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Dresden geht in sich

Der Geschäftsführer der Stadtratsfraktion der CDU, Jürgen Eckoldt, hat eine Vorahnung: »Am 13. Februar ist in Dresden den ganzen Tag was los!« Er dürfte Recht behalten. Schon seit Wochen reiht sich in Dresden eine Gedenkveranstaltung an die andere, bricht eine Welle der »Erinnerungskultur« über die Stadt herein.

Am kommenden Wochenende steht einiges auf dem Programm. Es wird ein Treffen von »Zeitzeugen« geben, Requiem-Messen werden gefeiert, der Pfarrer Oliver Schuegraf aus Coventry wird einen Vortrag halten und das 13. Dresdner Friedenssymposium wird tagen. Dort soll es um die »Planungen und rüstungstechnischen Vorbereitungen für neuartige Kriege« gehen, »die in ihren Ausmassen und Folgen weitaus gefährlicher sein werden als die bisher geführten«.

Eine Ausstellung in der Technischen Sammlung Dresden unter dem Titel »Trümmerstädte 1945« zeigt Fotografien von Adolf Hitlers Kameramann Walter Frentz. Die Jüdische Gemeinde Dresden, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hingegen halten ein Kolloqium ab unter dem Motto: »Tag der Erinnerung, Tag der Begegnung, Tag der Bildung?«

Am 13. Februar geht es für Frühaufsteher um neun Uhr los mit dem »8. Dresdner Friedenslauf zu Gedenkstätten der Zerstörung«, mit dem an die Bücherverbrennung im Jahr 1933, an die Reichspogromnacht und an die Bombardierung der Stadt erinnert werden soll. Für die Zeit von 15 bis 22 Uhr ruft die Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden zum »stillen Gedenken an der Frauenkirche« auf. Ausserdem werden mehrere Hundert Neonazis zu einem Aufmarsch erwartet. (Siehe Seite 11)

Dresden scheint überall zu sein und mit allem etwas zu tun zu haben. Bereits seit dem 4. Februar ist die Ausstellung »Sachsen im Bombenkrieg« zu sehen. Sie will »am Beispiel der Städte Chemnitz, Dresden, Leipzig, Plauen und Zwickau über die Ausdehnung des Bombenkriegs auf Sachsen« informieren. Der Ort der Ausstellung ist gut gewählt: das Militärhistorische Museum der Bundeswehr.

Einerseits zeigt man Fotografien von Hitlers Kameramann, andererseits wird aus dem Tagebuch Anne Franks vorgelesen. Auch ein Plakat, das die Stadt Dresden in diesen Tagen verbreitet, vermengt waghalsig historische Ereignisse. »13. Februar« steht darauf geschrieben, daneben sind zwölf Städte aufgezählt: Bagdad, Coventry, Dresden (weiss hervorgehoben), Grosny, Guernica, Hamburg, Hiroshima, Leningrad, Monrovia, New York, Sarajevo, Warschau. Das Plakat soll »den Blick öffnen auf andere Zeiten, auch auf die Gegenwart, auf andere Kontinente und auf unterschiedliche Schicksale und Ursachen für die Zerstörung der Städte«, teilt die Stadt mit. »Überall kamen Menschen zu Tode«: Diese Aussage erinnert an die Gestaltung der Gedenkstätte Neue Wache in Berlin Unter den Linden, wo aller Toten des Zweiten Weltkriegs gedacht wird, der Täter und der Opfer gleichermassen. Der Krieg wird zu einem Ereignis ohne Ursache und Geschichte.

Nora Goldenbogen von der Jüdischen Gemeinde Dresden fürchtet zwar, dass die geschichtlichen Fakten bei den Gedenkfeiern beliebig vermischt werden könnten. Aber die Sensibilität der Öffentlichkeit sei »ein ganzes Stück gewachsen«. Der Eklat im sächsischen Landtag, wo Holger Apfel, der Fraktionsvorsitzende der NPD, vom »Bombenholocaust« sprach, sei ein »Auslöser« gewesen. »Man konnte nicht mehr darüber hinweggucken. Aber ›Bombenholocaust‹ stand vor zwei Jahren auch schon auf den Nazi-Plakaten, wer es sehen wollte, konnte es sehen«, sagt sie.

