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Zusammenfassung des Polizeieinsatzes am 14. Februar

Am 14. Februar gingen mehrere tausend Menschen auf drei Demonstrationen in Dresden auf die Strasse. Sie protestierten damit gegen den mit 6.500 TeilnehmerInnen grössten Naziaufmarsch in Europa seit der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands am 8. Mai 1945.
Eine von der Polizei durchgesetzte strikte räumliche Trennung war zuvor von Dresdner Ordnungsbehörden veranlasst und von den Gerichten bestätigt worden.

Mit einem Grossteil der Einsatzkräfte kontrollierte die Polizei schon zu Beginn der Demonstration des antifaschistischen Bündnisses "¡No pasarán!" am Albertplatz vermeintliche DemonstrationsteilnehmerInnen und nahm bereits vor dem Start der eigentlichen Demonstration einige Personen in Gewahrsam.
Grund für den verspäteten Beginn waren Übergriffe der Polizei in Berlin und das damit verbundene Warten auf die Berliner Antifas. Aus Platzgründen prügelte am Berliner Hauptbahnhof und am Südkreuz die Polizei mehrere dutzend Menschen aus dem überfüllten Regionalexpress. Auf dem Umsteigebahnhof in Elsterwerda-Biehla erwies sich die eingesetzte Regionalbahn nach Dresden als zu klein und so wurden zunächst nur die zum grossen Teil aus Mecklenburg-Vorpommern angereisten Nazis in den Zug gelassen, erst danach durfte ein Teil der aus Berlin und Umgebung angereisten Antifas den Zug betreten. Die in Elsterwerda zurückgelassenen 200 Antifas wurden schliesslich in den nächsten Zug gesetzt. In Dresden angekommen, wurde ihnen durch die Polizei das Aussteigen vor dem Hauptbahnhof verweigert. Das hatte zur Folge, dass sie mit der Regionalbahn weiter bis zum Hauptbahnhof fahren mussten, an dem sich zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere tausend Nazis versammelt hatten. Dort angekommen, wurden sie von der Polizei mitten durch die wartenden Nazis zu einem der äusseren Bahnsteige geschafft. Währenddessen versuchten einige Nazis, diese Gruppe anzugreifen. Mit einer S-Bahn ging es schliesslich wieder zurück zum Neustädter Bahnhof, um dort erst einmal unter fadenscheinigen Gründen nicht zur Demonstration gelassen zu werden. Das fragwürdige Polizeikonzept an diesem Tag, antifaschistischen Protest notfalls mit Gewalt zu deligitimieren, wurde damit bereits Stunden vor dem eigentlichen Beginn der Demonstrationen sichtbar.

Am Hauptbahnhof kam es unter den Augen der sichtlich überforderten Polizei zu mindestens einem rassistischen Übergriff von Nazis und immer wieder zu Angriffen auf Journalisten. Um 13 Uhr setzte sich der Trauermarsch in Bewegung, dank der Entscheidungen der Dresdner Ordnungsbehörden auf prestigeträchtiger Route quer durch die Innenstadt. Trotz mehr als 6.000 zum Teil vermummter Nazis (1 | 2 | 3 | 4 | 5) und etlicher offensichtlich Holocaust relativierender Transparente (1 | 2 | 3) wurde der Demonstrationszug nur von sehr wenigen Polizeieinheiten begleitet. Die Möglichkeit, lautstark dagegen zu protestieren war angesichts frei herumlaufender Nazis (1 | 2) kaum möglich. Die Stadt Dresden sorgte mit ihren Entscheidungen dafür, dass 64 Jahre nach den Naziverbrechen denjenigen die Strasse überlassen wurde, die tagtäglich keinen Zweifel daran lassen, welche Gesellschaftsform sie sich vorstellen. Ein Hohn für Millionen von Opfern deutscher Barbarei und ein Armutszeugnis für das demokratische Verständnis in der NPD Hochburg Sachsen. Das Gefahrenpotential, das von den Nazis ausgeht, lässt sich sehr gut an den bekannt gewordenen Übergriffen vor und nach ihrer Demonstration belegen, wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte. Schon auf dem Weg nach Dresden wurden auf einem Rastplatz bei Chemnitz AntifaschistInnen aus Weimar von über 60 Nazis angegriffen und verletzt. Nach der Demonstration kam es bei Jena zum folgenschwersten Übergriff auf einen Bus des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dabei erlitt einen Person einen Schädelbruch, fünf weitere wurden verletzt. Auch in Priestewitz bei Meissen griffen Nazis Mitglieder des Jugendparlamentes der Stadt Taucha an. Es ist immer wieder verwunderlich mit welcher konstanten Ignoranz in Sachsen Naziübergriffe in Sorge um das Ansehen der Region vertuscht werden. Statt mit Kritik am Versagen der eigenen Politik anzusetzen und Naziübergriffe aber auch rechte Ideologie als solche zu bezeichnen, zeigt das Beispiel Dresden, dass ausgerechnet die kriminalisiert und angegriffen werden, die für eine offene, solidarische und freie Gesellschaft auf die Strasse gehen.

