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Ausstellung "Tatort Stadion" geht auf Tour
Wenn Rassismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist, werden auch Fussballstadien und ihr Umfeld regelmässig zum Tatort. Als Ventil für diskriminierende Anschauungen, die z. B. im alltäglich tolerierten Rassismus verwurzelt sind, kommt der Fussball den Ewiggestrigen, den Antisemiten und Sexisten, wie gerufen. Insofern kann es eigentlich niemanden wundern, dass auch neonazistische Gruppierungen seit den 1980er Jahren immer wieder versuchen, die Szene zu unterwandern und ihre Botschaften dort zu etablieren. Bei der Betrachtung von Fankultur ist es wichtig, nicht den gleichen Fehler zu machen, den oftmals die Medien fortschreiben. Sie setzen Hooligans gern mit Neonazis, Boneheads bzw. rechten Jugendlichen gleich. Solche Pauschalisierungen verfehlen die Realität. Generell gilt gar nichts: Nicht alle Hooligans sind Neonazis, Boneheads oder rechte Jugendliche. Und: Neonazis, Boneheads oder rechte Jugendliche gehören nicht per se zu den örtlich etablierten Hooligan-Gruppen. Sicher existieren personelle Überschneidungen. Die Zusammensetzung der Szene differiert jedoch von Ort zu Ort. Hooligans sind in erster Linie gewaltorientiert und ihnen geht übermässige Betonung auf Politik zumindest vordergründig gegen den Strich. Sicher gibt es auch Hooligans, die sich offen als "Rechte" bezeichnen würden; und latent rechts sind viele (bzw. die meisten), auch wenn es ihnen selbst nicht bewusst sein mag. Viele stehen unterschwellig für typische Einstellungen ein, die zum rechten, neonazistischen Weltbild gehören. Es gibt Überschneidungen im Denken: Männerbündelei, Chauvinismus, Hart sein als absolutes Ideal - da treffen sich Hooligans inhaltlich und in ihren Ausdrucksformen mit Neonazis, Boneheads bzw. rechten Jugendlichen. Auf irgendwie rechte Jugendliche übt ein solches hartes Auftreten heute weiterhin einen starken Reiz aus: nach aussen hin mit relativ leichtem Aufwand überlegen zu wirken. Die Wahrheit ausserhalb der Mediendarstellung ist ungleich gruseliger: Hooligans sind das ungeliebte Zerrbild dieser Erfolgsgesellschaft. Sie alle setzen mit Fäusten um, was durch die Sprache in Presse und Fernsehen oder durch das Verhalten einzelner Spieler, Trainer und Funktionäre vorgelebt wird. Der Gegner wird ausgeschaltet, vom Platz gefegt, weggebombt, kampfunfähig gemacht. Spieler sind Leitwölfe, hart und kaltblütig, die sich den Arsch aufreissen (L. Matthäus) und sollen mit der Brechstange und mit Granaten um jeden Preis siegen. Zum Debüt von Arne Friedrich in der DFB-Elf sagte Bundestrainer Michael Skibbe im Oktober 2002: "Es ist das erste mal, dass er in einem Pflichtspiel für Deutschland an die Waffen muss." (Der Tagesspiegel) Die vermeintlichen Tugenden der Streetfighter werden eben auch in den Chefetagen von Medien und Wirtschaft geschätzt: Klaus Kocks, PR-Manager bei VW, ist im Wirtschaftskrieg lieber "eine Art Hooligan der feineren Stände" (Süddt. Zeitung) als "Muckefuck-Trinker". Und auch Leo Kirch kämpfte mit rücksichtsloser Ellbogenmentalität für sein Monopol an den Fussball-TV-Rechten. Hauptsache, potenzielle Konkurrenten können abgeschüttelt werden, im Idealfall bis zur Vernichtung des Widersachers. Auch die Tagespolitik dient oft genug als Humus, auf dem rechte Ressentiments und Gewalt gedeihen. So wie die Politik der Innenminister Kanther und Schily den Alltagsrassismus verstärken, hatte vor dem Türkei-Länderspiel 1983 der Berliner Innensenator