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Innenminister Ulbig zündelt und schiebt ab
Für alle Menschen die wissen möchten, wie sich die Demokratie in den letzten 25 Jahren im Osten des Landes entwickelt hat, lohnt sich ein aktueller Blick in das seit 1990 CDU-regierte Sachsen. Parallel zur Selbstenttarnung der jahrelang ungestört im Freistaat lebenden und raubend durchs Land ziehenden Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) folgte eine beispiellose Jagd auf all die Menschen, die sich jedes Jahr aufs neue einem der zu dem Zeitpunkt grössten Naziaufmärsche in Deutschland entgegenstellten. Während eine Aufarbeitung der NSU-Verbrechen und der Verwicklung von staatlichen Instituationen in die rassistische Mordserie mittlerweile in weite Ferne gerückt ist, bezog Sachsens amtierender Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Montag gegenüber der Presse Stellung zu den steigenden Zahlen von Asylsuchenden im Freistaat und drückte, wie es sich für einen populistischen Politiker gehört, sein Verständnis für die sich dagegen richtenden Proteste von Bürgerinnen und Bürgern aus. In seinem Interview mit der Morgenpost verwies Ulbig zunächst auf die aktuellen Probleme für Städte und Gemeinden genug Platz zu finden, um alle Asylsuchenden für die Dauer ihres Anerkennungsverfahrens unterzubringen. Angesprochen auf die immer wieder geäusserte Kritik einer Zunahme von Kriminalität im Umfeld von Unterkünften reagierte der Minister und künftige CDU-Kandidat für den Oberbürgermeisterposten in der Landeshauptstadt ausweichend. Insgesamt seien nach seinen Angaben rund drei Prozent der Asylsuchenden Intensivstraftäter, "die immer wieder stark auffällig werden" und damit die "Stimmung" in der Gesellschaft "vergiften", dennoch handelt es sich dabei um eine kleine Gruppe, derer sich "gesondert angenommen" werden müsse. Als Lösung kündigte Ulbig den Aufbau einer "spezialisierten Gruppe" bei der sächsischen Polizei an, die sich in Zukunft mit straffällig gewordenen Asylsuchenden "intensiv beschäftigen wird". Als Grund dafür nannte Ulbig ein "Zusammentreffen von Strafprozessordnung und Ausländerrecht" welches in Einzelfällen dazu führen kann, dass Asylsuchende am Ende mit einer Art Bleiberecht "belohnt werden". Angesprochen auf die PEGIDA-Demonstration warnte er vor den "üblichen Antifa-Reflexen": "Ich bin aber dagegen, dass Rechte oder Linke ein Thema, eine Stimmung der Leute an sich reissen." Eine Aussage, die mit einem Blick auf das Geschehen in der sächsischen Landeshauptstadt schon längst von der Realität eingeholt sein dürfte. Es sind keine Ängste und auch nicht die eigene Unsicherheit, die die Menschen derzeit zu tausenden auf Dresdens Strassen treibt, sondern Rassismus und Islamfeindlichkeit. Bereits in der Vorwoche hatte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Dresdner Stadtrat, Georg Böhme-Korn (CDU), gegen Blockaden ausgesprochen und davor gewarnt, "dass durch solche Aktionen nicht unsere geltende Herrschaft des Rechts zu einer Herrschaft der Strasse umfunktioniert wird". Während auf zahlreichen Ortsbeiratssitzungen zu diesem Thema immer wieder diejenigen Menschen beschimpft und bedroht wurden, die sich in Wortbeiträgen für Flüchtlinge einsetzten, warf Böhme-Korn dem Bündnis "Dresden Nazifrei" vor, "unter dem Deckmantel des angeblichen 'zivilen Ungehorsams' gewaltfreie Meinungsäusserungen zu unterbinden". Auch die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit und mit Bernd Lommel auch der Fraktionsvorsitzende der "Alternative für Deutschland" (AfD) im Stadtrat von Dresden hatten sich gegen eine durch das Bündnis nicht ausgeschlossene Blockade von PEGIDA ausgesprochen und eine damit verbundene Einschränkung des Demonstrationsrechts kritisiert. Das alles geschieht vor einem stetig grösser werdenden Aufmarsch tausender unzufriedener Bürgerinnen und Bürger, die gemeinsam mit Hooligans und bekannten Nazis plötzlich eine Facette von Demokratie für sich entdeckt haben, um mit der von Böhme-Korn benannten "Herrschaft der Strasse" ihre Vorstellung einer homogenen und monoethnischen Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen. Worin das enden kann, sollten Fälle wie der NSU-Terror oder die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nach den rassistischen Ausschreitungen zu Beginn der neunziger Jahren eigentlich gezeigt haben. Von Schutz und Unterstützung für die durch eine deutliche Zunahme von Übergriffenen und Brandanschlägen betroffenen Minderheiten in diesem Land ist allerdings in der sächsischen Art der Willkommenskultur kaum etwas zu vernehmen. Äusserungen wie die von Ulbig entstehen auch nicht im luftleeren Raum, sondern sind ein Ausdruck dessen, was unter demokratischer Partizipation in dem Bundesland mit den, gemessen am Bevölkerungsanteil, meisten Abschiebungen verstanden wird. Eine gesonderte Strafverfolgung für "kriminelle Ausländer" soll eingeführt werden, um damit auf die "Ängste und Unsicherheiten" in der Bevölkerung