/terminal
dresden
  alternativer veranstaltungskalender / blatt für unterbliebene nachrichten
kalender adressen texte links kontakt&infos

Ausser Dresden nichts gewesen
Die NPD spricht vom »Bombenholocaust« und der Focus liefert die Fakten.

Über das grauenhafteste Verbrechen der Geschichte berichtet uns Götz Bergander: »Leib für Leib lagen sie da, fertig zum Abtransport. Leichen jeden Alters und in jedem nur denkbaren Zustand. Nackt und bekleidet, verkrampft und gestreckt (…) verstümmelt (…) Kinder, die weniger Platz brauchten, zwischen die Erwachsenen gezwängt (…) Männer wie schlaffe, graue Säcke (…) verdreht, verschränkt, mit und ohne Schuhe. Gesichter mit offenen und geschlossenen Augen. Gelegentlich spiesste ein Arm in die Luft, oder ein Körper konnte (…) nicht so holzscheitartig eingepasst werden. Ein wahnwitziges Monument.«

Leiber, Abtransport, Leichen, nackt, verstümmelt, Kinder, Schuhe, Körper. Der von der grossen deutschen Boulevardillustrierten Focus ausfindig gemachte »Historiker« Bergander wählt seine Worte sehr genau und mit Bedacht. Doch die »Gütergleisrampe«, an welcher er seine Beobachtung gemacht haben will und unter der er die »aufgeschichteten Leichen entdeckte«, befindet sich seit dieser Woche nicht mehr in Auschwitz, sondern in Dresden, das jetzt auch eine »Rampe« hat. Zugegeben: An ihr wurde zwar nicht selektiert, dafür aber ist gleich die ganze »Stadt exekutiert worden«.

In Dresden nämlich ereignete sich im Februar 1945 ein beispielloses »höllisches Schauspiel«. Die Stadt war, das Geschwätz über Auschwitz, Treblinka und Majdanek hin oder her, ein »Raum der Apokalypse«, der »Schauplatz einer Tragödie«. Am Ende stand eine »massakrierte Stadt«, in der es nach dem vermeintlichen Jahrhundertverbrechen der Shoah abermals und erneut »zum Abtransport aufgestapelte Tote« wegzuschaffen galt, tote Deutsche. »Schilderungen über Dresden«, weiss eine »Überlebende« zu berichten, »sind so grauenhaft, dass man meint, eine Höllenvision zu sehen.« Oder anders gesagt: »Würde für diese Welt«, das zerstörte Dresden, »noch die Sonne scheinen?«

Durch die Verwendung eines Vokabulars, das bislang der Beschreibung der Shoah vorbehalten war, versucht der Focus, das Zentralorgan für die modernisierte Geschichtsschreibung, den Eindruck zu erwecken, der Holocaust sei an den Deutschen verübt worden.

Dabei hätte seinerzeit alles so schön sein können in Dresden, dem »Elb-Juwel« bzw. »einstigen Elb-Florenz«, wo damals, in den goldenen vierziger Jahren, das ein oder andere hübsche Bauwerk »das Gesicht der Elb-Schönheit geprägt hatte«. Oma und Opa waren zu jener Zeit in heiterer und gelöster Stimmung. Sie gehörten einer schwer angesagten Clique an, die es schick fand, braune Hemden (»SA«) zu tragen, sie sassen tagein, tagaus in ihrer gemütlichen Wohnküche und waren putzmunter. Wenn ihnen langweilig war, chillten sie ein wenig im Stechschritt über den heimischen Dancefloor, erzählten sich drollige Judenwitze oder hörten ein bisschen die Hitparade im Volksempfänger, so nannte man damals das Radio. »Bomben auf Engelland« und »Wenn das Judenblut vom Messer spritzt«, so hiessen die Top Hits jener Zeit.

Dann geschah urplötzlich aus bislang unerfindlichen Gründen etwas Schlimmes. Die Engländer verübten Herrn Bergander zufolge auf Dresden den »gewaltigsten (…) Brandbombenangriff«. Die britischen Piloten, die ihn ausführten, so erfahren wir, waren nicht etwa Angehörige einer Armee, die militärisch auf von den Deutschen begangene Kriegsverbrechen reagierte, wie viele ahnungslose Menschen bis heute naiv geglaubt haben, sondern flogen vielmehr »Angriffe« auf unschuldige Menschen, und zwar, einem der zahllosen unschuldigen »Zeitzeugen« zufolge, »wieder und wieder und immer wieder! (…) Und es hört nicht auf und hört nicht auf.« Und das nur deshalb, weil die Dresdener einen Ariernachweis ihr Eigen nannten und ihre Angehörigen als Hobby in der Freizeit ein paar Vernichtungslager im Nachbarland betrieben.

