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Sing mei Sachse sing
Ein Spotlight auf die sächsische CDU zur Jahreswende.
"Es gibt viele Momente der über 1000 jährigen deutschen Geschichte, auf die man zu Recht stolz sein kann." schrieb die Junge Union Sachsen & Niederschlesien 60 Jahre nach der Befreiung Europas vom deutschen Nationalsozialismus in ihrem Beitrag zur Wertediskussion in Deutschland. "Das Vaterland ist die höchste Identifikationsebene." heisst es da weiter. Da wundert es nicht, wenn der ostsächsische CDU- Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche dieses gegen "Multi- Kulti- Schwuchteln" verteidigen möchte, die "unser Vaterland heruntergewirtschaftet haben." Zur Bundestagswahl 2005 warb er in seinem Wahlkreis erfolgreich unter dem Motto "Arbeit, Familie, Vaterland", kurz nachdem die NPD ihren Bundesparteitag unter dieser Überschrift, die bereits vom Vichy- Regime genutzt wurde, abgehalten hatte. Auf einer Burschenschaftsveranstaltung in Dresden tönte er im Jahr 2003, dass "in unseren auf Pump finanzierten Sozialsystemen der letzte Ali aus der letzten Moschee Zuflucht nehmen könne." - Flucht im weitesten Sinne scheint Nitzsche in seinem politischen Handeln sowieso zu interessieren. So war er aktives Mitglied der Arbeitsgruppe "Vertriebene und Flüchtlinge" der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und engagierte sich dort vor allem für den Bau eines "Zentrums gegen Vertreibung." Auf dem Tag der Heimat am 16.09.06 in Hoyerswerda verkündete er: "Wir lassen uns von den derzeit in Polen regierenden Zwillingen, und von niemand anderem vorschreiben, über wen wir trauern und wie wir trauern, wie wir unsere Traditionen pflegen und welche Museen und Ausstellungen wir eröffnen." Wenn das "Zentrum gegen Vertreibung" eröffnet sei, dann wird dort neben dem "sowjetischen Terror" auch zu sehen sein, "welch tragisches Schicksal die Deutschen in Breslau und anderswo, weiter westlich an der via regia, erleiden mussten." Offensichtlich will Nitzsche nur unter einem ganz besonderen, so genannten "Schuldkult" einen Schlussstrich ziehen. Die Deutschen als Opfer sollen hingegen auch weiterhin Thema sein. Die Äusserungen Nitzsches, welche zu einer bundesweiten Diskussion führten und ihn veranlassten, aus der CDU auszutreten waren keine unüberlegten Stammtischparolen, sondern stimmen mit dem überein, was Nitzsche seit Jahren von sich gibt. Bis zuletzt hielt die sächsische CDU an ihrem Bundestagsabgeordneten fest. Inzwischen wird der Parteilose von NPD und DSU umworben. Prekärer als Nitzsches Rede an sich sind das Verhalten und die Reaktionen innerhalb der sächsischen CDU. Diese reichen von Herunterspielen bis Totschweigen. Der Vorstand des CDU- Stadtverbandes Bernsdorf, Jürgen Schlese, beteuerte, dass Nitzsche "keinesfalls rechtslastig und ausländerfeindlich" sei. Wenn Homophobie, Geschichtsrevisionismus, Rassismus und nationalistischer Populismus in Sachsen als Ideologiefragmente der Mitte funktionieren, dann hat Schlese recht. Ex- Minister und CDU- Patriotismusbeauftragter Matthias Rössler war anwesend, als Nitzsche von "Schuldkult" und "Multi- Kulti- Schwuchteln" faselte, ist aber nicht eingeschritten. "Wer versucht, unseren Ministerpräsidenten, mich und die sächsische Union in die rechte Ecke zu rücken, der steigt aus einer Auseinandersetzung mit der NPD aus." stellte Ex-Minister Rössler bei der Landtagssitzung am 14.12.06 fest, nachdem es Kritik am Verhalten der CDU gab. In einer Debatte um "Aktuelle Entwicklungen des