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Rassismus ist immer noch tödlich: Von Jorge bis Marwa - jetzt ist Schluss!
Aufruf zur Gomondai-Demonstration am 6. April 2010

Jorge Gomondai lebte seit den 1980er Jahren in Dresden. Er kam als Vertragsarbeiter aus Mosambik in die damalige DDR.

In der Nacht zum Ostersonntag 1991 stieg er gegen 4 Uhr morgens am Albertplatz in eine Strassenbahn, mit ihm auch reichlich ein Dutzend junge Männer, die bereits zuvor beim Randalieren beobachtet worden waren. Sofort nach dem Einsteigen wurde Jorge Gomondai von einigen der Jugendlichen rassistisch beleidigt. Die Fahrerin der Bahn bemerkte kurz nach dem Ausfahren aus der Haltestelle, dass im letzten Wagen während der Fahrt eine Tür geöffnet worden war. Als sie schliesslich die Bahn anhielt fand sie Jorge Gomondai blutend neben den Gleisen liegen. Wie sich herausstellte war er zum Sprung aus der Bahn gezwungen worden. Er erlag am 6.4.1991 im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Kein Einzelfall

Jorge Gomondai war eines der ersten Todesopfer rassistischer Gewalt seit der Wiedervereinigung, doch leider bei weitem nicht das Letzte. Insgesamt sind bis Ende 2009 in der Bundesrepublik 149 Fälle bekannt geworden bei denen Menschen durch rechts-motivierte Gewalt getötet worden sind. Es muss jedoch angenommen werden, dass die Dunkelziffer beträchtlich höher ist. Sachsen rangiert dabei im bundesdeutschen Vergleich mit 12 bekannten Todesfällen im vordersten Viertel der Statistik. Obwohl bekanntere Fälle wie die in Mölln 1992 oder Solingen 1993 bei denen 3 bzw. 5 Menschen starben bereits seit einer Weile der Vergangenheit angehören, haben rassistisch motivierte Morde eine traurige Aktualität. So starb erst im vergangenen Jahr, am 1.7. die Ägypterin Marwa El Sherbini im Dresdener Landgericht. Sie wurde, nachdem sie eine Aussage als Zeugin gemacht hatte, von Alex W. auf Grund seines fremdenfeindlich motivierten Hasses auf Muslime im Gerichtssaal erstochen.

Die Spitze des Eisberges

Obwohl Tötungsdelikte ohne Zweifel die schlimmsten rassistisch motivierten Verbrechen sind, bilden sie lediglich einen kleinen Teil des Problems. Gerade in Sachsen sind Nazis und die von ihnen ausgehende Gewalt kontinuierlich eine akute Gefahr. Allein im vergangenen Jahr registrierte die Opferberatung des RAA Sachsen e.V. 263 Übergriffe mit rechtsmotiviertem Hintergrund. Davon waren die meisten Fälle Körperverletzungen. Dass die Nazis hierbei besonders unverschämt und auch brutal vorgehen, zeigt beispielsweise ein Fall aus dem letzten Jahr. Hier hatten mehrere junge Dresdner Nazis einen Mitarbeiter des Kulturbüro Dresden e.V. nach einem Gerichtsprozess am Dresdner Landgericht verfolgt. Zuvor waren alle bei der Urteilsverkündung des Prozesses um Willi K., dem Anstifter für die Übergriffe auf Dönerläden in der Neustadt nach dem EM-Halbfinalspiel Deutschland - Türkei 2008 gewesen. Die rechten Jugendlichen schlugen das Opfer mitten am Tage auf der Kreuzung Bautznerstrasse/Rothenburgerstrasse brutal zusammen.

Darüberhinaus gab es allein in Dresden in den bisher nur 3 Monaten diesen Jahres schon mindestens fünf Angriffe auf linke und alternative Projekte. Darunter waren das Haus der Begegnung des Roter Baum e.V. in Pieschen, ebenfalls in Pieschen ein alternatives Hausprojekt. Weiterhin die Konzertlocation Chemiefabrik, sowie in Löbtau ein Mietshaus in dem sich ein alternatives Wohn- und Kulturprojekt befindet.

Dazu kommen unzählige Propagandataten der Rechten. Von Hakenkreuzschmierereien sowie allerlei antisemitischen und rassistischen Graffitis bis hin zu Gewaltaufrufen gegen antifaschistische Strukturen und engagierte Menschen ist eigentlich alles dabei.

Nur die bösen Nazis?

Oft wenn von offizieller Seite oder bürgerlichen Medien über Probleme wie Ausgrenzung und Diskriminierung auf Grund von rassistischen, antisemitischen oder homophoben Vorurteilen berichtet wird, werden die Schuldigen als Nazis stigmatisiert und als Einzeltäter_innen gekennzeichnet, bzw. organisierte, in sich geschlossene Nazigruppierungen angeprangert. Tatsächliche bekennende Nazis und Rassist_innen sind zwar eine reale Gefahr, das Problem liegt jedoch viel tiefer.

