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Kleider machen Leute - und auch Politik
Toleranz für Antisemitismus im Pawlow?

In einer kalten Winternacht ohne Pläne für den Abend, unterwegs in der Dresdener Neustadt - warum also nicht einmal auf einen Besuch ins Pawlow auf der Görlitzer Strasse...

In der Kneipe an einem Tisch im oberen Stockwerk ein paar nette Sitzplätze gefunden, fiel der Blick wenig später auf ein T-Shirt eines Gastes. Auf dem Rückenprint war vereinfacht einer der zerstörten Türme des World Trade Centers zu sehen, auf den Zweiten steuerte ein Passagierflieger zu. Das Bildmotiv war umspannt mit der Aufschrift "Take a flight to the world trade's - to visit the j..nited states". Über die Vorderseite des Shirts erstreckte sich der Schriftzug "Boeing 767 Terror-Airlines".

Was die zwei Punkte in "j..nited states" verschleiern sollen, ist nicht schwer zu erraten. Mit dem damit verbundenen Verweis auf den Einfluss von Jüdinnen und Juden in der Weltmacht USA im Zusammenhang mit dem World Trade Center wird das wohl am weitesten verbreitete antisemitische Vorurteil, der von den Juden beherrschten globalen Wirtschaftsmärkte, propagiert. Der positive oder auch in perfider Weise "witzig" gemeinte Verweis auf den Anschlag vom 11. September 2001 in New York, bei dem über 3000 Menschen starben, ist darüber hinaus antiamerikanisch. Die Vermengung jener Symboliken stellt einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antiamerikanismus her.

"Die Strukturen des wirtschaftlichen Antiamerikanismus und Antisemitismus sind fast identisch. Beide Ressentiments trennen zwischen angeblich 'bösem raffenden Kapital' und 'ehrlicher schaffender Arbeit', sie wissen beide das 'Böse' des Kapitalismus in der Zinsknechtschaft verortet und personifizieren dieses in den Jüdinnen und Juden, bzw. den US-Konzernen. Kapitalismus wird somit nicht als eine Herrschaft verstanden, die keine Herrschenden kennt, sondern es wird eine skrupellos herrschende Gruppe (Jüdinnen und Juden bzw. KonzernchefInnen) imaginiert, die für die schlechten Auswirkungen des Kapitalismus verantwortlich gemacht wird.

Den USA sowie den Jüdinnen und Juden wird die irreale Macht zugesprochen, die Welt zu beherrschen und Unglück über sie zu bringen. Israel, 'dem Juden unter den Staaten', sowie den USA wird unterstellt, imperialistische Interessen zu verfolgen und dadurch den Weltfrieden zu gefährden. Darüber hinaus wird den Jüdinnen und Juden in der NS-Tradition zugeschrieben, einen zu grossen Einfluss auf Kultur und Politik auszuüben.

Das amerikanische Finanzkapital wird in jüdischer Hand vermutet. Es wird eine starke 'jüdische Lobby' halluziniert, welche die amerikanische Politik und Wirtschaft bestimmt und somit im Hintergrund die ganze Welt beherrscht. Diese angebliche jüdische Verschwörung wird mit Metaphern wie die 'Macht der Wallstreet', der 'Einfluss Hollywoods' oder die 'Ostküste' umschrieben."
(aus dem Faltblatt "Antiamerikanismus ist kein Antikapitalismus. Capitalism is not a conspiracy of a few, it works cause we work!", Antifaschistischer Frauenblock Leipzig)

Es verwundert deshalb überhaupt nicht, dass laut der Internetseite der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung jenes T-Shirt über neonazistische Versände verkauft wird.

Der Träger des entsprechenden T-Shirts wurde angesprochen und gefragt, was er denn mit seinem Kleidungsstück zum Ausdruck bringen möchte. Die einfache Antwort: Er könne anziehen, was er wolle. Das Shirt habe keinen antisemitischen Hintergrund.

