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BRN-Review: Kitsch, Kommerz, Polizeikontrollen, Politik
Am Wochenende wurde die 29. Auflage der Bunten Republik Neustadt (BRN) gefeiert. Neben dem seit Jahren schon BRN-typischen kommerziell ausgerichteten Ständen, wurde in diesem Jahr immer wieder auf politische Themen aufmerksam gemacht. Bereits am Freitagabend hatte eine Gruppe auf der Königsbrücker Strasse ein Haus besetzt, um auf Missstände wie immer weiter steigende Mietbelastungen, Wohnungsknappheit und die fortschreitende Verdrängung von Freiräumen aufmerksam zu machen. Am Sonntagnachmittag demonstrierten Klimaaktivistinnen und Aktivisten für mehr Klimagerechtigkeit. Kurz darauf kam es zu mehreren rassistisch motivierten Polizeikontrollen hinter der Scheune. Die Polizei, die das Wochenende über mit insgesamt 1.000 Beamtinnen und Beamten vor Ort war, sprach am Sonntag von einer "friedlichen Veranstaltung". Bei mehreren zehntausend Besucherinnen und Besuchern wurden bis Sonntagnachmittag lediglich 89 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten festgestelllt, fast die Hälfte davon waren Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz. Bei der Aktion am Sonntagnachmittag hatten sich rund zwei dutzend Menschen der Gruppe "Extinction Rebellion Dresden" getroffen und machten mit einem Die-In auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam. Dafür legten sie sich am Martin-Luther-Platz, der Kamenzer Strasse und weiteren Orten auf den Boden, um symbolisch aufzuzeigen, welche dramatischen Folgen der Klimawandel für die Menschheit haben könnte. Dazu wurden Redebeiträge verlesen, die dazu aufriefen, nicht nur Klimagerechtigkeit zu schaffen, sondern auch die Ausbeutung von Mensch und Natur zu stoppen. Ein Sprecher bekräftigte gegenüber addn.me ihre Aktion: "Wir wollen unsere Forderungen gewaltfrei, aber mit Mitteln des zivilen Ungehorsams nach Aussen tragen. Wir müssen jetzt beginnen über den Klimawandel zu reden und Massnahmen treffen. Deswegen sind wir hier und werden auch wiederkommen." Unter anderem rief die Gruppe in einem Flyer dazu auf, sich in zivilgesellschaftlich organisierten Versammlungen mit den Folgen des Klimawandels auseinanderzusetzen und die sozialverträgliche Umsetzung von Klimamassnahmen zu gewährleisten. "Extinction rebellion" (XR) hat ihren Ursprung in Grossbritannien. Dort wurde die Gruppe 2018 gegründet und machte durch landesweite Flashmobs schnell auf sich aufmerksam. Europaweite Berühmtheit erlangte die Gruppe, als sie im November 2018 mit über 6.000 Menschen die wichtigsten Brücken über die Themse blockierte. Mehrere dutzend Personen wurden damals festgenommen. Allein im April 2019 waren bei weiteren Protesten in der britischen Hauptstadt mehr als 500 Menschen zwischenzeitlich festgenommen worden. Mittlerweile gibt es in mindestens 49 Ländern insgesamt mehr als 330 lokale Ortsgruppen, seit wenigen Wochen auch in Dresden. Jeden Donnerstag treffen sich interessierte Menschen um 20:30 Uhr im Malobeo (Kamenzer Strasse 38). Neben den Aktionen Hausbesetzung und Die-Ins waren an einigen Bühnen weitere aktuelle Themen präsent. Hinter dem Neustädter Kulturzentrum Scheune wurde mit grossen Bannern und einem Infotisch auf das Bündnis #unteilbar hingewiesen. Unteilbar gründete sich im vergangenen Jahr in Berlin und mobilisiert aktuell spektrenübergreifend "für eine offene und freie Gesellschaft" zu einer Grossdemonstration am 24. August 2019 nach Dresden. Das Bündnis will nicht zulassen, dass "Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden". Im Oktober 2018 lud das Bündnis zu einer Demonstration in Berlin ein, die mit mehr als 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu den grössten politischen Veranstaltung der letzten Jahre zählte. Im Vorfeld der anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen soll der rassistischen Politik der AfD umfassende Solidarität entgegengesetzt werden: "Menschen die auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Gleichwertigkeit aller in ihrem Ansehen und ihren Möglichkeiten ist nicht verhandelbar. Allen hier lebenden Menschen muss gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden", heisst