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Freispruch für Zapfenstreich-Gegner rechtskräftig
Staatsanwaltschaft nimmt Rechtsmittel zurück

Dresden, den 05.03.2010. In dem Strafverfahren gegen den Antimilitaristen Jörg Eichler wegen eines Protestplakats gegen einen Zapfenstreich der Bundeswehr in Dresden hat die Staatsanwaltschaft (StA) Dresden ihr bereits eingelegtes Rechtsmittel gegen den Ende letzten Jahres ergangenen Freispruch des Amtsgerichts Dresden zurückgenommen. Nach insgesamt über dreijähriger Verfahrensdauer ist damit die Entscheidung des AG, nach dem die Verwendung der sog. "Doppelsigrune" auf dem antimilitaristischen Plakat nicht strafbar ist, rechtskräftig geworden.

Gegenstand des Verfahrens war eine Grafik im Internet, mit der zu Protesten gegen den Grossen Zapfenstreich der Bundeswehr im Oktober 2006 auf dem Dresdner Altmarkt aufgerufen worden war. Auf der Abbildung waren unter der Überschrift "Wider die Militarisierung des Alltages" mehrere Soldatenköpfe mit Helmen aus verschiedenen Zeiten abgebildet. Neben der preussischen Pickelhaube und einem Helm mit dem Emblem der Bundeswehr befand sich auf einem der Helme auch eine sog. "Doppelsigrune", um auf die furchtbarste Epoche des deutschen Militarismus hinzuweisen, in dessen Tradition die Bundeswehr sich mit der Durchführung derartiger Militärrituale bewusst stellt. Gegen den 34-jährigen Studenten war deshalb Anklage wegen "Verwendens von Symbolen verfassungswidriger Organisationen" (§ 86a StGB) erhoben worden. Zuvor hatte das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen mit acht Beamten etwa vier Stunden lang die Wohnung des Angeklagten durchsucht. Den Provider der betreffenden Website hatte das LKA zu sofortiger Sperrung der Domain aufgefordert und bei Nichtbefolgen mit Strafverfolgung gedroht.

Dem regen Strafverfolgungseifer der sächsischen Justiz tat offensichtlich keinen Abbruch, dass dieses Vorgehen in krassem Widerspruch zu der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stand; dieser hatte nämlich bereits seit 1972 in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle immer wieder betont, dass die Verwendung derartiger Symbole nicht strafbar sei, wenn sie erkennbar in kritischer Absicht erfolge und die Gegnerschaft zu dem Symbolgehalt offenkundig sei. Erst 2007 hatte der BGH diese Grundsätze erneut bekräftigen müssen, als es um den deutlichsten Sachverhalt - einem durchgestrichenen Hakenkreuz (!) - ging.

Davon völlig unbeeindruckt hatte die StA Dresden im hiesigen Fall jedoch nur zwei Monate nach dieser Entscheidung dennoch Anklage gegen den Dresdner erhoben - die Gegnerschaft war ihr nicht eindeutig genug: Die Grafik richte sich nur "allgemein gegen eine Militarisierung des Alltages, insbesondere in Form eines Zapfenstreichs. Was dies mit der Waffen-SS zu tun haben soll, bleibt offen", so die Anklageschrift. Auch in der Verhandlung im Dezember letzten Jahres blieb die StA bei ihrer Haltung und hatte die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen beantragt. Das AG Dresden war jedoch zu dem vom BGH vorgezeichneten Ergebnis gelangt, dass die Kriminalisierung der Abbildung zu Unrecht erfolgte und eine Verurteilung nicht in Betracht käme. Aber selbst das freisprechende Urteil des AG hatte die StA zunächst nicht beruhigen können: Gegen die Entscheidung hatte sie Revision eingelegt. Der Pressesprecher, Oberstaatsanwalt Christian Avenarius, hatte gegenüber der Sächsischen Zeitung am 22.01.10 noch bekräftigt, den Freispruch nicht akzeptieren zu wollen, weil die Urteilsbegründung nicht überzeugt habe. Nun hat die StA Dresden jedoch entschieden, das Rechtsmittel zurückzunehmen und die Sache nicht weiter verfolgen zu wollen. Für Verteidiger Beutner "fraglos die einzig richtige Entscheidung", es sei aber "ein Skandal, dass die StA Dresden über drei Jahre meinte, die bindenden Vorgaben des BGH komplett ignorieren zu dürfen".

Dass dies "offensichtlich kein Einzelfall" sei, zeige das jüngst bekannt gewordene "auffallend parallele Vorgehen" gegen das linke Bündnis "Dresden Nazifrei", das zu Blockaden des Naziaufmarsches am 13. Februar 2010 aufgerufen hatte: Auch hier hatte die reibungslose Kooperation zwischen LKA Sachsen, StA und AG Dresden zu rechtlich höchst fragwürdigen Hausdurchsuchungen geführt, auch hier sorgte das LKA im Auftrag der StA für die Sperrung der Internetseite des Blockade-Bündnisses. Während die StA Dresden nach massiver Kritik mittlerweile selbst von einem "Versehen" spricht, drängt sich für Beutner eher der Verdacht auf, es handele sich um ein "eingespieltes Zusammenwirken der sächsischen Strafverfolgungsbehörden, die auch eine Überschreitung der Grenzen rechtstaatlichen Handelns in Kauf nehmen, wenn es um die Bekämpfung politisch unliebsamer Aktivitäten von links geht".


Detlev Beutner

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