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Pressemitteilung: Starke AfD in Sachsen zur Bundestagswahl - warum?

Die rechtspopulistische Partei AfD wird in den deutschen Bundestag einziehen. Eine sehr grosse, wahrscheinlich die grösste prozentuale Zustimmung von Wählerstimmen erzielte die Partei in Sachsen. Warum?

"Der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag ist eine Schande. Die Gründe dafür sind mehr als nur blosse Fremdenfeindlichkeit und Abstiegsängste" erklärt Eric Hattke, Vorsitzender von Atticus e.V.

Die Pressemitteilung versucht die Umstände zu beleuchten, die zum Wahlerfolg der AfD, besonders im Osten und Sachsen, ermöglicht haben.

DDR Vergangenheit

Im antifaschistischen Selbstverständnis der DDR gab es Alt- und Neo-Nazis nur im Westen. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus hat in der alten Bundesrepublik erst in den späten 60er Jahren begonnen, mehr als 20 Jahre nach Kriegsende. In der DDR fand sie nie statt. Wenn heute Rentner in Kameras sagen: "Ich bin kein Nazi, aber…", tun sie dies nicht, weil sie Lügner sind, sondern weil sie kein Bewusstsein davon haben was es heisst, nationalsozialistisches Gedankengut zu äussern.

"Menschen, die vor 27 Jahren für die Demokratie und ein freies Land gekämpft haben, werfen es jetzt geradezu weg. Eine verhängnisvolle Melange aus alten, festsitzenden Überzeugungen und lange aufgestauter Frustration" bewertet Amrei Drechsler (geb. 1966 in Sachsen), stellvertretende Vorsitzende, die Entwicklung.

Zudem gab es eine wirkliche Auseinandersetzung mit der "Diktatur des Proletariats" bis heute, fast 30 Jahre nach dem Mauerfall, nicht.

Der Untergang der alten DDR kam einigen Bürgern wie ein verlorener Krieg vor, auf den die Landnahme des Gewinners folgte. 87 % der Wohnbevölkerung im Osten sind auch dort aufgewachsen. Der Anteil von Ostdeutschen, die wichtige Ämter bekleiden ist allerdings äusserst gering. Gerade einmal 25% der Unternehmensleiter, 14% der Rektoren, 13,3% der gesamten Richterschaft und 9% der Verlagsleiter sind Ostdeutsche. Von allen 190 Vorstandsposten der 30 grössten börsennotierten Unternehmen Deutschlands sind nur ganze 3 mit Ostdeutschen besetzt (1,6%). Protestwahl heisst deshalb im Osten im Kern auch Auflehnung gegen den Westen.

Die wirtschaftliche Abwicklung vieler Betriebe im Osten durch die Treuhand brachte das Gefühl im Osten auf, die Verlierer der Deutschen Einheit zu sein. Die Abwanderung derjenigen, die die Wende als Chance nutzten vertiefte das soziale Gefälle und trägt so zum Wahlerfolg der AfD im Osten bei.

"Hinter den Fassaden der versprochenen blühenden Landschaften sitzen Menschen, deren Lebensleistung oft nichts mehr zählt" schätzt Amrei Drechsler ein.

"Die Nachwirkungen der DDR sind der Grundstein, auf dem die AfD im Osten steht" ergänzt Eric Hattke.

CDU Sachsen

In Sachsen regiert seit dem Umbruch 89/90 ununterbrochen die CDU. Sie setzte von Anfang an auf nationalkonservative Töne, ordnete dem wirtschaftlichen Aufschwung alles unter und überblendete soziale Probleme. Zudem wurde rechtes Gedankengut von politischen Verantwortlichen weitestgehend geleugnet. Schon im Jahr 2000 befand Kurt Biedenkopf, Sächsischer Ministerpräsident von 1990 - 2002, CDU: "Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus". Diesen Satz wiederholte Biedenkopf im September 2015 genauso.

Fehlende Bildung

In der 2016 veröffentlichten Studie "Sachsenmonitor" werden demokratiefeindliche Tendenzen in Sachsen gemessen, die vergleichbar sind mit dem Rest des Ostens. Mehr als 57 % der Sachsen finden, dass die Bundesregierung durch zu viele Ausländer gefährlich überfremdet ist, 18 % glauben, die Deutschen seien anderen Völkern von Natur aus überlegen und 62% wollen eine einzige starke Partei, die die "Volksgemeinschaft" insgesamt verkörpert. Eine Sonderrolle im gesamten ostdeutschen Vergleich bildet die Gruppe der 18 bis 29- Jährigen in Sachsen. Sie ist die Altersgruppe, die doppelt so hohes rassistisches Gedankengut aufweist wie alle anderen Altersgruppen. Fehlende politische Bildung und das Versäumnis eines demokratischen Erlebens führten dazu, dass die AfD in der U18 Wahl 2017 mit 15% die zweitstärkste Partei in Sachsen wurde.

"Zu lange war in Sachsen die Pisa-Studie das Mass, mit dem Erfolg gemessen wurde. Wenn nicht ein Umdenken in der Bildungspolitik einsetzt, wird das Fortbestehen unserer Demokratie weiter gefährdet" erläutert Eric Hattke.

Die fehlende Begegnung mit Migranten (2,2% Migrationsanteil in ganz Sachsen) ermöglichen es der AfD, die Angst vor dem Fremden erfolgreich zu schüren. Weiterhin ist die mangelnde Entwicklung von breiter Zivilcourage einer der Hauptgründe, warum Dresden die einzige deutsche Grosstadt ist, in der PEGIDA weiterhin jeden Montag demonstriert. Dass der rechtsextreme Jens Maier aus Dresden in den neuen Bundestag einzieht, ist ein weiterer Beleg für die weite Verbreitung rechten Gedankengutes in Sachsen: "Viele Leute haben die NPD gewählt, weil sie die einzige Partei war, die immer geschlossen zu Deutschland gestanden hat", Jens Maier, Januar 2017.

"Bei allen Ärger um die Wahlerfolge der AfD dürfen nicht die übersehen werden, die für eine demokratische und friedliche Zukunft arbeiten. Daher ist unsere Antwort auf Hass nicht noch mehr Hass. Unsere Antwort auf Wut und Empörung ist nicht noch mehr Wut. Wir sind nicht verunsichert, wir fühlen uns bestärkt darin, dass wir das Richtige tun. Wir wissen, dass wir nicht allein sind. Deshalb machen wir weiter, aus voller Überzeugung und mit ganzer Kraft" so Hattke abschliessend.

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