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Ende Oktober erscheint der Katalog zum Projekt DRESDENPostplatz

Die Gruppe spot_off - Initiative gegen Videoüberwachung beschäftigt sich seit dem Frühjahr 2002 mit der Veränderung städtischer Räume. Sie organisierte im Rahmen des politisch-künsterlichen Projektes DresdenPostplatz zwischen Mai und Oktober 2003 die Veranstaltungsreihe Einstürzende Neubauten, die Filmreihe trabant.stadt.trabantenstadt und den Workshop reclaim the public space. Die Stadt uns allen. Der Plan, die Aussenrauminstallation Die Exklusive. Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten des Künstlers Andreas Siekmann im Dresdner Stadtraum zu zeigen, scheiterte an der Denkmalschutzbehörde des Regierungspräsidiums.

Der folgende Beitrag umfasst Ausschnitte aus Texten aus dem Katalog zum Projekt DresdenPostplatz, welcher vorauss. Ende Oktober 2004 im Verlag b_bookzs erscheinen wird.

»Du gehst da draussen nur durch STADTMANAGMENT SPAZIEREN! Und überhaupt gehst du nur durch Management spazieren. Dein Spaziergang ist MANAGEMENT! Du gehst durch diese Stadt, und dein Spaziergang, der wird reguliert durch Konsum, Milchkaffee und Architekturdesign, das du dir ansehen kannst oder EINWERFEN«.1

City Management Dresden: Dresden vor, Dresdner vor - Wir sind die City !

»Die allgemeinen unternehmerischen Rahmenbedingungen in Dresden durch die Etablierung eines funktionsfähigen City-Managements zu verbessern« und »die städtische Attraktivität zum betrieblichen und wirtschaftlichen Nutzen der Mitglieder zu erhöhen« ist das verlautbarte Ziel des City Management Dresden. Und: »Wir fördern die Entwicklung der Landeshauptstadt Sachsens durch ein kooperatives Citymarketing. Wir sind der >Kümmerer< der Innenstadt und gestalten einen attraktiven Marktplatz >City Dresden<. Damit profilieren wir Dresden mit Ihren Stärken im Standortwettbewerb der Kommunen.«2 Das City Management Dresden hat bisher drei so genannte »City-Teams« initiiert, die angetreten sind, Problemen in der Innenstadt den Kampf anzusagen. Neben dem Team »Weihnachtsbeleuchtung« existiert auch ein Team für »Sicherheit und Sauberkeit«, welches paradigmatisch für die Reduzierung der Innenstadt auf die Konsumfunktion und für die Ausrichtung auf den touristischen Blick steht. Die im City Management Dresden organisierten Gewerbetreibenden eignen sich an dieser Stelle eine Interpretationshoheit über den städtischen Raum an, die ihre Interessen stärkt und repressive Ausschlussmechanismen gegenüber Marginalisierten schafft. Das dritte Cityteam nennt sich »Leitsysteme« und sorgt sich um eine bessere Einbindung der nördlich der Elbe gelegenen Neustädter Seite in die Dresdner Innenstadt. Eine vom City Management durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Drittel der befragten DresdnerInnen und Gäste mit den Begriffen »Königstrasse« und »Barockviertel« nichts anzufangen wissen. Eine erste Massnahme ist ein quer über die Hauptstrasse gespanntes Banner mit der Aufschrift »Hier geht Dresden weiter!«3

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Das »Canaletto-Syndrom«

Die relativ hohe Dichte an Wohnraum trägt dazu bei, dass in der Innenstadt Dresdens nicht nur monofunktional definierte Teilbereiche, sondern auch Orte der Differenz zu finden sind, z. B. der Postplatz. Die Innenstadt und angrenzende Gebiete haben ihren »halbfertigen« Charakter behalten, da der Drang nach historischer Authentizität z. T. die Realisierung von Grossinvestitionen und Abschreibeobjekten verhindert. Wir lehnen sowohl den historischen Wiederaufbau, als auch die Grossinvestitionen ab, die an den Bedürfnissen der StadtbewohnerInnen vorbei gehen. Der Diskussion um Stadtentwicklung in Dresden messen wir einige Bedeutung bei, da sich in ihr die Sehnsucht nach einem Disneyland unter barocken Vorzeichen ausdrückt und sie darüber hinaus geschichtsrevisionistische Motive transportiert.

