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Deutschland trau(er)t sich wieder.

Nach den Ereignissen um den diesjährigen 13. Februar ist es in unserer Gruppe Konsens, dass dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im nächsten Jahr aus linksradikaler Sicht mehr entgegengesetzt werden muss, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. In den letzten Jahren fanden immer wieder mehr oder weniger grosse Debatten innerhalb der Dresdner linken Szene statt. Dabei waren zwei grössere Fraktionen auszumachen: Eine Seite wollte den Tag für Friedensarbeit nutzen, der Gegenpart lehnte das entschieden ab und wollte die allgemeine revisionistische Trauerarbeit angreifen. Ein entscheidender Streitpunkt war jedes Jahr, ob die Bombardierung als notwendige Kriegshandlung oder als sinnloses Töten einzuordnen sei. Das Ergebnis der Diskussionen war oft eine von schlecht geplanter Kleingruppenarbeit geprägte politische Praxis zu den jeweilig präferierten Aspekten des Jahrestages. Aus unserer Sicht sind nur wenige Aktionen herauszuheben. Es gab zum Einen die Aktion einer Leipziger Gruppe im Kulturpalast, als während einer Gedenkveranstaltung ein Transparent ("no tears for krauts") entrollt wurde, zum Anderen die Aktion einer Dresdner Gruppe, bei der an allen Zugängen zum zentralen Trauerplatz vor der Frauenkirchen-Baustelle ein Film mit dem Titel "Lieber eine Bombe auf den Kopf, als nach Auschwitz" gezeigt wurde. Allen Aktionen erging es ähnlich, sie wurden kaum wahrgenommen.

Gerade wegen dieser Umstände haben wir uns zusammengefunden, um eine Arbeitsgrundlage für politisches Agieren um das Datum 13. Februar herzustellen. Wir möchten in die Arbeit zu dem Thema möglichst grosse Teile der Dresdner Linken einbeziehen oder zumindest ansprechen. Wir halten das Datum und dessen revisionistischen Charakter für so wichtig, dass sich zumindest in Dresden keine linke Gruppe von einer Positionierung ausnehmen kann. Das Ergebnis unserer Bewertung wollen wir möglichst früh transparent machen. Dabei soll auch der Background der Positionen der verschiedenen Fraktionen in der Dresdner Linken kritisch betrachtet werden.

In den letzten Jahren hat sich der Aufmarsch am 13. Februar zu einer festen Grösse im Terminkalender für gut besuchte Zusammenkünfte der Nazis entwickelt. Das hat sich so weit herumgesprochen, dass an demselben Tag anderswo in Deutschland kleinere Aktionen in Bezug auf die Bombardierung Dresdens durchgeführt wurden. Die Dresdner Bevölkerung hingegen verschliesst sich samt ihrer Presse fast vollständig der stattfindenden Demonstration von Rechtsradikalen, die an jenem Tag - nicht zufällig - unter zumindest ähnlichen Losungen wie die der eigenen Trauer stattfinden. Das ist sehr erstaunlich in einer Zeit, in der nahezu jede deutsche Kleinstadt zum "Widerstand" gegen Nazidemos aufruft. Selbst in Dresden ist das bei ähnlich grossen Nazidemos Usus, warum aber nicht an diesem Tag?

Erstaunlicherweise wird das Stören der Trauer von allen Beteiligten als solches wahrgenommen, verurteilt und sogar dagegen handgreiflich vorgegangen. Die in räumlicher Nähe befindlichen rechtsradikalen Bestandteile der deutschen Gesellschaft, welche gewöhnlich eine gewisse Ächtung erfahren, spielen bei derartigen aggressiven Auswüchsen der Trauerarbeit keine Rolle. Als Krönung des Ganzen gab es in den letzten 2 Jahren eine parallel zur Nazidemo stattfindende Antikriegsdemo, deren Transparente grosse inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den Parolen auf den Transparenten der Nazis aufwiesen; es bestand und besteht weitgehende Einigkeit bezüglich der Ablehnung "des Krieges" der USA.

Als Grundlage unserer Analyse haben wir eine Einteilung aller an dem Tag agierenden Gruppierungen vorgenommen, welche sich in drei Blöcke einteilen lassen. Sie besitzen fliessende Übergänge und sind als heterogen zu betrachten. Die Unterschiede in der Motivation, das Datum zu bearbeiten, sind jedoch unübersehbar. Die Trennung in drei Blöcke dient nur der Differenzierung der zu kritisierenden Gruppen. Sie agieren trotz und aufgrund ihrer unterschiedlichen Historie zunehmend gemeinsam.

