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Offener Brief: Flüchtlinge und Fluchtursachen

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

viele Worte wurden gefunden, um die rassistischen Übergriffe gegen Flüchtlinge in Freital oder in Heidenau zu verurteilen. Auch wir, das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen, sind entsetzt über blindes und gewalttätiges Agieren gegenüber schutzsuchenden Menschen.

Es ist nötig und wirkt deeskalierend, wenn ein politischer Entscheidungsträger rechtsradikales Gedankengut verurteilt, doch wird dieses davon noch nicht beseitigt. Die fremdenfeindlichen Übergriffe zeigen einen erhöhten Bedarf an antirassistischer Arbeit an, jedoch gleichsam einen an (entwicklungs)politischer Bildungsarbeit. Laut Politischem Monitor ist in Sachsen die politische Bildung noch ausbaufähig. Werden durchschnittlich in den Bundesländern 190 Stunden jährlich pro Klasse unterrichtet, sind es in Sachsen 55 Stunden.

Hilfreich dabei könnte den Regierenden in Sachsen die engagierte Zivilgesellschaft sein. Nicht nur die entwicklungspolitisch Aktiven leisten einen ernsthaften Beitrag zu einem gesellschaftlichen Klima der Toleranz, zu Teilhabe und Gewaltfreiheit, sondern auch antirassistische und Initiativen der Friedensbewegung. Leider vermissen sie den Zuspruch und weitergehende Unterstützung seitens der Regierung.

Derzeit werden im ganzen Land Kräfte mobilisiert, um die Vielen, die aus der Not heraus zu uns kommen, aufzunehmen und gut zu betreuen. Hier braucht es dringend angesichts der menschenunwürdigen Zustände in der so genannten Zeltstadt in Dresden eine gute, strukturierte und durchdachte Nothilfe in Dresden und in ganz Sachsen.

Auf die akute Situation kompetent zu reagieren ist ein drängendes Anliegen, sich mit den Ursachen für Flucht auseinanderzusetzen ist der weiterhin notwendige Schritt. Unserer Ansicht nach kommt der Freistaat Sachsen mittel- und langfristig nicht umhin, diese Themen wirklich in den Fokus zu rücken. Dabei unterscheiden wir - die entwicklungspolitische Zivilgesellschaft - nicht zwischen der Not aus Armut oder Krieg. Prinzipiell halten wir Hunger, Gewalt oder Klimakatastrophen - Perspektivlosigkeit - für nachvollziehbare Fluchtgründe. Um eine erfolgsversprechende nachhaltige Antwort zu geben, müssen die Politik und die Zivilgesellschaft die Ursachen einer nicht gelingenden Entwicklung sowohl in den Herkunftsländern als auch hierzulande ernsthaft analysieren, eine Strategie entwickeln und entsprechend agieren.

Die Ursachen für Krieg und Gewalt, Umweltkatastrophen oder ausbeuterische Produktionsbedingungen in Ländern des Globalen Südens können hier vor Ort durch Selbstorganisation, Zusammenhalt, aufgeklärtes Konsumverhalten und politische Partizipation positiv beeinflusst werden. Solange es die aufgezählten Entwicklungsprobleme gibt, kann es keine Grundlage für eine Perspektive auf eine menschenwürdige und demokratische Zukunft in diesen Ländern geben. Der Flüchtlingsstrom wird dann kein vorübergehendes Phänomen sein.

Deshalb fordern wir:

Für die akute Situation der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen:

  • eine gute, strukturierte und durchdachte Nothilfe, zu der zum Beispiel gehört die Aufgaben zwischen Ehrenamtlichen klarer zu verteilen und die Kommunikation zwischen allen Beteiligten zu verbessern
  • Unterstützung von Helferinnen und Helfern in kultureller Kompetenz
  • eine psychosoziale Betreuung traumatisierter der Flüchtlinge
  • besondere Betreuung und Integrationsbemühungen für Frauen
  • qualifizierten und qualifizierenden Deutschunterricht
  • ausreichenden Schutz der vorübergehenden Massenunterkünfte durch Polizei oder sensibilisiertes Wachpersonal
  • im Sinne einer Deeskalation in der aktuell angespannten Situation deutliche Worte von politischen Entscheidungsträgern, die aufrufen konstruktiv und sachlich gemeinsam nach Lösungen zu suchen und sich für Gewaltfreiheit aussprechen

Zur Verbesserung des Verständnisses für Fluchtgründe:

  • eine Ausweitung der finanziellen Mittel für Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schule, ausserschulischen Einrichtungen, der Erwachsenenbildung und in der Hochschule
  • die Verantwortungsübernahme des Freistaats Sachsen als Teil Einer Welt
  • durch eine Nachbesserung der Sächsischen Nachhaltigkeitsstrategie und die Entwicklung von entwicklungspolitischen Leitlinien
  • sich auf bundesdeutscher und europäischer Ebene für eine nachhaltige Aussen- und Entwicklungspolitik einzusetzen, die den Menschen und die Erhaltung der natürlichen Lebensräume in den Mittelpunkt stellen sollte
  • zur konstruktiven Zusammenarbeit von Politik und Zivilgesellschaft
  • einen handlungsfähigen Ansprechpartner für entwicklungspolitische Belange auf Regierungsebene
  • Dialogbereitschaft mit und offene Türen für die Zivilgesellschaft

Sachsen sollte jetzt die Herausforderungen entschlossen angehen und als verantwortlicher Teil der Welt handeln! Für einen Dialog darüber, wie das gut gelingen kann, sind wir weiterhin aufgeschlossen.

Das Entwicklungspolitische Netzwerk vertritt aktuell 53 Vereine und Initiativen. Dahinter stehen ca. 5000 aktive Menschen, die sich für eine zukunftsfähige globale Entwicklung und Gerechtigkeit einsetzen.


Vorstand ENS e.V.

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