Heinrich Lummer Öl ins Feuer gegossen, indem er die Losung "Berlin muss deutsch bleiben" ausgab und behauptete, der Unterschied zwischen Türken und Deutschen beginne schon beim Geruch. "Ausländer" werden zunehmend danach beurteilt, ob sie nützlich für "dieses" Land sind. Solche standortnationalistische Politik ist Wasser auf die Mühlen der Fremdenfeinde und Rassisten in Deutschland, die sich so als Speerspitze der Gesellschaft fühlen können und - rebellisch wie sie meinen zu sein - auch mal einen Schritt weiter gehen. In vielen Fällen können sie sich rechtfertigen, lediglich das offen auszusprechen oder sogar umzusetzen, was "die da oben" oder sogar die Familie am Küchentisch verbreiten. Ganz zu schweigen von Sexismus (Frauenfeindlichkeit und Homophobie) und Antisemitismus, die sich (auf den Rängen) einem breiten, sanktionierten Konsens erfreuen. Dies wird unterstützt durch sexistische Werbekampagnen vieler Vereine, die mit nackten Frauen in entsprechenden Posen und Betitelung ihre Produkte an den "Mann" bringen wollen. Ebenso der DFB, der zur Werbung um die WM 2006-Bewerbung freizügige Jamaikanerinnen beim Jubeln während der WM 1998 in Frankreich auf Werbeposter drucken liess. In den Kurven ist die diffamierende Schimpfform "Votze" immer noch an der Tagesordnung - mit der Entschuldigung, es sei doch nicht so gemeint. Bei den sog. "normalen Bürgern" äussert sich das gewöhnlich auf dem Level "Ich bin doch kein Rassist/Sexist, aber..." - ein Zeichen dafür, wie entsensibilisiert sog. "normale Bürger" sind, die so reden. Auch junge Neonazis werden in einer kommerzialisierten Welt gross, in der Marken und Hip-Sein eine grosse Rolle spielen. Deshalb sind Hakenkreuze im Alltag eher "unsexy" und lediglich das letzte Mittel, wenn keiner zuguckt. Lieber werden z. B. schwarz-rot-weisse Hemden der Marke "Fred Perry" getragen. Was bei anderen Menschen als Modeerscheinung gelten kann, wird bei Anwendung durch einen Rechten mit nationalistischer und rassistischer Bedeutung und Aussage aufgeladen. Hierbei drückt sich rechte Symbolik in ständig wechselnden Codes aus, um z. B. die Stadionordner zu täuschen. Aber auch eindeutige Parolen sprechen weiterhin für Vernetzungen mit Antisemitismus und organisierten Strukturen: "Wir bauen eine U-Bahn von XY nach Auschwitz" oder "Hier marschiert der nationale Widerstand". Nur selten wird es so offen, wie im Netzforum bei "www.tatort-stadion.de" am 30.2.2002: "Es müSSen noch mehr rechte in die stadien und die nigger und alis aus den doitschen manschaften jagen.heil hitler", schrieb jemand, der sich als St. Pauli-Skinhead ausgab. Das Internet hat die Spielberichtsfanzines der späten 80er und beginnenden 90er revivalt. Dort tauchen heute immer wieder rechtsgerichtete Anspielungen, diesbezügliche Schimpftiraden und Losungen auf. Der vereinsübergreifende Fanclub "Ruhrpottadler" nahm 2002 einen Vereinsausschluss von BAFF durch eigenen Austritt vorweg, weil eines ihrer Mitglieder nicht nur eine Fahne im Stadion präsentierte, die an das Layout der Reichskriegsflagge erinnerte, sondern auch, weil ein weiterer "Ruhrpottadler" seine Homepage im Layout des Kuk-Klux-Clans präsentierte. Die Ruhrpottadler-Homepage verlinkte ausserdem zu dieser Zeit die faschistische Ultra-Fangruppe "Irriducibili" von Lazio Rom. Die Gruppe "Braunschweig 88" spielt nicht nur in ihrem Namen auf ihre Gesinnung an, sondern bietet im Downloadbereich ihrer Netzseite auch Songs der Band "Skewdriver" an. "Der Lokführer", ein siebzehnjähriger Fan des VfB