihre Arbeitskraft nicht deswegen zu Markte, weil sie sich nichts anderes wünschen würden, sondern weil sie schlicht keine andere Wahl haben. Gelderwerb in dieser Gesellschaft geht nur über Arbeit, und Geld braucht man in dieser Gesellschaft für nahezu alles. Also brauchen und wollen alle Arbeit und ob das dann Spass macht oder nicht, ist eher zweitrangig und wenig mehr als eine glückliche Fügung, wenn es denn mal klappt. Löhne sind eher niedriger als hoch und ein netter Arbeitsplatz, der die Gesundheit des Arbeitnehmers schont, lohnt sich für den Arbeitgeber nur bedingt oder gar nicht. Arbeit, also der Verkauf von Dienstbarkeit an andere, kostet die Arbeitgeber Geld, und entsprechend beschissen sieht die Arbeit dann halt aus. Wenn also die Psychologen herausfinden, dass es idiotisch sei, "einen Menschen für das zu belohnen, was er ohnehin gerne macht" (SZ), dann können sie an Lohnarbeit allen Ernstes eigentlich genauso wenig denken wie an Bleistifte aufheben. In der Tat ist es unsinnig, Menschen für Dinge zu belohnen, die sie gerne machen ; aber vermutlich müssten sogar die Harvardpsychologen bei einer Selbstbefragung auf die Idee kommen, dass selbst ihr Job nach acht Stunden täglich für 40 Jahre nicht mehr so richtig uneigennützig und überzeugt vonstatten geht, auch wenn sie sich das jahrelang eingebildet haben.

Der Idiotien auf der SZ-Wissensseite sind aber immer noch nicht genug. Denn nun stellt sich ja sofort die "politisch inkorrekte Frage" (SZ), ob die Leute nicht viel mehr leisten würden, wenn sie (noch) weniger Geld verdienten? Das Beispiel Wikipedia habe ja bewiesen, dass Leute hochmotiviert ihr Bestes gäben, ohne dafür auch nur einen Pfennig Honorar zu sehen. Dass sie das nur tun, weil sie woanders bereits ihre Brötchen verdient haben und ihnen ihr Job noch genug Raum lässt für die Sachen, die ihnen wirklich Spass machen, ist keiner Erwähnung wert. Bei der Frage also, ob die Menschen nicht viel mehr leisten würden, wenn man ihnen weniger Geld bezahlte, werden SZ und auch die Psychologen sehr geständig: Sie gehen da nicht mehr vom vermeintlich arbeitswütigen Subjekt aus, sondern von einem Standpunkt, der erstmal nur der Standpunkt desjenigen ist, der hofft, ein arbeitswütiges Subjekt eingestellt zu haben. Dass sie dabei die Anforderungen an einen Job verwechseln mit dem, was der Arbeitnehmer selbst schon immer wollte, ist nur einer von vielen Fehlern, die Wissenschaftler und Bürger Tag für Tag so drauf haben. Die zentrale Stellung, die Arbeit in dieser Ökonomie und Gesellschaft einnimmt, legt diesen Fehlschluss nahe. Wer 13 Jahre seines Lebens für die Arbeit ausgebildet wird, um dann 40 Jahre seines Lebens an die Arbeit zu verlieren, um dann zu hoffen, noch mal 15 Jahre ohne Arbeit zu leben, dem mag es plausibel erscheinen, sich alles mögliche Gute auf die Arbeit einzubilden - nämlich dass er sie eh nur für sich selber macht. Komisch nur, dass vermutlich noch jedem von Lohnarbeit Betroffenen (also fast allen) als Letztes einfällt, eine Lohnsenkung zu fordern, damit er mehr leistet.

Weshalb die Psychologen also nicht Arbeitnehmer als Arbeitnehmer untersuchen, sondern 20 Monate alte Kinder, um dann die wildesten Schlussfolgerungen über Leistungsbereitschaft am Arbeitsplatz zu konstruieren, ist kein Geheimnis. Wie viele ihrer Kollegen interessiert sie vor allem das Funktionieren von Menschen in der und für die Gesellschaft und sie sind deswegen erst mal ganz abstrakt für mehr Leistung. Die Erforschung des menschlichen Seelenhaushaltes soll für die kapitalistische Gesellschaft Effizienzgewinne bringen. Dass die Prinzipien der Gesellschaft wie etwa Lohnarbeit und Profit auf Kosten von Bedürfnisbefriedigung und Gesundheit vieler Menschen gehen, ist nicht ihre Sorge. Dass die Leistung, die den Lohnarbeitern abverlangt wird, ihnen wenig einbringt, kommt als Überlegung in der ganzen Forschung nicht vor. Dieses Interesse am Funktionieren des Menschen in egal welcher Gesellschaft führt dann dazu, dass man sich für Versuchsanordnungen mit Kleinkindern entscheidet, um über Leistungsbereitschaft des Menschen überhaupt was herauszufinden. So kommt die Lehre vom Seelenleben des Menschen ganz ohne die konkreten gesellschaftlichen Umstände aus.

Dies war ein Beitrag zur Serie: "Wozu begriffsloses Forschen bei bürgerlichen Wissenschaftlern so führt." Näheres auch in Zukunft in Ihrer SZ.

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