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Offener Brief an Fraktionsvorsitzenden der Dresdner SPD-Stadtradsfraktion zur Unterstützung des ELIXIR-Projekts

Wir als Kontaktgruppe Asyl e.V. unterstützen des Projekt Elixir. Um unsere Sicht auf das Projekt auch im Stadtrat anzubringen und weil die SPD-Fraktion, so unser Eindruck zumindest, noch nicht 100%ig hinter dem Projekt steht, haben wir einen offenen Brief an den Vorsitzenden der Stadtradtsfraktion der Sozialdemokraten, Christian Avenarius, geschrieben, den wir an dieser Stelle veröffentlichen. (hier als PDF)

Sehr geehrter Herr Avenarius,

der Kontaktgruppe Asyl e.V. bietet eine wöchentliche ehrenamtliche Erstberatung für geflüchtete Menschen in Dresden an. Dabei kommen wir immer wieder in Kontakt zu Menschen, denen ihre zugewiesene Unterkunft nicht guttut. Gesundheitliche und hygienische Gründe spielen da ebenso eine Rolle wie persönliche Konflikte. Wir sind der Überzeugung, dass das Projekt "Elixir" viel besser auf individuelle Bedürfnisse geflüchteter Menschen in Dresden eingehen kann als die bisherige städtische Standardversorgung. Anhand einiger Beispiele möchten wir Ihnen aufzeigen, dass ein alternatives Wohnkonzept mit integrativem Ansatz ein grosser Gewinn sowohl für die betroffenen Menschen als auch für die Stadtgesellschaft insgesamt wäre.

Seit drei Monaten begleiten wir einen jungen Iraker, dem aufgrund seiner Asthmaerkrankung mehrmals ärztlich bescheinigt wurde, dass er dringend in einem Einzelzimmer, allenfalls einem Zweibettzimmer untergebracht werden muss. Passivrauchen, aber auch das Einatmen von Parfum führen bei ihm regelmässig zu starken Asthmaanfällen. Die Vorsprachen beim Sozialamt führten zwar zu einem Wechsel der Unterkunft, jedoch sah er sich weiterhin mit Mitbewohnern konfrontiert, die auch in der Wohnung rauchten. Der medizinisch dringend indizierte Bezug einer eigenen Wohnung scheitert seit einigen Wochen an langwierigen Abstimmungen zwischen Sozialamt und Ausländerbehörde, aber auch an der angespannten Lage auf dem Dresdner Wohnungsmarkt.

Im Jahr 2014 berichteten uns mehrere Bewohner*innen eines Übergangswohnheims in der Johannstadt von Bettwanzen sowie Schimmelbefall in der Wohnung. Ein Bewohner legte nach mehrmaligen Beschwerden bei der Heimleitung selbstständig einen Teil seines Fussbodens frei und wurde daraufhin der Unterkunft verwiesen (Nach Darstellung der Stadt Dresden habe er um seine Umverteilung gebeten und sei daraufhin einem anderen Übergangswohnheim zugewiesen worden).

Anfang 2016 hörten wir von einem Syrer, der in einer Kleinstadt nahe Dresden auf seineEntscheidung im Asylverfahren wartete, dass das Leben in der fensterlosen Kellerwohnung, die man ihm zugewiesen hatte, auf Dauer arg belastend sei.

Wir sehen ein grosses Potenzial für eine menschenwürdigere Unterbringung in dem Projekt "Elixir" und sind überzeugt davon, dass solche und ähnliche Fälle dort wesentlich unbürokratischer und zufriedenstellender für die Beteiligten gelöst werden könnten.

Von einem anderen Fall erfuhren wir im Mai dieses Jahres. Eine 19-jährige Syrerin wurde einer Wohnung zugewiesen, in der bereits eine Familie und eine weitere Frau wohnten. Diese äusserten gegenüber der Syrerin, dass in der Wohnung kein Platz für sie sei und sie auf der Strasse schlafen könne. Das Mädchen kam vorläufig bei einer anderen Frau unter und bemühte sich um Klärung ihrer Wohnsituation beim Sozialamt. Wie viel schöner wäre ein freundlicher Empfang in dem Wohnprojekt in einer WG mit Menschen, die sie willkommen heissen und sie in ihrer ersten Zeit in Dresden unterstützen würden.

Das Projekt "Elixir" möchte Räume für Begegnung, Lernen, Kunst und Kultur schaffen. Durch Selbstorganisation soll Geflüchteten die Chance eröffnet werden, zu Mitgestalter*innen ihres Lebens und ihres Umfelds zu werden und Perspektiven für ein gutes Leben in Dresden zu finden. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass dies funktioniert und kennen andererseits Beispiele, für die eine solche Alternative wünschenswert gewesen wäre.

