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Rechte Kulturhauptstadt?

Unter dem Motto "Neue Heimat" soll die Dresdner Kulturhauptstadtbewerbung ein Labor für einen vermeintlich neuen Kulturbegriff sein, der aus einer gesellschaftlichen Debatte heraus entstehen soll. Wie gewohnt wird dabei der Dialog mit der extremen Rechten nicht gescheut.

Die sächsische Landeshauptstadt bewirbt sich unter dem Motto "Neue Heimat Dresden 2025" um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025. Für gewöhnlich handelt es sich bei den Bewerberstädten um solche, die vom Strukturwandel benachteiligt sind oder sonstwie ein Schattendasein fristen. Denn der Titel dient vor allem dem Ziel, das Stadtimage zu verbessern und die Umsatzzahlen des Tourismus zu erhöhen.

Dresden ist weder vom Strukturwandel gebeutelt noch versteckt es sich hinter anderen grösseren Städten. Als wettbewerbstauglicher Nachteil wurden daher offenbar "Pegida und die fortwährende Debatte um den 13. Februar" in die Waagschale geworfen. In der Begründung zur Bewerbung heisst das dann etwas verklausuliert: "Vor Ort entladen sich soziale Spannungen auf der Strasse, es wird permanent um die eigene Geschichte gerungen." "Absaufen Absaufen" - Rufe auf den PEGIDA-Demonstrationen können schwerlich als "soziale Spannungen" bezeichnet werden - sie sind vielmehr Ausdruck von Menschenverachtung. Der inzwischen 14-tägige rassistische Aufmarsch wird also zur lokalen Besonderheit gewendet und darf als Begründung für die Bewerbung herhalten.

Der Kurator der Kulturhauptstadtbewerbung Michael Schindhelm möchte "in dieser Bewerbung Dresden als Labor für einen neuen Kulturbegriff […] definieren. Ein Begriff, der die Kultur wieder in die Mitte der Gesellschaft und gesellschaftlicher Diskurse rückt. Dabei will ich vor allem zuerst den Menschen in Dresden zuhören, was sie bewegt, um daraus gemeinsam mit vielen anderen ein Bewerbungskonzept zu entwerfen, welches auch Bedeutung für Deutschland und ganz Europa entfalten kann." (Klingt etwas grössenwahnsinnig, aber gut, passt damit auch zur Stadt).

Elbhangdünkel

Inzwischen haben zahlreiche Veranstaltungen im Rahmen der Bewerbung zur Kulturhauptstadt stattgefunden. Für sehr viel Aufmerksamkeit sorgte die Kulturhauptstadt Macher Veranstaltung "STREITBAR mit Uwe Tellkamp und Durs Grünbein" am 8. März 2018 im Kulturpalast. Die Veranstaltung nutzte der Dresdner Autor und passionierte Elbhangbewohner Tellkamp, um sich als neurechter Ideologe zu outen, rassistische Lügen und Verschwörungstheorien zu verbreiten und seine Sympathien für PEGIDA und die AfD zu bekunden. Aus dem Publikum heraus konnte sich der rechte Verleger und faschistische Vordenker Götz Kubitschek minutenlang als Verteidiger des Pluralismus darstellen und unwidersprochen auf die Frage: "Was ist wir, was ist nicht wir?" fordern, "den Riss in der Gesellschaft zu vertiefen".

So schaffte diese Veranstaltung einen Raum für extrem rechte Diskursverschiebung und -besetzung und bediente damit die Strategie der Rechten. "Reden um des Redens Willen kann im Privaten als Labern ohne Folgen abgetan werden. Im Politischen führt das aber zu der Konsequenz, bestimmte Positionen im Diskurs als legitim erscheinen zu lassen. Dabei wird ignoriert, dass genau das zur Strategie der IdeologieproduzentInnen der 'Neuen Rechten' gehört: Im vorpolitischen Raum durch Themensetzung und Tonlagen ihre autoritären, antiliberalen und homogenen Visionen durchsetzen zu wollen", schrieb Andreas Speit schon 2017. Dies wird nicht das letzte Mal im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung gewesen sein: Schindhelm wird am 9. Oktober bei der rechten Buchhändlerin Susanne Dagen im Kulturhaus Loschwitz zu Gast sein.

Die Loschwitzer Buchhändlerin Susanne Dagen hatte nachdem sie zunächst Toleranz für PEGIDA-Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingefordert hatte, kundgetan, selbst AfD zu wählen. "Aus dem Ruf nach 'Toleranz' auch Rechten gegenüber wird schleichend Zustimmung zu deren Ideologie." schrieb Michael Bittner in seinem Beitrag "Der rechte Elbhang" dazu treffend in konkret 9/2019. Dagen hat die "Charta 2017" ins Leben gerufen, in der sich mit extrem rechten Verlagen solidarisiert und von einer drohenden Gesinnungsdiktatur fabuliert wird. Sie macht Veranstaltungen mit der extrem rechten antifeministischen Publizistin Ellen Kositza. Völkische Nationalistinnen und Nationalisten geben sich bei Dagen die Klinke in die Hand.

