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To know the worst
Postnazismus und aktuelle Wirtschaftskrise in Deutschland
(Till Grefe) Mit der "Kernschmelze der Finanzwirtschaft" vom Oktober 2008 sehen die meisten Beobachter die tiefste Wirtschaftskrise seit der grossen Depression Anfang der Dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts für gekommen an. Doch ist das auch Grund für Hoffnungen der Linken auf emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung? Die erste Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft löste mancherorts noch Euphorie aus. "Die amerikanische Krise ist herrlich", so Karl Marx am 20.10.1857, zwei Monate nach der Zahlungsunfähigkeit der Bank "Ohio Life Ensurance Company" in einem Brief an Engels. Der Rückschlag auf die französische Industrie sei unmittelbar, freute sich Marx. "Der Jammer der englischen Finanzredakteure, dass ihr englisches Geschäft gesund sei, aber ihre Kunden im Ausland ungesund seien, ist originell und munter." Engels antwortete seinem Freund hoffnungsfroh. "Der Handel ist jetzt wohl auf 3 bis 4 Jahre klatsch. Wir haben Chancen!" Was in der Anfangszeit der Arbeiterbewegung noch Grund zur Freude und zur Hoffnung auf die Stärkung des revolutionären Potentials bedeutete, eine weltweite Krise der kapitalistischen Verwertung, wurde im 20. Jahrhundert auch von Linken ganz anders bewertet: Der Rätekommunist Paul Mattick sah die Weltwirtschaftskrise der Jahre nach 1929 als "die Todeskrise des Kapitalismus." Entweder der Kommunismus werde erkämpft, oder die Barbarei sei sicher, so Mattick: "Das Kapital bricht nicht von selbst zusammen. Wenn die Arbeiterschaft nicht, in kraftvollen Industrie-Unionen organisiert, die Produktionsmittel in Besitz nimmt und das Ausbeutungssystem beseitigt, dann geht die Arbeiterschaft, über die vollständige Kulisierung, der Massenvernichtung, der Barbarei entgegen." Tatsächlich aber wurde der Kapitalismus weder durch eine Revolution der Arbeiter hinweggefegt, noch wurden die deutschen Arbeiter zu Tagelöhnern - "Kulis" - degradiert, statt dessen formierten sich die Deutschen im Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft, verübten Massenmorde und zogen in den Raubkrieg. Der Staatsrechtler Carl Schmitt postulierte 1930 gegen den Pluralismus "die Pflicht zum Staat" und der Ökonom Alfred Müller Armack agitierte 1933 in seiner Kampfschrift "Staatsidee und Wirtschaftsordnung im neuen Reich" gegen den Liberalismus und für die Volksgemeinschaft: "Erst ein aus dem Volkstum aufgebauter Staat gewinnt durch dieses die Kraft zu dauerhafter geschichtlicher Bildung." Die Volksgemeinschaft wird zur Lösung der Krise. "Dieser Nationalismus ist bewusst gewordener Geschichtsaktivismus", so Müller Armack. Die Deutschen ermächtigten sich selbst zum Raubkrieg und zum Massenmord an den Jüdinnen und Juden Europas. "Die Revolution war nicht da, es kam Auschwitz", so konstatiert Gerhard Stapelfeldt das doppelte Scheitern der Linken an der deutschen Barbarei. Weder kam es in der Krise zu einer kommunistischen Revolution, noch konnte die Arbeiterbewegung Auschwitz verhindern. Für die kritische Analyse der Gesellschaft ist die Shoa nicht nur als der Zivilisationsbruch zu denken, sondern auch als Bruch zu jeglicher bis dahin formulierten Kritik des Kapitalismus und Utopie seiner Überwindung. Im Postnazismus wurde der Moment der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zur "Stunde Null" umgelogen. Der vormalige Propagandist des Nationalsozialismus Müller-Armack wurde als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium die rechte Hand Ludwig Erhards und wird noch heute als "Vater der Sozialen Marktwirtschaft" verehrt. Eine Traditionslinie aus der auch heute noch das Vertrauen der Deutschen in "Sicherheit und Ordnung" und "Soziale Marktwirtschaft" rührt. Als einige der pointiertesten Kritiker an der Widersinnigkeit und Brutalität der gesellschaftlichen Zustände und ihre deutschen Kontinuität treten seit Jahren Vertreter der Freiburger Gruppe "initiative sozialistisches forum" hervor. Der Vortrag widmet sich der Vorstellung ihrer Auseinandersetzung mit Kritik und Krise, Wertvergesellschaftung, staatlicher Souveränität und deutscher Ideologie. Hörtipps: http://audioarchiv.blogsport.de/2009/02/27/kalkuel-und-wahn-vertrauen-und-gewalt-vor-dem-ausnahmezustand-des-kapitals/ http://audioarchiv.blogsport.de/2009/03/30/der-staat-des-grundgesetzes-ueber-das-verhaeltnis-von-kapital-und-souveraenitaet-in-deutschland/ |
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