Leipzig verbindet das Vereinslogo des VfB mit einem Sticker des Kuk-Klux-Klans, baut es anstelle des Hakenkreuzes ins Reichsadleremblem der NSDAP ein und äussert sich in Spielberichten entsprechend zu "den vielen Polacken" in den anderen Teams. Im Internet zeugt z. B. ein Foto der Kategorie Magdeburg von einer schwarz-weiss-rote Fahne mit altdeutscher Aufschrift zum Spiel gegen Oldenburg von der politischen Ausrichtung ihrer Urheber. Skinheads Ribnitz und Skinheads Rostock bejubeln im World-Wide-Web die neonazistischen Ausfälle von Fans und Hooligans seit den 80er Jahren, Sie outen sich als Rostock-Fans, die auch mal "einige Lieder, die mit ner U-Bahn zu tun haben" singen. Ein Fan von Rot-Weiss Erfurt fordert im Mai 2002 in einem Gästebuch "Zyklon B dem FCC" und die Hertha Harlekins, eine Ultragruppierung, die sich nach Selbstauskünften zur sog. unpolitischen Fanszene zählt, nutzt auf ihrer Homepage Songs der Neonazi-Band "Landser" zur Verfassung ihres eigenen Liedguts. Im Gästebuch der Hertha Fanatics fand sich ein Aufruf zum Überfall eines besetzten Hauses in Potsdam nach dem DFB-Pokalspiel beim SV Babelsberg 03, der dann auch von Hertha-Boneheads und Unterstützung aus dem gesamten Umland erfolgte. Um nur einige Beispiele zu nennen... Auch im Bundestagswahlkampf 2002 traten Rechtsaussen- bzw. Neonazi-Parteien wieder mit Propagandamaterial an die Stadionumfelder heran. So verhinderten nach wiederholtem Aufbau eines NPD-Standes vor der AOL-Arena des Hamburger SV im Frühjahr 2002 couragierte HSV-Fans die weitere Verteilung und Information von Flugblättern und Werbegeschenken. Aus Hannover hörte man beim Spiel gegen Eintracht Frankfurt nicht nur antisemitische Beschimpfungen, sondern fand beim ersten Heimspiel in der ersten Bundesliga im August 2002 hunderte von NPD- und Rudolf-Hess-Aufklebern rund um das Stadion. Zuvor hatte der FC Schalke 04 im Zusammenhang mit einem "Skrewdriver"-Logo auf einer S04-Fanfahne bundesweite Stadionverbote eingeleitet. Auch die Übergriffe allein im Herbst 2002, wie die Rufe von Aachener Fans gegen ihren Spieler George Mbowando, die Prügel von Chemnitz-Fans gegen ihren Spieler Cesar Mboma, die rassistischen Chöre bei Energie Cottbus gegen das eigene Team oder das Banner "Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten" von einigen Fans des VfB Leipzig zeigen, dass Engagement, Zivilcourage und die kontinuierliche Positionierung in deutschen Stadien notwendiger denn je ist. Auffällig ist, dass sich im Zuge von zunehmender Repression und Überwachung im Stadion Vorfälle vermehrt ins Stadionumfeld oder auf An- und Abfahrtswege verlagern. Oder sie passieren zeitunabhängiger vom Anpfiff. Das Spiel wird immer mehr zum Auslöser. Tatort Stadion ist ein erster Versuch, Diskriminierung und Rassismus im deutschen Fussball in seiner Kontinuität und Militanz nachzuzeichnen. Tatort Stadion ist ein Beginn sozialhistorischer Aufarbeitung, die eine ständige Fortschreibung erfordert. Tatort Stadion greift aber auch Gegenbewegungen in den Fanszenen, bei Vereinen und Verbänden auf. Faninitiativen und Fanzeitungen zeigen kreative Alternativen auf, wie antirassistisches Engagement in Stadien aussieht und gerade der Fussball unterschiedliche Menschen zusammenführen kann. Ziel von Tatort Stadion ist es, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass für rassistische und neonazistische Strömungen in den Fankurven sensibilisiert wird, um sie effektiv bekämpfen zu können. |
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