K.-S. Rehberg, Professor für Soziologie an der TU Dresden geht in seinem Text Das Canaletto-Syndrom den Ursachen der historisierenden Identitätsbildung Dresdens nach. Als massgeblichen Grund führt Rehberg die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 an: »Nach der als Niederlage empfundenen Befreiung durch die Alliierten wurde diese Nacht des Grauens jedoch gerade für Dresden zu einer Quelle der Identitätsstiftung, welche seither nicht nur aus ›Barockem‹ gespeist ist, sondern eben auch aus seiner Vernichtung.« »Dresden ist Ausdruck einer sozusagen nach rückwärts gewandten ›Utopie‹«. Die Stadt, die Rehberg als »eine aus Historischem komponierte Idee« beschreibt, gründet ihren Ruhm vor allem auf räumliche Symbole, die Stadtanlage und Gebäudepracht.4

Die Stadt als Museum

Ein Spezifikum Dresdens ist der historisierende Blick auf die Stadtstruktur und die architektonische Ausrichtung. Masstab in der öffentlichen Diskussion ist der Stand vor den Bombardements im Februar 1945. Hier liegt der Fokus vor allem auf der Innenstadt, die nur zum Teil von den wiederaufgebauten Vorzeigeobjekten Brühlsche Terrasse, Schloss, Zwinger, Semperoper, Kreuz- und Frauenkirche geprägt wird, denn der Grossteil wird dominiert von der Architektur der verschiedenen realsozialistischen Epochen wie auch von Frei- und Brachflächen. Der Drang nach historisch authentischem Wiederaufbau - wobei mitunter auch darüber gestritten wird, welcher Zeitpunkt der massgebende ist - ist besonders gut an der Auseinandersetzung um die Gestaltung des Neumarktes zu beobachten. Anleihen an zeitgenössische Architektur wurden fast vollständig durch eine Bürgerinitiative und ein entsprechendes Bürgerbegehren verhindert.

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Mythos Dresden

Der teilweise »schonungslose« Wieder- bzw. Neuaufbau nach 1945, im Zuge dessen die Reste historischer Bausubstanz verloren gingen, um moderner Architektur Platz zu machen, hat die Mystifizierung Dresdens noch weiter verstärkt. Der Wiederaufbau der Frauenkirche steht symbolisch für den »Versuch eines Wiederanknüpfens an das alte Dresden« und hat der Diskussion über die »Rekonstruktion alter Stadtstrukturen« (z. B. Neumarkt) den Weg bereitet. Die emphatische Hinwendung zu allem Historischen findet ihr Negativ in der Ablehnung realsozialistischer Architektur, so auch bei Rehberg, der sich zum »Schandfleck Postplatz« (Dresdner Morgenpost) folgendermassen äussert: »wie der Postplatz mit seinem Umfeld, wo man die unmotivierte Resthälfte des grässlichen ›Fresswürfels‹ nicht mehr in eine gotische Kirche wird zurückverwandeln können«. Wir dagegen behaupten, dass der Postplatz in Dresden ein Ort ist, der Urbanität ausdrückt. Der Postplatz ist heterogen und versammelt eine Vielzahl an Architekturen verschiedener Epochen, die sich gegenseitig kommentieren. »So steht der barocke Zwinger für das alte und zugleich neue touristische Bild Dresdens, das Café Brazil und der Investorenriegel für die Neubestimmung einer wirtschaftlichen und sozialen Realität und der »Fresswürfel« für die modernen Visionen einer mittlerweile ungeliebten DDR-Vergangenheit der sechziger Jahre.«5 Dazu kommen noch die Imbissbuden auf der südlichen Seite des Platzes, die der Ausrichtung des Stadtbildes auf einen touristischen Blick bisher standhalten konnten. Der Postplatz hat ein Maximum an Vielfalt und Widersprüchen zu bieten und widersetzt sich den architektonischen Homogenisierungsbestrebungen.

Möglicherweise lässt sich das Phänomen des Historismus in Dresden mit einer weiteren Ursache begründen. Offensichtlich dient der Barock als Symbol fürstlichen Reichtums und politischer Stärke, als Projektionsfläche für die Gegenwart, in der sich politische und wirtschaftliche Stärke so gar nicht einstellen will. Die permanente Bezugnahme auf »augustsche« Zeiten entlarvt die Sehnsucht nach »Besseren Zeiten« sächsischer Regionalgeschichte und den Wunsch nach einer Kulturikone im Herzen der ostdeutschen Provinzialität.

1 René Pollesch: Stadt als Beute (nach spaceLab)

2 [www.citymanagement-dresden.de/e2/e8/index_ger.html, 5. Februar 2004]

3 Sächsische Zeitung vom 26. Februar 2004, »Zwischen High-Tech und Canaletto-Syndrom«

4 Rehberg, Karl-Siegbert: Das Canaletto-Syndrom In: Ausdruck und Gebrauch. Dresdner wissenschaftliche Halbjahreshefte für Architektur Wohnen Umwelt von Achim Hahn (Hg.). Heft 1. 2002. S. 79ff

5 Reader 1 zum Veranstaltungsprogramm DRESDENPostplatz - Soweit war ich mit meinen Gedanken gekommen, als plötzlich der Frühling hereinbrach. Mai 2003. S. 2


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