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Europa und die Lage im Iran.
Redebeitrag auf der Demo am 4. Juli 09 in Dresden

Es sieht nicht gut aus für die iranischen Demonstrantinnen und Demonstranten. Die Aussicht, dass ein Sturz des iranischen Klerikal-Regimes gelingen könnte, ist inzwischen unwahrscheinlich. Nachdem der islamische Wächterrat am Montag das Wahlergebnis und damit Ahmedinedjad bestätigt hat, ist das Regime diese Woche massiv gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vorgegangen. Durch die paramilitärischen Basidsch-Einheiten wurden nach Schätzungen bis zu 150 Menschen ermordet. In Krankenhäuser eingelieferte verletzte Demonstrant_innen werden entführt. Schlägertrupps dringen nachts in Privathäuser und Studentenwohnheime ein, verschleppen Menschen und zerstören das Eigentum der Bewohner_innen. Die Zellen in Teherans Gefängnissen sind inzwischen fünffach überbelegt. Blogger_innen und Journalist_innen werden verhaftet, während das Regime auf eine zynisch lächerliche Lügenpropaganda setzt und für den Aufruhr der vergangenen Wochen ausländische Kräfte verantwortlich macht.

Zwar schallen noch immer die gegen das Regime gerichteten Allahu Akbar-Rufe nachts von den Dächern Teherans. Am Freitag waren grosse Teile des Teheraner Bazars in den Streik getreten. Die Ladenbesitzerinnen und -besitzer haben ihre Läden nur vormittags oder gar nicht geöffnet. Vergangenen Donnerstag hatten sich mehrere tausend Menschen auf dem Behesht-e Zahra-Friedhof versammelt, um der während der Proteste ermordeten Menschen zu gedenken.

Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Protesten inzwischen keinerlei Perspektive für den Sturz des Regimes mehr bleibt. Der ausserhalb Irans zur Ikone verklärte Gegenkandidat Mir Hossein Moussavi hat sich in seinem letzten, am 1. Juli veröffentlichten Statement auf die moralische Skandalisierung der mangelnden Legitimation Ahjmedinedschads zurückgezogen und gefordert, den von ihm als "Familiendisput" bezeichneten iranischen Konflikt innerhalb der institutionellen Struktur der Islamischen Republik auszutragen. Presse- und Versammlungsfreiheit sieht er als notwendig an, um die Islamische Revolution zu stärken und Fehler innerhalb des Systems zu korrigieren. Der Charakterisierung als Reformislamist macht dieser Pfaffe alle Ehre.

Die schwache Hoffnung, dass die Konflikte zwischen verschiedenen Machtfraktionen innerhalb des korrupten iranischen Staats- und Wirtschaftsapparats sich ausweiten könnten zu einer Unterstützung des Protestes hat sich als gegenstandslos herausgestellt. Im Zweifelsfall steht die privilegierte Schicht zusammen, um nicht über interne Streitigkeiten die allgemeine Voraussetzungen ihrer Machtstellung zu verlieren. Namentlich geht es um die Abzweigung von Milliarden Dollars aus den Öleinnahmen in private Taschen. Dass gar die bewaffneten islamistischen Revolutionären Garden, die einen guten Teil der iranischen Wirtschaft unter ihrer Kontrolle haben, sich mit den Protestierenden solidarisieren sollten, kann inzwischen ausgeschlossen werden.

Die einzige Perspektive, die noch verbleibt, ist eine indirekte, patriarchal-autoritäre Annahme einiger Reformschritte durch den Obersten Rechtsgelehrten Khamenei, der dadurch die angeschlagene Legitimation des Regimes wieder herzustellen versuchen könnte. Das würde dem momentanen Kurs der brutalen Unterdrückung nicht widersprechen, sondern ihn vielmehr ergänzen.

Derweil ist der Rollback in vollem Gange. Der studentische Flügel der im Auftrag der Regierung auf Demonstranten schiessenden Bassidsch-Milizen forderte am Mittwoch die Anklage Moussavis wegen "Bedrohung der nationalen Sicherheit" und "Propaganda gegen die Islamische Republik". Aussenpolitisch versucht das iranische Regime den Schein der Normalität wieder aufzurichten, und zwar in einer schreiend zynischen Rücksichtslosigkeit. Ungeachtet der täglichen Unruhen und scheinbar ohne Zusammenhang mit der Unterdrückung der Protestierenden, werden wieder fast täglich "ganz normale" Todesurteile vollstreckt. Am Mittwoch wurden in Teheran fünf Menschen - angeblich wegen Mordes - gehängt, am Donnerstag sechs weitere in der zentraliranischen Stadt Qom wegen Drogenschmuggels. Allein für den heutigen Samstag ist offiziell die Hinrichtung von 29 Menschen angesetzt.

