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Mit Gewalt für den Frieden
(Paul Harnisch und Anna Lukowá)

Seit einigen Wochen sieht sich die europäische Linke wieder einmal im Inneren zerstritten. Grund dafür - wie schon so oft - die instabile Situation im Nahen Osten. Nach jahrelangem Beschuss Südisraels durch Quasam-Rakten, griff israelisches Militär am 27. Dezember des vergangenen Jahres die Stellungen der Hamas, erst aus der Luft, später vom Boden aus an. Momentan sollten die Waffen schweigen. Vorerst. Denn was wir im Westen als eventuelle Vorstufe zum Frieden sehen, ist im Nahen Osten eher mit einer zeitlich begrenzten Waffenruhe gleichzusetzen. Israel wollte nach dem wenig ruhmreichen Libanonkrieg 2006 vor allem auch seine Abschreckungsfähigkeit und die Schlagkraft und seiner Armee unter Beweis
stellen. Die andere Seite sollte wissen, wozu man in der Lage ist. Selbst wenn es Israel gelungen sein sollte, den militärischen Arm der Hamas zu "amputieren", heisst das noch lange nicht, dass der Einfluss der islamistischen Terroristen in Gaza ernsthaftig beeinträchtig ist. (1)
Eine Solidarisierung mit Israel bedeutet für uns auch immer eine Solidarisierung mit allen Palästinenserinnen und Palästinensern, die für eine Zwei-Staaten-Lösung und einen säkularen Staat Palästina eintreten. Ihnen, den progressiven und demokratischen Kräften, muss die Solidarität der Linken gehören. Als ein eindeutiger Erfolg ist die militärische Intervention momentan noch nicht zu werten. Die Verhandlungen dauern an. Noch ist nicht ausgemacht, ob der Krieg in Gaza als Erfolg in die israelische Geschichte eingehen wird.

In der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern tobte vor allem der Krieg der Bilder in den Printmedien und auf den Monitoren. Vor allem im Krisengebiet Nahost zeigt sich wieder einmal, dass militärische Überlegenheit in einem Krieg nicht mehr allein ausschlaggebend ist. Die Macht der Bilder spielt beim Verhältnis von Erfolg und Niederlage eine entscheidende Rolle. Je dramatischer die Bilder, desto grösser der gesellschaftliche Aufschrei der Empörung. Dieser Aufschrei ruft, in einer fast schon zur gewohnten Regelmässigkeit (selbsternannte) "Nahost-ExpertenInnen" auf den
Plan. Diese verkünden, möglichst medienwirksam, ihre Solidarität mit dem vermeintlich Schwächeren. Das Muster solcher Inszenierungen ist dabei stets gleich. So auch in der Talkrunde "Hart aber Fair" mit Frank Plasberg am 22. Januar in der ARD. Er hatte den Konflikt in Gaza zum Thema gemacht. Seine Runde brachte im Nachhinein zwei Erkenntnisse: Nein, es gibt kein Tabu in Deutschland, Israel zu kritisieren. Und dennoch gleitet die Kritik allzu oft unbewusst in Antisemitismus ab. Einem Déjà-vu gleich gestaltete sich ebenfalls die Liste der geladenen Talkgäste. Neben Michel Friedmann, der an diesem Abend wohl die inoffizielle Vertreterrolle Israels aufgedrückt bekam, bekannte Namen wie Norbert Blüm oder der Islamwissenschaftler Udo Steinbach. Sowohl Norbert Blüm, der "vom Nahost-Konflikt genau so viel
Ahnung hat wie von sicheren Renten" (Sylke Tempel) als auch der ehemalige Leiter des Deutschen Orient-Institutes vielen durch populistischen NS-relativirende Vergleiche und antiisraelische Stimmungsmache während der Sendung auf (2) . Eine angestrebte, legitime Kritik an der Politik sieht anders aus.

Der Schuldige im Konflikt stand beim grössten Teil der deutschen Linken ebenfalls schon lange im Voraus fest. Ganz im Sinne antiimperialistischer Traditionen eignete sich niemand besser als "der Vorbote der amerikanischen Verbrecherbande" im Nahen Osten: Israel und die Zionisten. In einem Anflug von vorgeschobenem Friedenswahn gab es schliesslich in jeder grösseren Stadt auch eine Demonstration für eine "Ende des Massakers in Gaza". Die friedensbewegten Forderungen bleiben dabei nur auf den Nahen Osten bestehen. Pro-Israelische Demonstranten wurden unter anderem in München und Kassel von pazifistischen Friedensfreunden angegriffen, das linke Internetportal »Indymedia« veröffentlichte ein Interview mit der Hamas und der antizionistische Hass der Demonstrationen entlud sich
auf jüdische Kulturzentren. Dass mit diesen Demonstrationen die grössten antisemitisch motivierten Aufmärsche seit Ende des Zweiten Weltkrieges in der BRD stattfanden, interessiert anscheinend herzlich wenig.