Die antifaschistische Demonstration mit 3.500 TeilnehmerInnen wurde von einem massiven Polizeiaufgebot über die Albertbrücke, die Pillnitzer Strasse, vorbei an der Synagoge zum Pirnaischen Platz begleitet. Der Weg von dort weiter in Richtung des Naziaufmarsches am Dr.-Külz-Ring wurde von der Polizei hermetisch mit Wasserwerfern, Räumpanzern und Einsatzfahrzeugen abgeriegelt. Auf der Wilsdruffer Strasse am Kulturpalast stoppte die Demonstration nur wenige hundert Meter von der Naziroute entfernt. (1 | 2 Karten der Situation vor Ort von ¡No pasarán!)
Nach der Drohung durch die Polizei, die Versammlung an Ort und Stelle aufzulösen, lief die Demonstration etwa 150 Meter weiter in die Schlosstrasse hinein und wurde schliesslich nach mehreren brutalen Polizeiübergriffen aufgelöst. Zum Zeitpunkt der ersten vollkommen überzogenen Pfefferspray -und Prügelangriffe auf die Spitze der bis dahin friedlichen antifaschistischen Demonstration war der Naziaufmarsch nur wenige hundert Meter entfernt. Durch die räumliche Nähe zu den Nazis war damit für die Polizei eine möglicherweise nicht kalkulierbare konfrontative Situation entstanden. Augenzeugen berichteten danach mehrfach von gezielten Faustschlägen ins Gesicht (1 | 2 | 3) und unkontrolliertem Einsatz von Pfefferspray durch äusserst aggressive Einsatzkräfte. Mit diesem Einsatz verhinderte die Polizei den genehmigten Ablauf der Demonstration auf der Schlosstrasse weiter in Richtung des Theaterplatzes und verletzte mehrere auch unbeteiligte Personen. Im Anschluss wurden einige der DemonstrationsteilnehmerInnen hinter dem Kulturpalast von einer Treppe gestossen und zum Teil schwer verletzt (1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6). Auffällig an dieser Stelle war der Einsatz einer mit Bambusrohrschlagstöcken (1 | 2) ausgerüsteten Spezialkommandoeinheit der Polizei, kurz SEK genannt. Diese Einheiten werden in letzter Zeit häufiger bei Demonstrationen, Razzien aber auch am Rande von Fussballspielen (1 | 2 | 3) eingesetzt. Eine Identifizierung vermummter bzw. nicht gekennzeichneter gewalttätiger Beamter ist im Nachhinein nahezu unmöglich und wird von der Gewerkschaft der Polizei seit Jahren aus Gründen der Sicherheit abgelehnt. Anzeigen gegen die Polizei haben, sofern sie überhaupt gemacht werden, wenig Chancen auf Erfolg. Das belegten bereits vor Jahren Untersuchungen in Berlin. In gerade einmal 1,3 Prozent der angezeigten Fälle kam es überhaupt zu einer Anklage, verurteilt wurden 0,4 Prozent - ein Freibrief für SchlägerInnen in Uniform.