Rechtsextremismus in Sachsen" wollte Rössler lieber über die Kommunistische Plattform der Linksfraktion.PDS oder über Sahra Wagenknecht reden. In derselben Sitzung stellte der CDU- Abgeordnete Frank Kupfer fest, dass man beim Toleranzprojekt "Weltoffenes Sachsen" aufpassen müsse, dass die Jugendlichen zur freiheitlich-demokratischen und nicht zu einer sozialistischen Grundordnung erzogen werden. Auch er betonte in der Debatte, die sich eigentlich mit dem Rechtsextremismus in Sachsen beschäftigen sollte, dass der Linksextremismus eine relevante Grösse sei, gegen welche die CDU kämpfe. Der Beifall von Seiten der NPD liess nicht lange auf sich warten. Rössler hat am 14.12. betont, dass er überall und mit jedem bereit ist, die deutsche Nationalhymne zu singen, auch mit Angehörigen der NPD, denn "Patriotismus ist unverzichtbar für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und Gemeinschaft." Mit welcher Strophe Rössler anfangen möchte zu singen, liess er aber offen. Der CDU- Kreisverband Sächsische Schweiz gibt sich diesbezüglich nicht so bedeckt. Auf einem Einladungsschreiben zum Tag der deutschen Einheit 2006 wurden alle drei Strophen der Nationalhymne abgedruckt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Queer der Linkspartei.PDS kritisierte, dass der CDU- Abgeordnete Steffen Heitmann den Aufstieg der NPD indirekt auf Homo-Ehen und die Möglichkeiten der Abtreibung zurück führe. Heitmann lässt auch schonmal Äusserungen wie: "Die Deutschen müssen vor Überfremdung geschützt werden!" von sich. Im Jahr 1998 sagte er, dass im Zuge der Landreform nach dem 2. Weltkrieg die früheren Eigentümer_Innen "deportiert worden, wie vorher die Juden." Der scheinbare Versuch der sächsischen CDU, der NPD die Wähler_Innenstimmen streitig zu machen, kann nicht als tolerierbares Mittel im Kampf gegen die Neonazis in Sachsen begriffen werden. Die aus homophoben und rassistischen Grundvorstellungen resultierenden Ressentiments, welche dabei bedient werden, laufen den Anstrengungen von Projekten zuwider, welche genau diese in der sächsischen Bevölkerung versuchen abzubauen. Unter dem Label des "Patriotismus" wird eine normalisierende Politik nach rechts betrieben. Revisionistische Lobbyarbeit, rassistische, ultrarechte oder homophobe Rhetorik durch Mitglieder der CDU werden regelmässig herunter gespielt oder vertuscht. Jede Kritik an der sächsischen Regierungspartei wird mit einem Verweis auf die NPD disqualifiziert. Gleichzeitig wird durch systematische totalitarismustheoretische Agitation gegen linke Positionen die menschenverachtende Politik der Neonazis aufgewertet. Für Migrant_Innen ist die reale Bedrohung, welche sich aus den Positionen der CDU ergeben, weitaus akkuter als jede beliebige Rede eines Neonazis aus der NPD. Die CDU in Sachsen ist natürlich nicht der Hauptgrund für die in weiten Teilen der Gesellschaft vorhandenen rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Bilder und Vorurteile. Doch wenn die Stichwortgeber_Innen der sächsischen CDU, wie z.B. die Politikprofessoren Patzelt und Jesse, eine stärkere Orientierung der Partei an den rechten Rand propagieren, dann meinen sie damit die Durchführung einer rechten Regierungspolitik in Sachsen. Wie sollen Nazis und rechte Ideologie wirksam bekämpft werden, ohne die Rolle der Nitzsches, der Rösslers, der Heitmanns und der sächsischen Union im ganzen zu thematisieren? Wer die NPD in Sachsen langfristig bekämpfen will, kommt an der CDU nicht vorbei. |
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