Ein Teil der deutschen Linken scheint den europäischen Genossen in antisemitischen Ausfällen in Nichts nachstehen zu wollen: Zwei Israelis wurden am 31. Dezember in einem Einkaufzentrum im dänischen Odensee durch Schüsse aus einer Pistole verletzt - zuvor wurden antisemitische Parolen skandiert. Im niederländischen Amsterdam skandierte das sozialistische Parlamentsmitglied Harry van Bommel zusammen mit anderen Demonstranten Parolen, die zur Ermordung von Israelis aufrufen. Am 4. Januar wurde ein Brandanschlag auf eine Synagoge im britischen London verübt. Im griechischen Athen griffen am selben Tag linke Demonstranten Polizisten an, die die israelische Botschaft absicherten. Weitere Übergriffe gab es in Rom, Brüssel und Helsingborg. Darunter eine Reihe Brandanschläge auf Synagogen. So ergötzen sich selbsternannte Antifaschisten in einer regelrechten Pogromstimmung. So bejubeln sie dann auch den Bruch der israelischen Waffenruhe durch die Hamas, als revolutionären Schlag einer Befreiungsorganisation.

Und DIE LINKE mittendrin

Auch in der Partei DIE LINKE bleibt das Thema umstritten. Hin und wieder kommt der Eindruck auf, die Stimmung werde bewusst angeheizt. Vielen ging es bereits zu weit, als der hessische Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke, in einer
Rede von einem beiderseitigen Gewaltverzicht sprach. Die Demonstrationsteilnehmer buhten ihn aus.

Egal ob unter der Fahne der Hamas, der Hisbollah oder der rechten türkischen Organisation "Graue Wölfe" - irgendwo lässt sich ein Politiker der Partei ausmachen. Am 2.Januar forderte der aussenpolitische Sprecher der Linksfraktion Norman Paech in Hamburg - vor einer Hamas-Fahne - die sofortige Aufnahme von Verhandlungen mit der Hamas und erklärte, dass er eine Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen Ehud Olmert wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" befürwortet. In Düsseldorf kritisierte am 3.Januar der Landesvorsitzende der LINKEN in Nordrhein-Westfalen Wolfgang Zimmermann vor "Davidstern = Hakenkreuz"-Schildern Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, weil sie vom "legitimen Recht des Staates Israel, sich selbst zu verteidigen" sprechen - zudem wurden auf dieser Demonstration Schilder mit den Aufschriften "Stopp deinen Holocaust Israel!", "Olmert = Hitler" und "Holocauststaat Israel!" getragen. In Berlin wurden an diesem Tag zwölf Stelen des Mahnmals für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas mit antisemitischen Parolen beschmiert. Auch bei der jährlich stattfindenden »Liebknecht-Luxemburg Demonstration« in Berlin blieben solcherlei Ausfälle nicht aus.(3)

Dagegen veröffentlichten AkteurInnen der Linksjugend Sachsen eine Stellungnahme unter dem Motto "Frieden geht nur ohne Terror!". Darin heisst es: "Wir stellen uns in dem eskalierenden Konflikt auf der Seite derer, die für Frieden im Nahen Osten eintreten. Dies kann nur bedeuten, sich zuerst gegen den Terror der Hamas auszusprechen. Deren anti-individuelles, mörderisches Weltbild ist das zentrale Hindernis für einen friedlichen Nahen Osten und für ein demokratisches Palästina, das kooperativ und friedlich in Nachbarschaft mit Israel existieren will."
Zu den UnterstützerInnen des Aufrufs gehört auch Jule Nagel vom Landesvorstand der Partei DIE LINKE in Sachsen.

Andere sächsische Organisationen sehen den Sachverhalt dann aber doch anders. Der Stadtverband der LINKEN in Sebnitz zum Beispiel, brachte im Kreisparteitag einen Antrag zur Abstimmung, dessen Tenor ein unreflektierte Richtung einschlägt. Zwar lehnen die GenossInnen die Gewalt von beiden Seiten ab, der Hauptschuldige ist aber auch hier ohne lange Umschweifungen schnell gefunden. So heisst es im Antrag: "Wir fordern die Bundesregierung eindringlich auf, die völkerrechtswidrigen Angriffe entschieden zu verurteilen [...] Als Antikriegspartei fordern wir die Bundesregierung darüber
hinaus auf, die Waffenlieferungen an Israel einzustellen." Eine Stellungnahme zu den Angriffen der Hamas oder den antisemitischen Ausfällen auf so genannten Friedensdemos blieben von der selbsternannten "Antikriegspartei" allerdings
aus.

Die anderen Parteien halten sich mit grossen Statements und innerparteilichen Diskussionen eher zurück. Abgesehen von den Nazis der NPD, die selbstverständlich jeden Anlass nutzen, ihre gewohnte Politik zu äussern. Eine wirkliche Überraschung ist dies allerdings nicht.

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(1) Vgl. Münkler, Herfried, Sieg! Sieg? Warum aus der Waffenruhe mit der Hamas für Israel eine politische Niederlage werden kann, in: Jüdische Allgemeine, 64. Jahrgang, Nr. 4, 22. Januar 2009
(2) Vgl. Mohr, Reinhard, Schlamassel mit der deutschen Schuld, in : Spiegel Online Kultur , 22.Januar 2009
(3) Mehr antisemitische Übergriffe finden sich dokumentiert auf der Internetseite des BAK SHALOM (w_w.bak-shalom.de)

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