einzugehen. Gleichzeitig ist dies eine willkommene Gelegenheit, um gegen die berechtigte Kritik von linker Seite Stimmung zu machen, die vor dem unterschwelligen Rassismus hinter den sich nach Aussen hin friedlich gebenden Montagsprotesten von PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) warnt. Es ist bezeichnend für eine Demokratieauffassung, wenn mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch Menschen nach ihrer Flucht vor Krieg und Terror auf engstem Raum verwahrt und elementarster Grundrechte beraubt werden. So wird nicht etwa darüber diskutiert, wie die von der Kontaktgruppe für Asyl in diesen Tagen angeprangerten miserablen hygienischen Bedingungen in Dresdner Heimen verbessert werden können, sondern ob ein reiches Land wie Deutschland in der Lage dazu ist, diejenigen Menschen aufzunehmen, die nicht nur ihr Herkunftsland, sondern oft auch ihre Familien verlassen mussten. Beifall für die Äusserungen von Sachsens Innenminister gab es am frühen Montagabend zu Beginn der nun schon sechsten Montagsdemonstration, welche an der Lingnerallee startete und im Anschluss an einen Redebeitrag durch Mitveranstalter Lutz Bachmann einmal mehr schweigend durch die Dresdner Innenstadt bis zum Theaterplatz zog (Fotos 1 | 2). Zwar sprach sich der zumindest in der Öffentlichkeit betont seriös gebende Bachmann in seinem Eingangsredebeitrag für eine Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus, erinnerte zugleich jedoch auch an die Bestimmungen der "Dublin-II-Verordnung", wonach ein Antrag auf Asyl nur in dem europäischen Land gestellt werden darf, welches zuerst betreten wurde. Vor dem Hintergrund einer von CDU, SPD und den Grünen erst im September beschlossenen und von Sachsens Innenminister massgeblich mitgetragenen erneuten Verschärfung des Asylrechts sprach sich Bachmann unter dem Applaus hunderter Menschen anschliessend ebenso gegen die Aufnahme sogenannter "Wirtschaftsflüchtlinge" und für eine "sofortige Rückführung" abgelehnter Asylsuchender aus. Und auch hier war Ulbig Stichwortgeber, als er im September in einem Interview mit dem Deutschlandfunk eine politische Verfolgung von Menschen auf dem Balkan als unbegründet zurückwies. Interview von Radio Corax mit Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen: Die "Pegida" mobilisieren in Dresden seit Wochen zur "Montagsdemo" Während in der Dresdner Innenstadt abermals mehrere tausend Menschen gegen eine drohende "Islamisierung des Abendlandes" und "Glaubenskriege auf deutschem Boden" auf die Strasse gingen, versammelten sich zeitgleich vor und in der Neustädter Dreikönigskirche etwa 500 Menschen, um gemeinsam mit offiziellen Vertretern der Stadt über den Massnahmeplan für die Unterbringung zu diskutieren. Auf der Veranstaltung trat Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll Ängsten vor einer wachsenden Kriminalität im Umfeld von Asylsuchendenheimen entgegen. Zwar gebe es Ausländerkriminalität, "davon aber die Gefährlichkeit einer ganzen Menschengruppe abzuleiten, geht zu weit", sagte der Polizeipräsident. Vielmehr gehe von Asylsuchenden "keine signifikante Störung der inneren Sicherheit" aus. Zuvor hatte Dresdens parteiloser Sozialbürgermeister Martin Seidel den Massnahmeplan der Stadt als Notwendigkeit verteidigt. Der Plan sieht für die kommenden Monate die Schaffung von mindestens zwölf neuen Gemeinschaftsunterkünften im Stadtgebiet vor. Doch in zahlreichen Stadtteilen regt sich Widerstand gegen diesen Plan, oft ungenutzte und unrentable Wohnflächen in Unterkünfte für Asylsuchende zu verwandeln. So berichteten im Laufe der Veranstaltung Bewohner aus dem beschaulichen Laubegast davon, dass in ihrem Stadtteil mehr als 4.000 Unterschriften gesammelt wurden, um damit gegen eine auch vom Betreiber gewünschte Umwandlung des Hotels "Prinz Eugen" zu protestieren. Aus linken Kreisen wird inzwischen für den kommenden Montag zu einer überregionalen Demonstration nach Dresden mobilisiert. In ihrem Aufruf appellieren die Veranstalter an alle couragierten Bürgerinnen und Bürger, nächsten Montag "ein deutliches Zeichen gegen jede Form von Rassismus zu setzen" und sich stattdessen für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Unterdrückung einzusetzen. Ob sich damit etwas am Zulauf auf Seiten der PEGIDA-Demonstration ändert, bleibt angesichts der von Innenminister Ulbig getroffenen Aussagen eher fraglich und das verwundert kaum, schliesslich will Ulbig spätestens im kommenden Februar Dresdens amtierende Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) als Stadtoberhaupt beerben. Was dieses Zusammenspiel zwischen politischen Brandreden und dem rassistischen Protest tausender Menschen gerade für die schwierige Situation von geflüchteten Menschen bedeutet, lässt sich nur erahnen. Der Dialogversuch, so scheint es, kommt zu spät und ist nicht zuletzt ein Beleg für die von der CDU seit Jahrzehnten bewusst vernachlässigte politische Diskussionskultur in Sachsen. |
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