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Strafprozess gegen zwei Menschen, die abgelaufene Lebensmittel bei sich hatten

Angeklagt waren 2 Personen, die am Abend des 13.04.2010 auf dem Parkplatz des Marktkaufs in Döbeln (Sachsen) von einer Polizeistreife kontrolliert worden waren. Sie führten damals einen Anhänger voller geniessbarer Lebensmittel mit sich. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, diese aus den Tonnen des Supermarktes entnommen zu haben. Obwohl Marktkauf keine Anzeige erstattete, erhielten die zwei Angeklagten Strafbefehle wegen Diebstahls über 10 und 20 Tagessätze. Begründet wird dies mit einem angeblichen besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Nachdem die zwei Betroffenen Einspruch einlegten, kam es am 13.10.2010 zur Hauptverhandlung am Amtsgericht.

Zuvor machten in der Döbelner Innenstadt Aktivist_innen auf das Verfahren aufmerksam. Als vermeintliches Fernsehteam vom Mars befragten sie Passant_innen über die Hintergründe des Verfahrens. Fast alle Befragten äusserten Unverständnis und Entrüstung über dieses Strafverfahren und stellten das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in Frage.
Vor dem Gericht lief eine Aktivistin auf Stelzen und verteilte Rosen, die ein Supermarkt ursprünglich wegwerfen wollte. Andere Aktivist_innen malten mit Kreide Sprüche auf das Pflaster, die sich kritisch auf Lebensmittelvernichtung und Justiz bezogen. Weitere Personen erkletterten zwei Fahnenmasten und entfalteten ein Transparent mit der Aufschrift: Was ist schon Müll? Lebensmittelvernichtung stoppen!. Daraufhin wurde ein Leiterwagen der Feuerwehr herbeigerufen, um das Transparent zu entfernen. Die beteiligten Aktivist_innen werten diese Massnahme als unverhältnismässig.

Am Eingang des Gerichts wurden alle Prozessbesucher_innen von der Polizei, die mit mehreren Mannschaftswagen und etwa 10-15 Beamt_innen vor Ort war, durchsucht. Die Verhandlung selbst zog sich von 14 bis 22 Uhr hin. Den sich selbst verteidigenden Angeklagten, deren Anträge auf Beiordnung von Pflicht- oder Laienverteidigern abgelehnt worden waren, wurden keine oder nur sehr kurze Pausen zum Schreiben von Anträgen gewährt. Dies führte in den Abendstunden zu Übermüdung und Konzentrationsschwierigkeiten auf allen Seiten. Trotzdem setzte das Gericht die Verhandlung fort.
Die Angeklagten erhielten im Laufe des Prozesses nur Ablichtungen von Teilen der Verfahrensakte, obwohl juristisch auch eine vollständige Akteneinsicht möglich und geboten wäre. Aus diesen Gründen stellten die Angeklagten eine Reihe von Befangenheitsanträgen gegen Richterin Süss. Diese wurden fast alle von ihr selbst, mit beinahe wortgleichen Begründungen, verworfen, da die Anträge angeblich nur der Prozessverschleppung dienen würden. Im Laufe der Verhandlung verwies Richterin Süss 5 Personen des Saales. Ihr Tonfall hierbei wurde von vielen Anwesenden als laut und aggressiv wahrgenommen. Anlass waren vereinzelte Zwischenrufe, obwohl die Richterin deren Urheber_innen nicht immer mit Sicherheit bestimmen konnte. Gegen 21 Uhr wurde der einzige geladene Zeuge vernommen. Es handelte sich um einen Döbelner Polizeibeamten, welcher die beiden Angeklagten in der fraglichen Nacht kontrollierte. Er sagte unter anderem aus, dass er nicht mit Sicherheit wisse, ob die Lebensmittel tatsächlich aus den Marktkauf-Containern stammen würden. Einige seiner Äusserungen empfanden die Angeklagten als beleidigend. So beschrieb er einen von ihnen als unsauber und sagte aus, er habe den Eindruck gemacht, als sei dieser gerade aus dem Müllcontainer geklettert.

Um kurz vor 22 Uhr gab Richterin Süss die Vertagung der Verhandlung bekannt. Auf Antrag der Angeklagten soll am nächsten Verhandlungstag eine weitere Polizeibeamtin vernommen werden.

Frederik, einer der Angeklagten, sagt dazu: Der Verurteilungswille von Richterin Süss war von Beginn an sichtbar. Sie war offenkundig genervt, weil wir als Angeklagte es wagten, minimale prozessuale Rechte einzufordern.


Pressemitteilung der Beschuldigten 23.10.2010

Döbelner Mülldiebstahl beschäftigt sächsischen Landtag

Der Prozess um den Diebstahl von Müll, der zur Zeit vor dem Amtsgericht Döbeln verhandelt wird, zieht weitere Kreise. Am 21.10.2010 reichte Falk Neubert, medienpolitischer Sprecher der Linksfraktion im sächsischen Landtag, dazu eine kleine Anfrage ein. Zu den folgenden fünf Fragen muss die Staatsregierung innerhalb von vier Wochen Stellung nehmen:

1) Aus welchen Gründen wurde durch die Staatsanwaltschaft in diesem Fall ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung formuliert?

2) Worin besteht der Unterschied zu dem Fall in Hoyerswerda, bei welchem die Staatsanwaltschaft Bautzen mangels eines öffentlichen Interesses das Verfahren wegen der Entnahme von Lebensmitteln einstellte (Sächsischer Landtag, Kleine Anfrage DS 4/15223)?

3) Wie bewertet die Staatsregierung das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Döbeln?

4) Hält die Staatsregierung es für angemessen, dass die Angeklagten keine umfassende Einsicht in die Prozessakten erhalten?

5) Welcher Schaden ist durch die Entnahme der Lebensmittel aus dem Müllcontainer entstanden?

Nach wie vor versucht die vorsitzende Richterin Süss den Angeklagten deren Akteneinsichtsrecht zu verweigern. Der erneute Antrag auf Herausgabe der Akte, der dem Gericht bereits seit dem 18.10.2010 über einen Anwalt vorliegt, wurde gestern - allerdings erst auf Nachfrage - von der Richterin bewilligt, unmittelbar danach jedoch als "zu kurzfristig" abgeschmettert mit Hinblick auf die geringe Zeit bis zum nächsten Verhandlungstag am 28.10.2010. Stattdessen bot sie ein Duplikat der Akte zu erhöhten Gebühren (insg. ca. 40 Euro) an.
"Die Richterin hätte genügend Zeit gehabt, uns die Akte zur Verfügung zu stellen", sagt einer der Angeklagten. "Es war sichergestellt, dass die Akte wieder rechtzeitig beim Gericht gewesen wäre. Jetzt dafür einen unverhältnismässig hohen Preis bezahlen zu müssen, widerspricht jedem Rechtsverständnis und legt die Vermutung nahe, dass die Richterin ihren repressiven Kurs vom ersten Verhandlungstag weiterführen will", so der Angeklagte weiter.

Der nächste Verhandlungstermin ist angesetzt für den 28.10.2010, 9 Uhr, Zi. 203, Amtsgericht Döbeln.


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