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Von Kantinenessen, Fresspaketen und Chipkarten
Die Versorgung sächsischer AsylbewerberInnen

Podiumsdiskussion

Am 20. März diskutierten vor einem zahlreichem Publikum im Kulturrathaus Tobias Kogge, Sozialbürgermeister von Dresden, Dimitrios Ambetielos, Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Dresden, Carsten Enders von der Kampagne "... und wer kontrolliert Ihren Einkauf?", José Paca, Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Erfurt und stellvertredender Vorsitzender des Bundesausländerbeirates über die Einführung von Bargeld zur Verpflegung der AsylbewerberInnen in Dresden. Das sächsische Innenministerium ist Trotz Einladung der Veranstaltung fern geblieben.

In Dresden erhält ein erwachsener Asylbewerber oder geduldeter Flüchtling 10 bis 40 Euro Taschengeld im Monat. Für Lebensmittel gibt es die "Katalogversorgung", dass heisst, ein Asylbewerber muss aus einem begrenzten Katalog Nahrungsmittel zu überhöhten Preisen im Vorraus von ca. 2 Wochen bestellen und erhält 2 Pakete pro Woche für den Gesamtpreis von 30,55 Euro. Frischeprodukte sind im Paket oft nicht mehr frisch. Die Pakete müssen zu festen Terminen abgeholt werden. Das schlechteste Versorgungssystem an AsylbewerberInnen existiert im Landkreis Sächsische Schweiz. Dort werden die Flüchtlinge von einer Kantine bekocht.

Am 28.10.2004 beauftragte der Stadtrat von Dresden die Stadtverwaltung zur Einführung des Chipkartensystems und zum Engagement für die Bargeldeinführung. Letzteres hat das Dresdner Sozialamt bisher ignoriert und die Chipkarte wurde durch eine Verschleppungstaktik bis heute nicht eingeführt. Bei den ersten Anträgen der Stadt beim Innenministerium wurden mehr Argumente gegen die Chipkarte genannt.

Das Chipkartensystem gibt es schon in Plauen. In Leipzig hat das sächsische Innenministerium die Bargeldauszahlung verhindert. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG §1a) von 1993 auf Bundesebene schreibt eigentlich bis auf Ausnahmen das "Sachleistungsprinzip" vor. Diese "Ausnahmen" werden heute bis auf Bayern, Baden-Würtemberg und Sachsen schon fast überall praktiziert. In Dresden bekommen viele AsylbewerberInnen und geduldete Flüchtlinge, die über ein Jahr in Deutschland leben, nach einer Einzelfallreglung auch Bargeld ausgezahlt. AsylbewerberInnen mit Arbeitserlaubnis und Einkommen erhalten keine Leistungen.

Die Kampagne "...und wer kontrolliert Ihren Einkauf - Kampagne gegen Ausgrenzung von AsylbewerberInnen", die sich für die Auszahlung von Bargeld an AsylbewerberInnen einsetzt, gibt es seit Jahresanfang. Die Bargeldforderung der Kampagne wird unterstützt von zahlreichen Vereinen, Prominenten, Vertretern des Einzelhandels und Parteien. Die Kampagne prangert das "Fresspaket" und die etwas fortschrittlicherere "Chipkarte" als menschenunwürdig und rassistisch an. Damit wird AsylbewerberInnen ein normales Leben verwehrt. Sie werden ausgegrenzt, diskriminiert, entmündigt, herabgewürdigt und kontrolliert. Da die Kampagne meint, dass Menschen wie Menschen behandelt werden müssen, ist die Bargeldauszahlung die bessere Alternative. Wenn wir jetzt nichts gegen diese Zustände tun, werden sie womöglich auf andere Personengruppen wie ALG-II-EmpfängerInnen ausgedehnt.

Herr Kogge sagte auf der Podiumsdiskussion, dass er die Chipkarteneinführung nicht als realistisch sehe. Zwar laufe die Ausschreibung, aber wahrscheinlich werde sich keine Firma finden, die das Chipkartensystem für so einen kleinen Personenkreis einführen wird, zumal sich die 200 Personen auf 8 Heime in Dresden verteilen. Ihre Zahl geht dabei wegen der europäischen Abschottungspolitik noch zurück. Auch gab sich Herr Kogge dann plötzlich als Befürwörter der Bargeldzahlung. Einen Antrag beim sächsischen Innenministerium habe er aber noch nicht eingereicht. Daran werden wir arbeiten, dass er es möglichst schnell tut und gegebenfalls ohne Genehmigung des Landes die notwendigen Schritte einleitet.

In Erfurt wurde Bargeld ausgezahlt, nachdem sich viele Kunden und Geschäfte über lange Wartezeiten an der Kasse beschwert hatten, weil der Umgang mit den Gutscheinen Zeitverzögerungen gebracht hatte.

Weil die Stadt nicht im Sinne der Menschenwürde handelt, müssen andere schon mal anfangen. Zeitgleich zur politischen Kampagne wächst die Zahl der Paketpatenschaften. DresdnerInnen kaufen ein Teil des "Fresspaketes" von AsylbewerberInnen ab und essen es selber. Dafür erhalten die AsylbewerberInnen das Bargeld zur freien Verfügung. Wer eine Paketpatenschaft übernehmen will, schreibt eine E-mail an dresdner_garten@jpberlin.de und wird dann vermittelt. Oder sie/er geht zur "Packetumtauschstelle" immer sonntags ab 19:00 Uhr auf der Rudolfstr. 7 und versorgt sich dort mit Lebensmitteln zu Gunsten von mehr Normalität der hier lebenden Flüchtlinge.

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