Nur kurz nach der gewaltsamen Auflösung der antifaschistischen Demonstration am Kulturpalast kam es am späten Nachmittag auf der Carolabrücke und damit weit entfernt vom eigentlichen Ziel der Nazidemonstration, dem Hauptbahnhof, zu regelrechten Jagdszenen der Polizei. Nach der Auflösung einer ebenfalls genehmigten Kundgebung vor der 1938 in der Reichspogromnacht zerstörten Synagoge wurden nach Augenzeugenberichten immer wieder einzelne TeilnehmerInnen angegriffen und über die Brücke getrieben.

Geradezu grotesk mutet es angesichts dieser brutalen Prügelszenen an, wenn sich der in der Korruptionsaffäre verstrickte sächsische CDU-Innenminister Albrecht Buttolo in einer Nachbetrachtung gemeinsam mit Landespolizeipräsident Bernd Merbitz bei den Einsatzkräften für ihre gute Arbeit bedankt. Wegen angeblicher "Chaoten und Krawalltouristen [die] Polizisten angreifen" plant er inzwischen gemeinsam mit dem ehemaligen sächsischen CDU-Innenminister Heinz Eggert eine Gesetzesinitiative auf Bundesratsebene, um eine Strafverschärfung bei Angriffen auf Polizeibeamte zu erreichen. Buttolo findet es auch "pervers, das Gedenken in Dresden für politische Zwecke zu missbrauchen" und zeigt damit einmal mehr, wie wenig auch ein sächsischer Innenminister von der politischen Bedeutung des 13. Februars für die Stadt Dresden verstanden hat. Solche Aussagen unterstreichen noch einmal wie wichtig es für antifaschistische Politik ist, die inhaltliche Auseinandersetzung gerade am 13. Februar zu suchen.

Diese Zusammenfassung soll noch einmal verdeutlichen mit welchen Freiheiten sowohl von behördlicher Seite als auch von Seiten der Polizei, alte und junge Nazis Jahr für Jahr in Dresden rechnen können. Ihnen wird an diesem Tag offenkundlich deutlich gemacht, was es in Deutschland 64 Jahre nach Kriegsende heisst, Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben. Ganz im Gegensatz dazu, wird legitimer antifaschistischer Protest medial und politisch bewusst auf eine Stufe mit den Nazis gestellt. Das geschieht in der öffentlichen Debatte um Dresden vor allem aus der Weigerung heraus, sich mit den historischen Fakten auseinanderzusetzen. Zu erkennen, dass Versöhnung mit falschen Symbolen an einem solchen Tag ein falsches Geschichtsbild vermittelt, wird von den Nazis seit Jahren nicht wie oft behauptet instrumentalisiert, sondern konsequent weitergedacht. Der Mythos der mit der Bombardierung Dresdens entstanden ist, war und ist der Versuch sich zu den eigentlichen Opfern des zweiten Weltkriegs zu machen.

Beispiele aus Städten wie Leipzig, Köln, Wunsiedel oder auch Halbe sollten den Verantwortlichen eigentlich zeigen, dass Nazis mit Auflagen und Verboten auch von Seiten der Behörden die Lust am demonstrieren genommen werden kann. Dieses fehlende politische Engagement, aber auch ein für die Nazis kaum wahrnehmbares breites Bündnis aus zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Gruppen, wird Dresden auch im 65. Jahr seiner Bombardierung 2010 zum bedeutendsten Aufmarschort von Nazis aus dem In -und Ausland machen.

Antifaschismus ist notwendig, nicht kriminell!
Heute wie gestern - Kein Fussbreit den Faschisten!

Mittlerweile haben sich Mitglieder mehrerer Parteien zu den Geschehnissen vom Wochenende positioniert. Neben der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Ulla Jelpke und der Grünen Jugend Dresden äusserte sich auch das zivilgesellschaftliche Bündnis Bürger.Courage in eigenen Stellungnahmen kritisch zum Polizeieinsatz am 14. Februar. Die Grünen und die Linkspartei machen Anfang März das Februar-Wochenende in einer öffentlichen Sitzung im sächsischen Landtag zum Thema.

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