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Mein Körper gehört weder Kirche noch Staat - Weg mit §218!
Gegen den Schweigemarsch der Fundamentalist_innen am 1. Juni in Annaberg-Buchholz - Für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch*!

Was Feminist_innen erkämpft haben, stellen christliche Fundamentalist_innen seit jeher in Frage: Das Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Menschen. In Deutschland versammeln sich Gegner_innen von Schwangerschaftsabbrüchen seit einigen Jahren zu so genannten "Märschen für das Leben". Diese finden unter anderem in Münster, Berlin und Annaberg-Buchholz statt Während die Aufmärsche in Münster und Berlin nicht ohne Proteste von Feminist_innen ablaufen konnten, blieb der Annaberg-Buchholzer Schweigemarsch in den fünf Jahren seines Bestehens überwiegend unwidersprochen. Bis vergangenes Jahr eine kleine Gruppe von Leuten versuchte, mit eigenen Inhalten den Marsch zu begleiten. Wir haben damals versprochen "Uns ist kein Weg zu weit, wir kommen wieder nach Annaberg-Buchholz!"

Annaberg-Buchholz liegt im Erzgebirge im Südwesten Sachsens. In der Region hat sich selbst in der atheistischen DDR eine starke christliche Prägung erhalten. Diese war offenbar beste Voraussetzung für das Erstarken streng konservativer Christ_innen, sogenannter Evangelikaler, die durch eine wortgetreue Bibelauslegung, den Glauben an den strafenden Gott, aggressive Missionsarbeit, ihre Klagen über die Zerstörung der traditionellen Familie und ihre Äusserungen gegen Homosexualität von sich reden machen.i

Das Kreuz mit dem Kreuz

Über die starke Einflussnahme kirchlicher Einrichtungen im Erzgebirge hinaus bestehen auch Verbindungen in die Politik. Die "Christdemokraten für das Leben" (CDL), Organisator_innen des Schweigemarsches, verfügen in Sachsen bereits seit 1990 über einen eigenen Landesverband innerhalb der CDU. Steffen Flath - ehemaliger CDU-Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag und prominenter Unterstützer des Schweigemarsches - beteiligt sich seit Jahren mit Redebeiträgen, in denen er das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen fordert. Erklärtes Ziel der CDL ist es, ihren Einfluss in der CDU zu nutzen, um Schwangerschaftsabbrüche nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu kriminalisieren. Die Versuche der christlichen Fundamentalist_innen, auf politische Entscheidungen einzuwirken, haben sich z.B. 2006 im Vorstoss der Gesundheitsminister_innen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen niedergeschlagen, die Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen einzuschränken. Mit diesem Anliegen scheiterten sie damals zwar, aber mit weiteren Angriffen auf die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches muss gerechnet werden. Auch auf europäischer Ebene zeigt sich ihr Einfluss. So hat das europäische Parlament mehrfach einen Bericht ("Estrela-Bericht") zurückgewiesen, der auf die Lage von sexuellen und reproduktiven Rechten aufmerksam machen wollte und für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Europa appelliert.

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland

In Deutschland sind die Missstände grösser als viele denken. Feminist_innen kämpfen seit jeher gegen den heute immer noch bestehenden §218 des Strafgesetzbuchs. Dieser stellt seit 1871 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland unter Strafe.

In der DDR wurde 1972 erstmals der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen entkriminalisiert. Zu dieser Zeit war es das fortschrittlichste Abtreibungsgesetz der Welt. Im Gegensatz zur BRD, wo erst 1995 die heute gültige Fristenregelung in Kraft trat.

Das bis heute geltende Gesetz sieht einen Schwangerschaftsabbruch weiterhin als Straftat, die nur unter folgenden Umständen nicht verfolgt wird: Ein Abbruch kann innerhalb der ersten 12 Wochen durchgeführt werden, wenn die schwangere Person zuvor eine staatlich anerkannte Beratung in Anspruch genommen hat. In vielen, vor allem ländlichen Gebieten, wird die erzwungene Beratung nur durch kirchliche Einrichtungen angeboten und die schwangere Person oft unter Druck gesetzt, sich für die Fortführung der Schwangerschaft zu entscheiden. Hinzu kommt eine dreitägige Wartefrist und die Kosten für diesen medizinischen Eingriff werden nur unter bestimmten Voraussetzungen durch die Krankenkassen übernommen. Eine Abtreibung nach den zwölf Wochen ist nur bei "hoher Gefahr für die physische oder psychische Gesundheit" der schwangeren Person erlaubt.

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch weltweit

Die Situation weltweit ist sehr unterschiedlich. Einige Länder haben den Schwangerschaftsabbruch komplett aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, andere verbieten Abbrüche ohne Ausnahmen. Interessant dabei ist, dass die Gesetzgebung kaum einen Einfluss auf die Zahl der Abbrüche hat.

