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Dresden Nazifrei: Eine Rede, die wir nie halten werden
Ein Text von Silvio Lang

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich verfasse diese Rede, nachdem ich am Nachmittag des 08. Januar persönlich und stellvertretend für das Bündnis "Nazifrei! Dresden stellt sich quer" eingeladen wurde, an der von Ministerpräsident Stanislaw Tillich und der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz initiierten Veranstaltung am 10. Januar 2015 auf dem Dresdner Neumarkt teilzunehmen. Die Einladung war versehen mit dem Hinweis, dass die Redner_innenliste noch nicht abgeschlossen wäre und ergänzt werden könne. Ich will diese Gelegenheit wahrnehmen, für das Bündnis Dresden Nazifrei öffentlich Stellung zu nehmen.

Wir sind heute nicht vor Ort! Wir sind zu der Zeit, sollten diese Zeilen auf der Veranstaltung verlesen werden, in Bautzen und stellen uns Nazis in den Weg. Und dennoch ist es uns wichtig, Kritik zu üben, in der Hoffnung, Gehör damit zu finden und die Menschen dieser Stadt, die nicht bei Pegida mitlaufen, zum Nachdenken darüber zu bewegen, wie sie diesem Phänomen begegnen wollen - und wie vielleicht eher nicht. Denn darum soll es ja gehen heute vor der Frauenkirche: um den Dialog für ein besseres Miteinander. So zumindest der aktualisierte Titel.

Frau Orosz und Herr Tillich initiieren eine Veranstaltung bezüglich Pegida. Daran ist nichts auszusetzen, beugen sie sich damit doch einem öffentlichen Druck, der eine eigentlich seit Wochen fällige Positionierung verlangte, die endlich auch sichtbar auf der Strasse untermauert wird. Nur wie, muss dann gefragt werden, gehen sie es an: sie setzen einen Termin, der nicht an einem Montag liegt, obwohl Pegida immer montags auf die Strasse geht. Sie setzen einen Termin, eine Aktion und deren inhaltliche Ausrichtung, ohne im Vorfeld auch nur auf die Idee zu kommen, einmal mit den Gruppen in dieser Stadt zu sprechen, die seit Wochen jeden Montag gegen Pegida in der Winterkälte auf der Strasse sind. Dass man Dresden Nazifrei nicht kontaktiert ist bei einem Blick auf die letzten Jahre sicher weniger überraschend, aber nicht einmal die als "bürgerlicher" wahrgenommene Initiative Dresden für Alle wurde augenscheinlich im Vorfeld eingebunden. Erst als sich Protest gegen das ursprüngliche Motto regte, versuchte man eilig und kurzfristig, dieses Versäumnis zu heilen. Letztlich setzen sie einen Termin, während nur 60 Kilometer entfernt, Nazis und Rassist_innen zum wiederholten Mal durch eine sächsische Stadt laufen. Dies alles nicht zu kritisieren, wäre inkonsequent. Doch dies ist nicht der Grund, warum wir heute nicht hier sind!

Betrachtet man den Aufruf zu dieser Veranstaltung, lesen wir bereits im ersten Satz, dass "die Landeshauptstadt Dresden und der Freistaat Sachsen […] seit Jahrhunderten weltoffen" seien. Wir fragen: Kann man unreflektierter die eigene Geschichte verdrehen? Wissen die Dresdner OB und der sächsische Ministerpräsident nicht um die Rolle Sachsens und im besonderen Dresdens allein in den Jahren zwischen 1933 und 1945? Oder ist Hoyerswerda 1991 vergessen oder Mügeln? Ist gar das Kurzzeitgedächtnis beider so lückenhaft, dass selbst ihre eigene Amtszeit nicht richtig erinnert wird - oder wo hat bis 2010 Europas grösster Naziaufmarsch ungestört stattfinden können? Dresden und Sachsen haben - das ist bedauerlich und für eine Änderung sollte gekämpft werden - keine Tradition und Kultur der Weltoffenheit! Und dass Pegida nur hier funktioniert, ist letztlich ein Ausdruck davon. Wir müssen uns diese Kultur erst erarbeiten und für sie streiten. Und das beginnt mit einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, damit wir glaubwürdig Menschen gegenübertreten können, die zu uns kommen.

Bereits im folgenden zweiten Satz wird von einer "Erfolgsgeschichte des Kultur- und Wirtschaftslandes Sachsen" gesprochen, die auch durch die Hilfe der zugezogenen Menschen erreicht wurde. Und erneut stellen wir uns Fragen: Ist es für Frau Orosz und Herrn Tillich tatsächlich entscheidend für ein offenes Willkommen, dass ein hierher kommender Mensch einen wertvollen Beitrag zur Wirtschaftsleistung erbringt? Sollten wir nicht jeden und jede aufnehmen, die zu uns kommen und mit offenen Armen empfangen? Egal ob gut ausgebildeter Fachexperte oder vor Hunger, Not oder einfach nur keiner Chance auf Bildung geflohene, mittellose Menschen, die hier bessere Lebensbedingungen für sich erhoffen?