"Trauernde DresdnerInnen"

Tausende Menschen, ein Querschnitt der EinwohnerInnen Dresdens, treffen sich zum gemeinsamen Gedenken "ihrer" Opfer und der Zerstörungen ihrer schönen Stadt durch alliierte Bombardements. Bei genauerer Verortung der Volksmeinung wird eine Quasi-Rechtsnachfolgerschaft für die damals Gestorbenen angetreten, dies aber nur bezüglich des erfahrenen Leides und somit Anklage geführt gegen damalige TäterInnen. Hier wird am deutschen Opfermythos gemeinschaftlich weitergesponnen. Unter dem Deckmantel der Trauer werden jährlich geschichtsrevisionistische Thesen formuliert. Kein Wort wird in diesem Zusammenhang an den deutschen Angriffskrieg, den Vernichtungskrieg im Osten Europas und die Shoa verloren. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem einhergehenden Prozess der Wiedervereinigung entledigt man sich Schritt für Schritt vormaliger Tabus und kreiert sich eine Legitimation für ein wieder erstarkendes neues deutsches Selbstbewusstsein.

Friedensbewegte und Kirchenkreise

Der Wunsch nach Frieden, in welcher Form auch immer, treibt diese Kreise ebenfalls alljährlich auf die Strasse. Die Ursprünge ihres Engagements sind teils in der Hippiebewegung/Kirchenkreisen der DDR zu finden, die Mitte der 80iger den 13. Februar erstmals nach mehreren Jahrzehnten als Massenevent neubelebten. Dies geschah im Umfeld der pazifistischen Friedensbewegung ("Schwerter zu Pflugscharen"), für die sich der 13. Februar als vermeintlich guter Anknüpfungspunkt für ihre Forderungen anbot. Den anderen Teil stellen Menschen, denen die vielen Kriege in letzter Zeit als Bedrohung für ihre eigene Existenz erscheinen. Die Pro-Friedensposition erfährt eine gewisse Affinität in Dresdner Linkskreisen. Auch hier wird Anklage geführt gegen die Enkel der Alliierten, meist gegen die USA, die noch immer der Lust an "Massenvernichtung" anhängen würden und in ihrem imperialistischen Expansionswillen ständig auf der Suche nach neuen Zielen seien, weswegen es auch vor Ihnen zu warnen und gegen sie zu protestieren gelte, was dann auch ausgiebig getan wird. Dass es bei der Kriegspolitik der eigenen Regierung in Jugoslawien nicht zu annähernd so grossen Demonstrationen wie zum Irakkrieg kam, macht die Antikriegsposition nicht sehr glaubwürdig. Auch hier wird, beabsichtigt oder nicht, die deutsche Politik der Reinwaschung der Nation unterstützt, indem die Einzigartigkeit der deutschen Verbrechen nivelliert wird, nach dem Motto: Krieg ist Krieg, werden alle Kriege in eine Reihe gesetzt. So wird der deutsche Vernichtungskrieg im Osten vermeintlich das Gleiche wie der Krieg der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland, alle sind irgendwie Opfer und so reicht der Schulterschluss von Dresden über Coventry, Hiroshima, Bagdad bis zu den Opfern der Anschläge vom 11. September.

Nazis und Vertriebenenverbände

Dieser Block präsentiert sich seit einigen Jahren als eigenständige Demonstration und versucht zudem in das Territorium der anderen Blöcke räumlich und ideologisch einzudringen. Die Demonstration der Nazis wächst jedes Jahr mehr an und hat sich zu einem Highlight der nationalen und internationalen Naziszene entwickelt. Im Gegensatz zu den beiden anderen Blöcken werden sie erstaunlicherweise fast nicht erwähnt. Sie bilden die immer weniger radikale Ausformung der nationalen Idee des selbstbewussten Deutschlands, das Deutschland, in dessen Bewusstsein immer wieder das selbst erlittene Leid und Opfertum die Rezeption von Geschichte prägt. Die an diesem Tag in Dresden präsentierten Meinungen sind kaum von denen der anderen Blöcke zu unterscheiden. Das ist kein taktischer Versuch, sich der Position der Bevölkerung anzunähern, sondern stellt schlicht ihre Meinung dar.