Bereits Mitte August wurde auf Twitter bezüglich der Veranstaltung im Kulturhaus Loschwitz kritisch nachgefragt:

  • Warum und wozu @annekatklepsch referiert Michael Schindhelm, Kurator @dresden2025, im Buchhaus #Loschwitz - einem Ort in #Dresden, wo der #NeueRechte seit geraumer Zeit eine Bühne geboten wird - zur #Kulturhauptstadt2025?

Eine sachliche Antwort blieb Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) schuldig. Inzwischen hat sich die elfköpfige Brass-Band "Banda Internationale" mit einer ausführlichen Kritik zu Wort gemeldet:

"Die Bücher des Antaios Verlags von Götz Kubitschek verbreiten Ideologien, gegen die wir uns seit nunmehr 20 Jahren engagieren: Faschismus, Totalitarismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus. Frau Dagen verkauft diese Ideologien nicht nur, sie moderiert seit 2018 mit Ellen Kositza, Publizistin im neurechten Spektrum und Ehefrau von Götz Kubitschek, die Youtube-Sendung "Aufgeblättert, zugeschlagen. Mit Rechten lesen", die es sich zum Ziel setzt, den rechtsnational-völkischen Diskurs einem bürgerlichen Publikum schmackhaft zu machen. Unsere Musiker und unzählige andere Menschen in Ihrer Stadt erfahren aufgrund eben dieser Ideologien Anfeindungen und Angriffe. In unserer Kulturhauptstadt Europas haben Vertreiber geistiger Brandsätze keine Bühne."

Noch vor der Veranstaltung im Kulturhaus Loschwitz wird eine weitere "Streitbar?"-Veranstaltung im Kulturpalast stattfinden. Am 8. Oktober sollen Joachim Klemen, Intendant des Dresdner Staatsschauspiels, und Eva-Maria Stange (SPD), Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, ausgerechnet mit Bernd Lommel, dem Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, über Kunst und Kunstfreiheit diskutieren. "Ist künstlerische Kritik an Parteien und politischen Positionen legitim?", heisst es im Ankündigungstext. Verfassungsmässige Grundrechte werden in Dresden als offene Fragen und mit deren Feinden diskutiert.

Mit Rechten reden

Zu oft musste es schon gesagt werden: Es hat keinen Sinn und es ist unsolidarisch mit all denen, die von rechter Hetze, Ideologie und Gewalt betroffen sind. Doch in Dresden wurde die Vorstellung etabliert und hält sich entsprechend hartnäckig, dass mit Rechten nicht reden eine undemokratische Form der Ausgrenzung sei.

"Erst die Ausgrenzung rechter Ressentiments hätte deren Etablierung verstärkt. Die 'Political Correctness' der 'Gutmenschen' wäre zu weit gegangen, ist nur die populärste Vorhaltung. Diejenigen, die vor den rassistischen, antiliberalen und antidemokratischen Konnotationen warnen, erscheinen nun als autoritär und undemokratisch", beschreibt Andreas Speit diese Haltung.

Selbst Opfer sein, eine Rolle, die Dresden seit Jahrzehnten rund um den Jahrestag der Bombardierung der Stadt zelebriert, wurde gerade hier vor Ort den Rechten noch einmal neu angeboten: Männer wie Werner Patzelt (ehemals Politikprofessor an der TU-Dresden, heute Politikberater von AfD bis CDU und Werteunion) und Frank Richter (heute für die SPD im Landtag) haben den PEGIDA-Teilnehmenden monatelang angedient, dass sie ausgegrenzt würden und besorgte Bürger seien. Man müsse sie ernst nehmen und mit ihnen einen Dialog führen.

Viele Parteien schlossen sich an: PEGIDA-Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen ebenso wie die AfD-Anhängerschaft mit ständigem Dialog und widerspruchslosem Zuhören "zurück"geholt werden, dabei bringt das nichts, wie sich seit Jahren zeigt: "Denn die Leute im rechten Strudel fühlen sich bestätigt, wenn man ihnen zustimmt, aber ebenso auch, wenn man ihnen widerspricht." (Michael Bittner)

Nun wird unter dem Label "Dialog" erneut nicht nur AfD-Funktionären und neu-rechten Netzwerkern eine Plattform geboten, sondern bei den Veranstaltungsankündigungen sogar bereitwillig ihre Fragestellungen aufgenommen. Es ist frustrierend, dass in dieser Stadt immer wieder dieselben Diskussionen geführt werden müssen und kein Konsens gegen extreme Rechte vorausgesetzt werden kann. Unverständlich ist auch, dass die Verantwortlichen weder innerhalb ihres Kuratoriums, noch ihrer Partei oder auch seitens des Oberbürgermeisters Kritik erfahren.

Mit alten und neuen Rechten über Stadtkultur zu sprechen ist sinnlos, denn sie haben zur Debatte abgesehen eines einförmigen, völkisch inspirierten Kulturbegriffs nichts anzubieten. Doch städtische Kultur zeichnet sich durch Vielheit und Verschiedenheit aus. Was wir brauchen sind Diskussionen um das Recht auf Stadt, welches ein Recht auf Mitbestimmung, ökonomische und kulturelle Ressourcen und eben diese Verschiedenheit einschliesst. Nicht "neue Heimat", sondern "Zuhause für alle".

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