Durch das Fussballangebot unseres Vereins lernten wir vor zwei Jahren einen Marokkaner kennen, der in Dresden studierte und inzwischen arbeitet. Dank seiner grossen Sprachbegabung spricht er fehlerfrei deutsch, ausserdem verfügt er über didaktisches Geschick. Er organisierte privat und ohne grosse Umstände einen kleinen Sprachkurs für diejenigen, die neu in Dresden angekommen waren und noch keinen Zugang zu Sprachunterricht hatten. Mit dem gleichen sprachlichen Background wie die Teilnehmenden konnte er manche Dinge verständlicher erläutern als muttersprachliche Sprachlehrer*innen das können. Der grösste Vorteil aber war, dass er den Teilnehmenden auf Augenhöhe vermitteln konnte, wie wichtig das Erlernen der deutschen Sprache ist. Diese hatten nach einiger Zeit die Möglichkeit andere Sprachkurse in Dresden zu besuchen. Ein Teilnehmer kann sich inzwischen flüssig auf Deutsch verständigen und ist auf der Suche nach einer Ausbildung. Ein anderer, mittlerweile mit Perspektive auf einen langfristigen Aufenthalt, geht mit Freunden zu Ämtern und Behörden und übersetzt dort für sie. Solche privaten Initiativen mobilisieren beachtliches Motivationspotenzial und haben Vorteile bezüglich der Nachhaltigkeit. Im Projekt "Elixir" sehen wir den richtigen Ort, um genau diesen Ansatz zu fördern und zu verbreitern.

Zum Teil werden wir bei unserer Beratungstätigkeit von ehrenamtlichen Übersetzer*innen unterstützt, die selbst in Dresden das Asylverfahren durchlaufen haben. Dabei ist nicht nur die Sprachmittlung ein Gewinn, sondern auch der von den Betreffenden eingebrachte Erfahrungshintergrund. Sie haben viele Situationen, die von den Ratsuchenden vorgetragen werden, selber durchlebt und können deshalb aus erster Hand Rat weitergeben. Ein Beratungszentrum im Projekt "Elixir", das von Geflüchteten mitgestaltet und organisiert wird, könnte Menschen sehr niedrigschwellig erreichen. Es würde ein Netzwerk mit grossem Erfahrungsfundament entstehen, das neuen Dresdner*innen in diversen Fragen beim Zurechtfinden helfen würde.

Ebenfalls durch das Fussballangebot haben wir einen geflüchteten Menschen kennengelernt, deranfangs gut in der Dresdner Stadtgesellschaft Fuss gefasst hatte. Er kann sich auf Deutsch und Englisch verständigen, hat eine Vollzeitarbeit gefunden und war in einem städtischen Fussballverein integriert. Sicherlich hätte er das Potenzial, eine Ausbildung zu absolvieren und anspruchsvolleren Tätigkeiten nachzugehen, wenn ihm die Möglichkeit dazu eröffnet würde. Gezeichnet durch die Last seiner Fluchterfahrungen und die aktuelle Perspektivlosigkeit hat er in Dresden aber ein grosses Drogenproblem entwickelt, mit dem er sein Leben endgültig kaputtmacht. Ganz klar hat er an verschiedene Menschen adressiert, dass er sich einsam und nicht akzeptiert fühlt und sie keine wirklichen Freunde sind. Mittlerweile legt er, den wir als ruhigen und sympathischen Menschen kennen gelernt hatten, ein hohes Aggressionspotenzial an den Tag, das er gegen die Menschen richtet, von denen er enttäuscht ist.

Wir glauben, dass dies in einer Community, in der Menschen mit ihren Ideen und Eigenarten Platz haben und wertgeschätzt werden, so wahrscheinlich nicht passiert wäre. Vielleicht hätte er hier seine Fähigkeiten einbringen und auch Ideen entwickeln können, was er aus seinem Leben machen kann und will - ob in Deutschland oder auch im Ausland. Es darf nicht sein, dass immer wieder junge begabte Menschen erleben müssen, dass ihnen aufgrund ihrer Herkunft verwehrt wird, ihren Platz in unserer Welt zu finden und einzunehmen.

Sehr geehrter Herr Avenarius, Menschen, die uns in der Beratung aufgesucht haben, sagten "Ich brauche irgendetwas zu tun, sonst mach ich Scheisse" und "Ich möchte leben wie ein normaler Mensch".

Dresden braucht ein alternatives Unterbringungskonzept für Geflüchtete, das nicht auf Aus- und Abgrenzung von Menschen basiert, sondern einen integrativen Ansatz des Zusammenlebens verfolgt.

Gerade in Dresden ist ein Raum für Tätigkeiten und Projekte notwendig, der frei von rassistischer und kulturchauvinistischer Diskriminierung ist.

Wir fordern Sie und die Stadt Dresden deshalb auf, dem Projekt "Elixir" das Gelände des Grundstücks Königsbrücker Strasse 117a/119 zur Verfügung zu stellen.

Mit freundlichen Grüssen

Kontaktgruppe Asyl e.V

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