Was in den letzten Jahren noch als Gegensatz (Trauer über Opfer, Antikriegspositionen, Nazidemo) diskutiert wurde, sollte als ein Zusammenhang gedacht und thematisiert werden. Da vor allem die Nichtnutzung der Möglichkeiten von Abgrenzung aller Beteiligten nicht wahrnehmbar ist, kann sie auch nicht als entschuldbare Nachlässigkeit zur Debatte stehen. Wir können in diesem Zusammenhang von einem gemeinsamen Motiv ausgehen, dessen (wenig) differenzierte Zurschaustellung lediglich umfassendere Spektren in der Öffentlichkeit erreicht. Ob gewollt oder nicht - die Interessenlage mag durchaus unterschiedlich sein, die gemeinsame Entfaltung im Gesamtbild des öffentlichen Raums in Dresden an jenem Tag findet statt und unterstützt denselben revisionistischen Diskurs. Dieser Diskurs hat das Ziel, das Projekt deutsche Nation, welches spätestens nach 1945 jegliche Legitimität verloren hatte, neu zu beleben. Die neue deutsche Grossmachtpolitik, die deutsche Interessen weltweit offensiv vertritt, soll nicht mehr mit dem Makel des Nationalsozialismus behaftet sein. Deshalb wird die Geschichte fatal umgedeutet oder, wenn sich der Makel nicht verleugnen lässt, zu einer geschichtlichen Erfahrung verfälscht, deren Bewältigung Deutschland in die Lage versetzt, ja geradezu prädestiniert, nun weltweit Demokratie und Menschenrechte herbeizubomben. Der Nachkriegskonsens, dass von deutschem Boden, gerade wegen Auschwitz, nie wieder Krieg ausgehen darf, wurde spätestens mit dem hauptsächlich von Deutschland vorbereiteten und durchgeführten Angriffskrieg auf Jugoslawienendgültig in sein Gegenteil verkehrt. Das neue Motto lautet, dass Deutschland gerade mit der Erfahrung Auschwitz weltweit Krieg führen muss. Bei dieser Neukonstruktion der Geschichte spielt die jährliche Zelebrierung deutscher Opfer in Dresden eine bedeutende Rolle. Die ideologische Klammer offenbaren die Nazis, die schon immer Revisionismus pflegen und die USA angreifen wollen. Damit die Seelenverwandtschaft nicht allzu theoretisch bleibt, begeben sich alle drei Blöcke in das Zentrum einer einzigen Stadt und tun ihren Willen kund. Man ist sich sogar über die Nichtexistenz einer politischen Diskrepanz so einig, dass man sich gegenseitig nicht erwähnt.

An jedem 13. Februar wird in Dresden einem Opfermythos nachgehangen, in den letzten Jahren wurde diese Tendenz immer stärker sichtbar. Allein schon der Gedanke an Versöhnung ("Brücken bauen - Versöhnung suchen") - ein Gedanke, der zuletzt häufig als Motiv für die Trauer- und Gedenkarbeit benannt wurde - verdeutlicht den absurden Standpunkt, an dem sich das Trauerkollektiv wähnt. Versöhnung würde ursächlich eine Entzweiung, einen Konflikt voraussetzen, den es zu beenden gilt. Der Konflikt, in diesem Fall der zweite Weltkrieg, entstand allerdings nicht im luftleeren Raum, sondern hat klare Ursachen in der deutschen TäterInnenschaft bei der Führung von Angriffskriegen, im nationalsozialistischen Terror, mit dem die Deutschen Europa überzogen und in der Ermordung von 6 Millionen Juden/Jüdinnen. Versöhnung setzt eine Auseinandersetzung und Reflexion über die deutschen TäterInnenschaft voraus. Der 13. Februar, ein Symbol für den herbeihalluzinierten Opferstatus der Deutschen, dürfte das wohl unpassendste Datum sein, diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu demonstrieren. Statt den Alliierten für die Zerschlagung Nazideutschlands zu danken und sich mit der deutschen TäterInnenrolle auseinander zu setzen, sieht man sich als Opfer, das sich in grosszügiger Weise zur Suche nach Versöhnung durchgerungen hat. Aus dieser Umkehrung der Täter - Opferrolle heraus wird keine Trauer begangen, sondern der Ruf nach Rache und Vergeltung postuliert. Die Gleichmachung aller Opfer setzt sich in der aktuellen Auseinandersetzung um ein "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin fort.

Wir möchten diese Grundlage vertiefen und unsere Position in der Öffentlichkeit und in der Linken möglichst massiv darstellen. Anregungen, anderweitige Gedanken und Kritik sind erwünscht.

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