es dazu im Aufruf von "Unteilbar" für die Demonstration in Dresden. Auf der Böhmischen Strasse wurde Geld für das 2016 in Dresden gegründete Seenotrettungsprojekt "Mission Lifeline" gesammelt. Auf der Parallelstrasse - der Louisenstrasse - wurde mittels eines Banner auf die Proteste von "Rechts rockt nicht!" hingewiesen. Am kommenden Samstag wollen im sächsischen Ostritz erneut hunderte Nazis bei Musik und Kampfsport ihre menschenverachtende Ideologie ausleben. Dagegen organisiert "Rechts rockt nicht!" bereits zum dritten Mal in Folge Gegenproteste, um das Treiben nicht unkommentiert zu lassen. Am Sonntagnachmittag kam es dann zu einer grösseren Polizeikontrolle von vier Personen, von denen drei einen Migrationshintergrund hatten. Anlass für die Kontrolle soll laut Mitteilung der Polizei Sachsen der Hinweis einer "Bürgerin" gewesen sein, die eine Personengruppe beim Handel mit Drogen gesehen haben will. Die Personen wurden zunächst öffentlichkeitswirksam auf dem Scheunevorplatz festgesetzt und anschliessend von der Strasse weg, in den hinteren Bereich gebracht. Dort wurde zur Identitätsfestellung eine Person von bis zu sechs Polizistinnen und Polizisten so fixiert, dass sie anschliessend medizinisch behandelt werden musste. Während der ungefähr eine Stunde andauernden Massnahme sammelten sich immer wieder Menschen hinter der Scheune, um den wenig professionell scheinenden Polizeieinsatz kritisch zu begleiten und sich mit den Betroffenen zu solidarisieren. Laut Beobachterinnen und Beobachtern soll es während des Festes an einer ganzen Reihe von Orten immer wieder zu offensichtlich rassistisch motivierten Kontrollen gekommen sein. Zugleich kritisierten sie das willkürliche Vorgehen der Polizei als überzogen und ungerechtfertigt. Eine Anwesende gegenüber addn.me: "Dass sechs Polizistinnen und Polizisten auf einer am Boden liegenden Person knieten, die keinen Widerstand geleistet hat, nur um die Personalien festzustellen, entbehrt für mich jeder Verhältnismässigkeit". Weiter wird die Intention der Massnahme von der Anwohnerin in Frage gestellt: "Für mich drängte sich der Gedanke auf, dass es hierbei weniger um Drogen, als vielmehr um Einschüchterung und Stigmatisierung ging. Anders kann ich mir das Vorgehen nicht erklären." Die Sächsische Polizei steht immer wieder in der Kritik, auf Grund von "Racial Profiling" Kontrollen durchzuführen. Besonders leicht hat sie es dabei an so genannten "gefährlichen Orten". Das sind Gebiete, die die Polizei selbst deklarieren kann und in denen rechtliche Hürden für Personenkontrollen nahezu aufgehoben sind. In der Äusseren Neustadt zählt dazu unter anderem der Scheunevorplatz und die daran angrenzende Alaunstrasse, was in der Vergangenheit immer wieder zu gross angelegten häufig inszenierten Razzien führte. Dabei wurden vor allem augescheinlich migrantische Personen teilweise über mehrere Stunden von der Polizei festgesetzt. Der Erfolg der Massnahme hielt sich fast immer in Grenzen. So stellte auch Polizeisprecher Geithner fest, dass die polizeiliche Massnahmen stattdessen "ausschliesslich eine örtliche Verdrängung und bestenfalls eine oberflächliche Eindämmung bewirken" soll. Auch NGOs wie Amnesty International kritisieren Deutschland immer wieder für Polizeikontrollen, die auf Grundlage der Hautfarbe getätigt werden. In einer 2014 herausgegebenen Stellungnahme wurde seitens der NGO der Bundesregierung eine Verweigerungshaltung vorgeworfen: "Bislang weigert sich die Regierung, obwohl internationale Gremien wie der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung die Bundesregierung schon mehrfach aufgefordert hat, aktiv gegen 'Racial Profiling' vorzugehen." Neben den rassistischen Kontrollen existieren mehrere Bilder in den sozialen Netzwerken, die Menschen mit rechter Bekleidung auf der BRN abbilden. Anders noch als in den vergangenen Jahren, kam es zur diesjährigen BRN dennoch nicht zu grösseren rechten Übergriffen. Vielmehr zeigte sich an einigen Stellen auf dem Festgelände, dass der für das Stadtteilfest einst tragende politische Charakter wieder mit Leben gefüllt werden konnte. |
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