Nach diesem kurzen Wortwechsel erhob sich sein Sitznachbar im Hansa Rostock Schal von der Theke und suchte das Gespräch, "wenn die Amis in den Irak oder Iran einfallen, zuckt ihr doch auch nicht". Offenbar um auf sein Bemühen um einen Dialog aufmerksam zu machen, entzündete er eine Kerze, die später jedoch mit dem Kommentar: "An diesem Tisch gibt's keine Kerzen", wieder weggenommen wurde. Auch mit der Freundlichkeit des sichtlich angetrunkenen Hansa-Fans war es wenig später vorbei. "Wir können das auch draussen klären.", äusserte er zu einer jungen Frau, welche sich an der Diskussion um das T-Shirt beteiligt hatte.

Den dritten Adventssonntag entspannt im Pawlow ausklingen zu lassen, viel daraufhin nicht mehr ganz so einfach. Beim Hinausgehen wurde auf einen Hinweis an der Bar bezüglich des T-Shirts nur geantwortet, dass man da ja viel hinein interpretiert könne. Ein mithörender Kneipengast bestätigte dies mit einer Geste nach dem Motto: "Wenn ihr schon dabei seid, könnt ihr jetzt auch wirklich gehen".

Es war nicht nur so, dass im Pawlow gegenüber dem Träger des antisemitische Inhalte vermittelnden Shirts mangelnde Zivilcourage oder falsche Toleranz angekreidet werden könnte. Die entsprechende Person wurde auch noch verteidigt, in Schutz genommen und die Diskussion über das T-Shirt als lächerlich und kleinlich abgewürgt.

Was in vermeintlich alternativen Schuppen in ostsächsischen Provinzen traurige Normalität geworden ist, gilt wohl auch im Pawlow. Bei Fussball, Party oder einem gemütlichen Bier spielt Politik offenbar keine Rolle. Und wer das anders sieht, bekommt dies deutlich zu spüren.

Solche Zustände zeigten sich in einer Kneipe, die gern von sich als links verstehenden Gästen besucht wird, in welcher die Kellnerin an jenem Abend ein Sweatshirt der Rostocker Punkband "Dritte Wahl" trug, in der also zu erwarten wäre, dass Träger antisemitischer T-Shirts weder Einlass gewährt, noch Bier ausgeschenkt wird. Dies bestätigt leider (und das gilt nicht nur für Dresden) eine gewisse Betriebsblindheit innerhalb sich links verstehender Zusammenhänge, welche sich zwar z.B. mit dem Kampf gegen offensichtliche Nazis identifizieren, aber für Kritik auch in die eigenen Strukturen hinein unfähig erscheinen. Verkürzte und platte Argumentationsmuster und Symboliken wie auf jenem T-Shirt sind Platzhalter für antisemitische Ideologie und lehnen sich an diese an. Gerade weil Antisemitismus z.B. in regionalen Fussballstadien (siehe Dynamo Plakat mit KZ-Häftlingen gegen den F.C. Lokomotive Leipzig) leider keine Seltenheit ist, sollte überall und gerade im alternativen Stadtteil Dresden Neustadt, antisemitischen Tendenzen jedweder Couleur entschlossen entgegen getreten werden.

Derzeit thematisieren Antifa-Gruppen nicht nur in Dresden Thor-Steinar-Naziklamottenläden. Auch in der (subkulturellen) Linken spielen politische Symboliken auf Shirts, Sweatern, Buttons und Patches eine grosse Rolle. Nur weil mensch sich jedoch in sich links verstehenden Zusammenhängen bewegt, heisst dies noch lange nicht, dass eine kritische Betrachtung von über Klamotten vermittelten politischen Botschaften nicht nötig wäre - ein Beispiel dafür waren die kruden Motive auf dem Shirt des Pawlow-Besuchers. Auch und gerade in linken Zusammenhängen sollte deshalb eine klare Ablehnung von antisemitischen und antiamerikanischen Symboliken sowie von Palitüchern selbstverständlich sein.

Wir fordern alle Kneipenbetreiber und Bardienste auf, Menschen mit Klamottenmotiven, welche in linken Zusammenhängen nichts verloren haben, in Zukunft den Bierhahn zu zu drehen und möchten auch alle Gäste alternativer Lokalitäten motivieren, dies zum Thema zu machen und gegebenenfalls die entsprechenden Personen anzusprechen.

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