Die Vertreter der Organisationen, die zum Gedenken aufrufen, wollen seit Apfels Auftritt keinen Zweifel mehr daran aufkommen lassen, dass sie die Bombardierung der Stadt als Folge des von Deutschland begonnenen Krieges betrachten. Der Sprecher der Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche, Andreas Schöne, sagt der Jungle World: »Die deutsche Opferrolle zu betonen, kommt für uns nicht in Frage. Wir sehen die Schuld am Zweiten Weltkrieg auf der einen und das Leid auf der anderen Seite. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass der Krieg von Deutschland ausging.«

Rico Schubert, der Pressesprecher des Landesverbandes der PDS, hebt hervor, dass Dresden nicht nur ein »Barockdenkmal« gewesen sei. »Dresden war auch ein Verkehrsknotenpunkt für die Ostfront, es gab hier Rüstungsindustrie, das wird gerne vergessen. Aber es ist schwierig zu sagen: Das war nicht nur böser Wille, die Stadt zu bombardieren, sondern es war eben auch eine Notwendigkeit.« Mit dieser Ansicht steht er nicht nur im Widerspruch zur Dresdner PDS, die erklärte: »Als demokratische Sozialisten stehen wir zum Gedenken an jene unheilvollen Tage, niemand muss die Sinnlosigkeit einer Zerstörung einer Stadt rechtfertigen.« Auch die Wähler der PDS sehen es offenbar anders. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap halten 31 Prozent der PDS-Wähler den Begriff »Bombenholocaust« nicht für anstössig.

Die SPD schliesst sich dem Aufruf des DGB unter dem Motto »GehDenken« an. Leo Stefan Schmitt, der Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen, sagt: »Die Dresdner sehen, dass ihre Stadt zerstört wurde und dass dies ein Teil der Kriegsführung gegen die Nationalsozialisten war. Sie sehen auch, dass Menschen vergast und verbrannt wurden, dass die Nationalsozialisten sich gegen das eigene Volk gerichtet hatten. Die Dresdner unterscheiden da sehr genau.« Auch der DGB betont, dass der Krieg seinen Ursprung in Deutschland hatte und dass Rechtsextremisten »den Jahrestag der Zerstörung der Stadt nutzen, um ihre menschenverachtende Ideologie auszubreiten«.

Die NPD versuche, das Gedenken zu »instrumentalisieren«, heisst es allenthalben. Jens Hommel vom »Bildungswerk Weiterdenken« der Heinrich-Böll-Stiftung etwa sagt: »Das Dilemma in Dresden ist, dass ein paar Wenige, aber sehr Lautstarke das Gedenken für sich zu gewinnen versuchen.« Dass auch die Art des Gedenkens in Dresden die Neonazis in den vergangenen Jahren angezogen haben könnte, wird nicht erwogen.

Für den CDU-Stadtrat Eckoldt ist der Aufmarsch der Neonazis eine »unschöne Geschichte«, aber er gibt sich gelassen: »Wenn einer eine schlechte Absicht hat, können Sie nichts machen. Die Dresdner Bevölkerung hat das stille Gedenken über 60 Jahre entwickelt.«

Hier die gute Dresdner Bevölkerung, dort die bösen Rechtsextremisten, die sich der Gefühle der Menschen bedienen: So würde man es in Dresden in diesen Tagen gerne sehen. Doch auch in Dresden hat die NPD bei der Landtagswahl im vorigen Jahr viele Wählerstimmen erhalten, knapp fünf Prozent, und im Umland liegen die Hochburgen der Partei, in denen sie 20 Prozent und mehr gewann.

Nach dem 13. Februar wird die Zeit des Gedenkens in Dresden längst nicht vorbei sein. Bis in den Oktober hinein sind Gedenkveranstaltungen geplant. Ein Höhepunkt in der Pflege der »Erinnerungslandschaften« dürfte der 22. März werden. An diesem Tag lädt die Heinrich-Böll-Stiftung zu einer Podiumsdiskussion ein zum Thema: »Das Recht, ein Opfer zu sein«.


Stefan Wirner / Jungle World

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