Im zweiten Absatz dann lesen wir, Frau Orosz und Herr Tillich würden sich für "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Zusammenhalt der Gesellschaft" einsetzen. Nun sind wir vollkommen überrascht: Frau Orosz verweigert seit Jahren auch nur einen Dialog, ein einfaches Treffen mit Initiativen wie unserer zur Frage des Umganges mit dem 13. Februar in dieser Stadt. Im letzten Jahr hat sie sogar die Stadtöffentlichkeit zu dieser Frage belogen, als sie angekündigt hat, rechtzeitig vor dem 13. Februar 2015 auf das Bündnis Dresden Nazifrei zu solch einem Termin zugehen zu wollen - bis heute ist dies nicht passiert. Und diese Frau setzt sich für den Zusammenhalt der Gesellschaft und Demokratie ein? Wenn sie nicht mal mit uns reden kann?

Und Herr Tillich? Er ist Chef einer Staatsregierung, die sich damit rühmt, im Vergleich der Bundesländer deutscher Abschiebemeister zu sein. Er ist Chef eines Innenministers, der eine SOKO Asylkriminalität einrichten will. Er führt eine Staatsregierung, die sich mit Händen und Füssen gegen die Minimalforderung humanitären Entgegenkommens sträubt, wie fast alle anderen Bundesländer einen Winterabschiebestopp zu verhängen. All dies könnte mit wenigen Anordnungen geändert werden, wenn dem Ministerpräsidenten wirklich am Zusammenhalt dieser Gesellschaft gelegen wäre.

Und wo waren eigentlich die protestierenden Stellungnahmen der Oberbürgermeisterin und des Ministerpräsidenten, als in Dresden Lothar König vor Gericht gezerrt wurde, als Tim aus Berlin zu 22 Monaten Haft verurteilt wurde, als millionenfach Handydaten abgeschöpft und illegal ausgewertet worden, als unsere Büros gestürmt wurden, als Menschen massenhaft nach dem Februar 2011 mit Verfahren überzogen worden? Wo ist der Protest, wenn mittlerweile jeden Montag des Dresdner Ordnungsamt und die Polizei Gegendemonstrant_innen zu Pegida schikaniert, Protest behindert, Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzt und Menschen verletzt werden, während von Pegida Pyroerzeugnisse in eine Menge friedlicher Menschen geworfen werden können? Wir haben sie nicht vernommen! Sieht so die Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit der regierenden CDU-Grössen aus?

Nein, diese Veranstaltung ist ein scheinheiliges Symbol. Wenn die Dresdner Oberbürgermeisterin glaubhaft etwas gegen Pegida tun will, erwarten wir sie an den kommenden Montagen auf der Strasse in erster Reihe! Wenn sie etwas für die Kultur in dieser Stadt tun will, sucht sie endlich das Gespräch mit den Menschen, die Rassismus hier tagtäglich erleiden und den Initiativen, die sich dagegen engagieren und überlegt, wie sie diese besser unterstützen kann.

Und wenn der Ministerpräsident wirklich gegen Rassismus aktiv werden will, setzt er sich nicht länger für noch mehr Repressionen für Flüchtende ein, sondern verbessert ihre Situation endlich: durch mehr Gelder für bessere Unterbringung, durch einen Winterabschiebestopp als ersten Schritt, durch den Einsatz für gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle in Sachsen lebenden Menschen - egal ob mit deutschem Pass oder ohne! Dann sehen wir ihn künftig, wenn wie in Bautzen die NPD aufmarschiert, in erster Reihe gegen braunen Ungeist auf die Strasse gehen und wir erwarten von ihm klare Positionen gegen die Kriminalisierung jeglichen antifaschistischen und antirassistischen Engagements. Dann gibt es bald ein echtes Unterstützungsprogramm des Freistaat Sachsen, dass Vereine und Initiativen aus dem Präventionsbereich gegen rechte Ideologie und Gewalt und aus dem antirassistischen Bereich langfristig eine solide Finanzierung gewährt.

Allein, dies wird nicht passieren. Weil es an diesem Tag nicht darum geht, wirklich etwas gegen Pegida, gegen Rassismus und für Flüchtende zu tun. Orosz, Tillich und der sächsischen CDU dient diese Veranstaltung dazu, ihr Gewissen zu beruhigen und sich dem Vorwurf des Nichts-Tuns zu ersparen. Dabei machen wir nicht mit! Und deshalb fordern wir auch alle anderen Menschen auf, diesem billigen Trick nicht auf den Leim zu gehen. Es mag ein schönes Gefühl sein, heute zusammen auf diesem Platz zu stehen - aber der Mensch links oder rechts neben Ihnen geht vielleicht am Montag wieder zu Pegida (der Chef der CDU-Landtagsfraktion Kupfer hat mittlerweile öffentlich bekannt gegeben, dass "ausdrücklich auch die 18.000 eingeladen, die montags zu PEGIDA gehen" willkommen sind) und Sie haben mit ihrem Besuch heute nicht einen Teilnehmer von Pegida abgehalten.

Deswegen abschliessend unser Appell: Begegnen Sie Rassismus nicht länger symbolisch, sondern real. Widersprechen Sie, wenn der Kollege in der Kantine beim Mittag über "die Asylanten" herzieht! Protestieren Sie, wenn auf der Familienfeier die Schwägerin die neuesten Äusserungen Sarrazins gutheisst! Äussern Sie sich, wenn die Regierenden in Ihrer Gemeinde, Ihrem Bundesland oder Ihrem Staat weiter Abschottungspolitik statt Willkommenskultur betreiben! Und gehen Sie auf die Strasse, wenn Rassist_innen wie bei Pegida versuchen, mit platten Parolen und einem absurden Weltbild eine fremdenfeindliche Stimmung zu erzeugen!

Wir werden das auch weiterhin tun! Und weil wir es tun, sind wir nicht hier!

Vielen Dank

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