Schon bei dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992 waren es "ganz normale Bürger_innen" die den Nazis beistanden und applaudierten. Doch auch im Herbst 2007, als Rechte nach einem Stadtfest 8 Inder durch Mügeln jagten, applaudierten oder beteiligten sich viele, die sonst von niemandem als Nazis bezeichnet werden würden. Der Bürgermeister Mügelns meinte damals sogar, dass Parolen wie "Ausländer raus" oder "Deutschland den Deutschen" "jedem mal über die Lippen kommen" könnten.

Und auch abseits solcher bedauernswerten "Höhepunkte" sind rassistische und antisemitische Haltungen und Vorurteile in der deutschen Gesellschaft fest verankert. Obst und Gemüse wird beim "Fitschi" gekauft, unsere Autos von den Polen geklaut und unser ökonomisches Elend haben "Finanzhaie" und kapitalistische "Heuschrecken" zu verantworten - solchen und ähnlichen Unsinn bekommt man häufig schon bei ein paar Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu hören. Diskriminierungen auf Grund von Herkunft, Sprache, Hautfarbe, sexueller Vorliebe, Religion oder einfach nur Aussehen gehören zum deutschen Alltag, viele Vorurteile sind fest einprogrammiert, eigene Erfahrungen und echte Belege sind dabei unerheblich. Auch Studien von Universitäten und Meinungsforschungsinstituten bescheinigen immer wieder, dass ein erschreckend hoher Anteil der deutschen antisemitisch oder/und ausländerfeindlich eingestellt sei. In einem Artikel der jüdischen Allgemeinen vom 18.03.2010 wird beispielsweise eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstitutes emnid zitiert, nach der 30% der jugendlichen Deutschen finden in Deutschland gäbe es zu viele Ausländer, 7% sagen sogar von sich selbst "sehr ausländerfeindlich" eingestellt zu sein.

Darüber hinaus sind auch Teile der bundesdeutschen Gesetzgebung und der politischen Praxis ausländerfeindlich durchsetzt.

Flüchtlinge, die in Sachsen ankommen und auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten werden zentral in Heimen untergebracht. Somit wird deren Privatssphäre eingeschränkt und ihr Recht auf Selbstbestimmung verletzt. Ausserdem ist diese Unterbringung eine Gefahr für Wohl und Gesundheit der Bewohner_innen. Weiterhin gilt die sogenannte Residenzpflicht. Das heisst Asylbewerber_innen dürfen ihren jeweiligen Wohnort nicht über die Grenze der Stadt oder des Landkreises hinaus verlassen ohne vorher einen Antrag zu stellen. Staatliche Unterstützung erhalten sie vielerorts nur mittels Sachleistungen, was zum Beispiel den selbstständigen Einkauf von Lebensmitteln verunmöglicht. Und diejenigen, die Bargeld bekommen erhalten noch weiter weniger, als den vor kurzem für verfassungswidrig erklärten Hartz IV Satz, also auf jeden Fall weniger als das gesetzlich bestimmte Existenzminimum an Geld bedarf.

Den meisten Asylanträgen wird in Deutschland nicht statt gegeben. Menschen, die zum Beispiel auf Grund wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit in die BRD einwandern wollen werden wieder abgeschoben, da dies nach staatlicher Sicht als Grund nicht ausreicht. Dass die Einwanderungsgründe der Asylsuchenden "nicht ausreichen" wird von den Behörden von vornherein angenommen. So sind zum Beispiel in der Dresdner Haftanstalt stets 25 Plätze für Abschiebehäftlinge reserviert. Menschen deren Asylantrag abgelehnt wird, die ausserdem auch nicht geduldet werden, werden abgeschoben. Bevor es jedoch soweit ist, werden sie von deutschen Behörden in Haft genommen, ihnen wird ihre Freiheit entzogen. Im vergangenen Jahr schob die BRD über 7800 Menschen ab, viele davon erwartete dadurch Armut, Hunger, Folter oder Tod.

Menschenunwürdige Strukturen, Praxis, Vorurteile und Diskriminierung durchdringen die gesamte Gesellschaft. Solche Fälle wie die Tötung Jorge Gomondais bilden die traurigen "Höhepunkte" des Problems Rassismus, der in Deutschland nach wie vor fest verankert ist. Gegen diesen gilt es tagtäglich anzukämpfen, auf den Strassen, in den Parlamenten und vor allem in den Köpfen der Menschen. Um dazu einen Beitrag zu leisten rufen wir zur Demonstration am 6.4.2010 in Dresden auf.

In Erinnerung an Jorge Gomondai, der Opfer von Nazigewalt wurde. Gegen Rassismus immer und überall.

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