Zum einen stieg so die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach Gesetzeslockerungen kaum an, wie es sich beispielsweise in den Niederlanden zeigt: Die Niederlande haben eines der liberalsten Gesetze und gleichzeitig eine der geringsten Abbruchquoten.

Zum anderen geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon aus, dass knapp die Hälfte aller durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche gegen die gesetzlichen Bestimmungen der jeweiligen Länder verstossen - und dies mit teilweise verheerenden Folgen.ii

Die tödlichen Folgen der Kriminalisierung

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt dazu, dass Schwangere illegale Abbrüche vornehmen (lassen). Dies geschieht oft fernab von guten hygienischen und medizinischen Möglichkeiten. Nur wenige können sich die Reise in Länder mit fortschrittlicheren Regelungen leisten, um dann dort unter sicheren Bedingungen den Eingriff vornehmen zu lassen. Durch die mangelhafte hygienische und medizinische Betreuung kommt es immer wieder zu Komplikationen, welche bis zum Tod der Betroffenen führen. Infolge dessen sterben nach Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation jährlich 47.000 Menschen.iii

Ebenfalls schlimm steht es um die (Be-)Handlungsmöglichkeiten von geflüchteten und illegalisierten schwangeren Personen. Bereits gemeldete Personen müssen sich jede ärztliche Behandlung im Vorfeld von den jeweiligen staatlichen Bearbeiter_innen genehmigen lassen. Illegalisierte Geflüchtete haben nicht das Recht, Ärzt_innen aufzusuchen, und diese sind angehalten, illegalisierte Personen zu melden. Einzige Ausnahme sind direkt lebenserhaltende Massnahmen, über deren Notwendigkeit allerdings allein die Ärzt_innen entscheiden. Für nicht gemeldete Personen kann jeder Ärzt_innenbesuch in letzter Konsequenz bedeuten, abgeschoben zu werden.

Warum wir im Kapitalismus von "Selbstbestimmung" und nicht von Selbstbestimmung sprechen

Wir reden viel von der Selbstbestimmung von Menschen, die schwanger werden können. Dabei müssen wir uns jedoch dessen bewusst sein, dass diese Selbstbestimmung stark eingeschränkt ist. Sicherlich hat in Deutschland fast jede Person mit deutschem Pass die Möglichkeit, in den genannten Grenzen selbst zu entscheiden ob sie ein Kind austragen will oder eben nicht. Das begrüssen wir. Doch steht diese Entscheidung in einem gesellschaftlichen Kontext und es wird von verschiedenen Seiten versucht, diesen Kontext zu beeinflussen.

Zum einen spielen hier ökonomische Rahmenbedingungen eine Rolle. So ist die Familienpolitik des Staates darauf ausgelegt, den Kinderwunsch in bestimmten Bevölkerungsschichten durch Begünstigungen wie Elterngeld und Elternzeitgesetze zu fördern. Ärmere Bevölkerungsschichten, wie Erwerbslose, Geflüchtete sowie Illegalisierte profitieren von diesen Begünstigungen jedoch nicht. Hinzu kommt, dass mit Schwangerschaft auch eine Angst um finanzielle Sicherheit verbunden sein kann. So bedeutet Schwangerschaft immer noch ein Risiko für die Arbeitsstelle. Vor allem für Alleinerziehende bedeutet es häufig, am Rande der Armut zu stehen. Somit ist oft nicht der individuelle Kinderwunsch ausschlaggebend, sondern damit verbundene soziale oder ökonomische Bedingungen.

Zum anderen gibt es eine rassistisch und nationalistisch aufgeladene Diskussion darüber, wer in Deutschland Kinder bekommen sollte. Rassist_innen wie Sarrazin, Politiker_innen aus der AfD und auch religiöse Fundamentalis_innen sehen die weisse, christliche Kleinfamilie mit mindestens zwei Kindern als Grundlage der Nation an. Diese wollen sie bewahren und unterstützen, andere Lebenskonzepte wie zum Beispiel homosexuelle Partnerschaften oder kinderlose Beziehungen werden abgewertet. Migrant_innen und Schwarze Deutsche werden dabei besonders diskriminiert, da sie nicht in das reaktionäre Weltbild passen, ihre Kinder gelten manchen gar als Bedrohung der "deutschen Identität".

Somit ist die Entscheidung über die eigene Schwangerschaft also nicht frei und komplett selbstbestimmt. Sie wird beeinflusst von ökonomischem und sozialem Druck der Gesellschaft. Diese Aspekte zu vernachlässigen und die Entscheidungen für oder gegen Kinder als eine rein persönliche Entscheidung der Eltern zu betrachten bedeutet auch, die Unterdrückungsmechanismen als ein individuelles Problem der Eltern zu sehen. Dabei handelt es sich aber um gesellschaftlich strukturelle Probleme und diese gehören als solche bekämpft!