Jahrzehnte lang hat man der deutschen Bevölkerung eingetrichtert, die Nazis seien Spezialisten einer hoch präzisen Vernichtungstechnik gewesen, mit der Millionen unschuldiger Menschen eingeäschert wurden. Dabei waren in Wirklichkeit die Briten die blutrünstigen Menschenvernichter, besser formuliert: »Spezialisten einer hoch präzisen Bombardierungstechnik, mit der sie die Innenstädte eingeäschert« haben. Sie entfachten einen »Feuersturm«, der »plangemäss das Werk der Vernichtung übernahm«, um derart »die Zahl der Toten explodieren« zu lassen. Diese Technik, ein freilich »auch und gerade von dem britischen Premier«, dem britischen Führer, »für gut befundenes Vernichtungsverfahren, das perfekt funktionierte«, wurde von ihnen, analog zur Verfahrensweise der Deutschen in den Konzentrationslagern, »systematisch« bzw. »als Waffe eingesetzt«, während die Bewohner Dresdens »in den Kellern kauerten. Sie warteten (…) Auf den Tod.«

Das Ergebnis dieser beispiellosen »Bombardierungstechnik« waren, wie eine von Focus aufgetriebene »Zeitzeugin« berichtet - denn Opfer und Täter gibt es schon lange nicht mehr, sondern nur noch Zeitzeugen -, »tote oder vor Schmerzen sich windende und brüllende Menschen. Tausende suchten dem Inferno zu entkommen, brachen zusammen«, was dazu führte, dass hinterher »in den furchtbarsten Stellungen Männer, Frauen und vor allem Kinder oder einzelne Körperteile« herumlagen, genauso wie in den deutschen Vernichtungslagern, von denen im Focus jedoch nicht die Rede ist.

Die Einäscherung der Deutschen aus heiterem Himmel, mittels »Angriffen« der alliierten Luftwaffe, war für die perfiden Engländer ein »Routinevorgang«. Mit der albernen Frage, warum sie ausgerechnet die deutschen Nazis bombardieren sollten, »hielten sich die Männer an Bord der (…) Bomber«, die britischen Herrenmenschen, »nicht auf«. Für sie war das Ganze ein Spaziergang, ein Freizeitvergnügen, sie funkten sich allerlei spassige Parolen zu: »Die Bombenabwürfe liegen gut.« Sie wollten nicht das Industrie- und Verkehrszentrum Dresden, sondern »die Altstadt treffen, den historischen, den friedlichen Teil Dresdens«. Besser gesagt: Sie »sollten ja gerade die Zivilbevölkerung treffen«. Ob die Stadt zur Zeit der Nazidiktatur auch einen unfriedlichen bzw. nationalsozialistischen Teil gehabt haben mag, ist dem Fakten-Magazin nicht zu entnehmen.

Um die arglosen Deutschen, die also demnach den Hauptteil des Tages mit Blumenpflücken, Däumchendrehen und Sackhüpfen beschäftigt waren, auszurotten, war dem niederträchtigen Albion jedes Mittel recht. Also warf er Bomben und Luftminen, nur damit diese »die Lungen von mehreren Hundert Menschen zerfetzten«. Er, der Brite, machte »die Stadt zum Grab. Niemals (…) sollte über diesem Ort die Sonne wieder scheinen.« Nicht nur wurde der völlig ohne jeden ersichtlichen Grund erfolgende »Angriff« zu gegebener Zeit sogar »erweitert«, sondern die »Todeszone wurde noch einmal angegriffen und gleichzeitig vergrössert«.

Der Focus druckt dazu nicht nur das Foto eines schmallippigen Griesgrams mit unnachgiebigem Blick, dem der Sadismus förmlich aus den Augen herausschaut (Sir Arthur T. Harris, »Chef des Bomber Command«), sondern auch die Fotografie eines Haufens frech und ungerührt in die Kamera grinsender, keine Anzeichen von Reue zeigender britischer Bomberpiloten (»Besatzung (…) war beim Angriff auf Dresden dabei«).

Die Deutschen in den Luftschutzkellern wurden, betrachtet man es genau, im Grunde von den Engländern vergast, denn ihnen wurde »die extreme Hitze und die mit Kohlenoxid vergiftete Luft zum Verhängnis«. Der Massenmord an den Dresdenern ist also, genau wie der Massenmord an den europäischen Juden, der erstaunlicherweise in der Info-Illustrierten Focus mit keinem Wort erwähnt wird, eine unfassliche Tat, die sich gänzlich »dem Verstehen entzieht«. Schliesslich waren die Deutschen bis dahin einfach nur gut drauf. Holocaust hin, Holocaust her, eine deutsche »Zeitzeugin« wollte zu jener Zeit dennoch »den heiteren Glanz dieser anmutigen, beschwingten Stadt bewahren, in der ich so schöne Tage verlebte«. So schöne Tage, während einige Kilometer weiter die Krematorien in Betrieb waren.

Warum haben die Briten also, »einer absurden militärischen Logik gehorchend«, auf den charmanten Vernichtungskrieg Nazideutschlands so harsch und unfein reagiert? Nur wegen Coventry und ein paar Millionen ermordeter Menschen? »Was war geschehen?« Genau. Was war eigentlich geschehen zwischen 1933 und 1945? Der Focus scheint sich nicht so recht erinnern zu können. Egal. Weiter: »Wie gross war das Ausmass an Vernichtung, Tod und Leid« in Dresden? »Und warum? Warum?« Warum nur hat der Engländer gleich so schlechte Laune bekommen?

Etwa nur deshalb, weil die Deutschen jener Zeit fanatische faschistische Barbaren waren, Europa in Schutt und Asche gelegt und Millionen Menschen ermordet haben? Nur deshalb?

Alle Zitate entstammen dem Focus, 5/2005


Thomas Blum / Jungle World

index kalender adressen texte links kontakt&infos

contact: terminal@free.depgp-keykey fingerprint: C9A4 F811 C250 3148 9FAB 6A1B 9743 6772 90D1 C385