Schwangerschaftsabruch und Selektion von Menschen mit Behinderungen**

Ein häufig genanntes Argument von Lebenschützer_innen ist, dass durch den freien Zugang zu Schwangerschaftsabrüchen in Kombination mit immer besseren Untersuchungsmöglichkeiten von Embryonen, Kinder mit Behinderungen nicht mehr zur Welt kommen würden und ihnen dadurch das Recht auf Leben abgesprochen wird. Wir halten eine Verlagerung der Debatte - weg von der individuellen, hin zur strukturellen Ebene - für notwendig: Die "Rechte für Menschen mit Behinderung" und das "Recht auf Selbstbestimmung" dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden!

Die Situation für Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft ist katastrophal. Sie werden massiv ausgegrenzt und fallen aufgrund der kapitalistischen Verwertungslogik aus vielen Bereichen gesellschaftlicher Teilhabe heraus. Statt als aktive Mitglieder der Gesellschaft werden sie vor allem als Belastung wahrgenommen. Diese Zustände prangern wir an. Ebenso kritisieren wir die mangelhafte Unterstützung und Beratung von Schwangeren und Eltern, die möglicherweise ein Kind mit Behinderungen erwarten. Eine Gesellschaft, die die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verhindert, gehört bekämpft. Menschen die sich diesen Hürden widersetzen und sich für Kinder mit Behinderungen entscheiden, verdienen unsere Unterstützung.

Zurück oder nach vorn

Das bürgerliche Ideal der Kleinfamilie als "Keim-zel-le der Gesellschaft" entstand mit dem Aufkommen des Kapitalismus. Seitdem ist es einem stetigen Wandel unterworfen, auch dank feministischer Bewegungen. Heute bröckelt dieses Ideal erheblich, denn wie in der Wirtschaft werden auch im familiären Bereich überkommene, ineffizient gewordene Formen des Zusammenlebens über Bord geworfen. Teilweise gelingt es emanzipatorischen Bestrebungen, dort anzuknüpfen und Freiräume zu erkämpfen, beispielsweise für "Regenbogenfamilien".

Der neoliberale Umbau der Gesellschaft und die damit verknüpften individuellen Verunsicherungen führen allerdings auch zu dem Bedürfnis nach Halt und Orientierung. Eine Reaktion darauf sind chauvinistische, rückschrittliche Tendenzen: ein krampfhaftes Festhalten dessen, was im Grunde schon verloren ist. Dies trifft auch auf die restriktive Zweigeschlechtlichkeit und daran geknüpfte Geschlechterrollen zu.

Hier kommen Religion und Ideologie ins Spiel und befeuern den Backlash. Dieser zeigt sich heute in Form von sexistischer Diskriminierung und sexualisierter Gewalt, Homo- und Trans*phobie, des Rückfalls in klare Geschlechterrollen im Privaten, des gewalttätigen Festhaltens an der Zweigeschlechterordnung bis hin zur Verstümmelung intergeschlechtlicher Menschen - und eben auch an dem Auftrieb für Abtreibungsgegner_innen wie denen in Annaberg-Buchholz.

Alles vorbei?

Auf keinen Fall. Wir werden weiter kämpfen wie wir schon immer gekämpft haben und wir werden unsere Erfolge feiern! Die Pille danach ist seit März 2015 rezeptfrei, in Apotheken, erhältlich. In Bayern musste ein Münchner Gesundheitssenator aufgrund seiner Mitgliedschaft in einem christlich-fundamentalistischen Verein sein Amt niederlegen. In Spanien wurde dank einer breiten sozialen Bewegung ein schon sicher geglaubtes, extrem restriktives Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen gekippt. Der bundesweite Marsch für das Leben in Berlin wächst zwar an, war jedoch im vergangenen Jahr durch entschlossene und kreative Proteste kein Erfolg für die Abtreibungsgegner_innen. Lasst uns auch den Schweigemarsch in Annaberg-Buchholz zum Desaster machen!

Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen und §218 abschaffen!

Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Straftat, sondern Menschenrecht!

Wer einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen will, soll dies unter den besten Bedingungen tun können!

Wer nicht will, soll nicht dazu gedrängt oder gezwungen werden. Wer sich für ein Kind entscheidet, muss bestmöglich unterstützt werden!

Die Bedingungen, die dazu führen, sich für oder gegen ein Kind mit oder ohne Behinderungen zu entscheiden, müssen Gegenstand öffentlicher Diskussionen werden.

Für eine sinnvolle Aufklärung zu Sexualität und Verhütung! Für die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln inklusive der Pille danach!

Für einen guten Zugang zu parteilicher, ideologiefreier, qualifizierter Beratung und medizinischer Betreuung - für alle!

Mein Bauch gehört mir! Aborto Libre! Alerta Feminista!

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