Zugleich liess der iranische Stabschef am 1. Juli verlauten, dass man jede Einmischung der Europäischen Union in das mit Hochdruck fortgesetzte iranische Atomprogramm strikt ablehne. Als Begründung nannte er die angebliche Unterstützung der Proteste durch die europäischen Staaten.

Diese - in der bekannten Sprache eines beleidigten Faschismus gehaltene - aussenpolitische Demonstration von Stärke durch das iranische Regime ist allerdings nur scheinbar gegen Europa und die USA gerichtet. Zwar versucht die staatliche iranische Propaganda gezielt, Angst vor einer ausländischen Intervention zu schüren und die Proteste als von Grossbritannien, Israel und den USA eingefädelt darzustellen. In Wirklichkeit ist diese Demonstration von Stärke keine Drohung, sondern ein schnödes Angebot an die europäischen Länder wie die amerikanische Regierung, die an einem Vorgehen gegen den Iran überhaupt nicht interessiert sind.

  • Der Iran hat alle Verhandlungsangebote zu seinem Atomprogramm missachtet und offen geäussert, nicht mehr zu Verhandlungen bereit zu sein. Die europäische Antwort? Es soll ja nichts unternommen werden, was den Iran verstimmen könnte, schliesslich wolle man ja verhandeln.
  • Der Iran hat sich zur blutigen Unterdrückung der Opposition entschlossen. Täglich werden in den Strassen Teherans und anderer Städte Menschen erschossen und verprügelt. Die europäische Antwort? Jede ausländische Einmischung würde das Regime nur herausfordern, schärfer gegen die Regimegegner_innen vorzugehen.

Ausgerechnet jetzt soll es darum gehen, über die kleinen Grobheiten des iranischen Regimes hinwegzusehen und den Iran mit versöhnlichen Angeboten an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Worüber man eigentlich verhandeln will, nämlich über das iranische Atomprogramm und die blutige Niederschlagung des Protests, hat man vergessen. Zwingend folgen müsste der Abbruch aller Verhandlungen bei einem Nichteinlenken des Iran - doch gerade das versucht man zu umgehen und führt damit die Verhandlungsstrategie ad absurdum.

Durch diese Vorsicht wird die iranische Lüge, dass die westlichen Staaten an den Unruhen Schuld seien, akzeptiert. Anstatt der iranischen Terrordiktatur eine klare Schranke zu setzen, wird jede Antwort weiter herausgezögert.

Die iranische Missachtung aller Verhandlungsangebote liefert die schlechte Begründung dafür, bloss nichts zu unternehmen, was dieses Regime verstimmen könnte und es schlussendlich einfach weiter machen zu lassen.

Ein herausragender Grund für den Unwillen, scharfe wirtschaftliche Sanktionen einzuleiten - gerade seitens der EU - sind knallharte kapitalistische Interessen. Insbesondere die deutsche Regierung und deutsche Firmen haben keinerlei Bedenken, wenn es ums Geschäftemachen mit dem mörderischen Regime geht.

Dazu ein paar Fakten:

  • Deutschland ist der grösste Handelspartner des Irans. 2008 betrug das Handelsvolumen mit dem Iran vier Milliarden Euro. Das war eine Steigerung von 10 % gegenüber 2007.
  • 5000 deutsche Firmen haben Geschäftsbeziehungen mit dem Iran. Z. B. betrug das Handelsvolumen des Siemens-Konzerns mit dem Iran im vergangenen Jahr 450 Millionen Euro. Der Siemens-Konzern beschäftigt 290 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Islamischen Republik.
  • Ebenso aktiv ist der Chemie-Konzern Linde, der im Iran eine Erdgasverflüssigungsanlage aufbaut, und dabei auch noch mit 16,5 Millionen Euro durch die deutsche Regierung gefördert wird.
  • 2008 wurden 2800 Verträge deutscher Firmen mit dem Iran durch die Regierung zugelassen. Darunter betrafen 39 sogenannte "dual use"-Güter, die sowohl für den zivilen wie den militärischen Bereich einsetzbar sind.
  • Nach Schätzungen sind zwei Drittel der iranischen Wirtschaft von deutschen Ingenieursprodukten abhängig.
  • Die deutsche Regierung liefert Bürgschaften für die Versicherung von Handelsbeziehungen deutscher Unternehmen mit dem Iran.
  • Die deutsche Kontrolle der Exporte ist höchst durchlässig. Zufällig wurde unlängst ein Teil einer deutschen Lieferung von mehreren hundert Elektroschockern, die bekanntlich zur Folterung von Gefangenen eingesetzt werden, in den Iran entdeckt und eingezogen.

Anstatt auf Sanktionen setzte Bundeskanzlerin Merkel bisher auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der deutschen Firmen, die ihren Handel mit dem Iran einschränken sollten, während die deutsche Regierung in ihrer eigenen gesetzlichen Praxis nichts dergleichen unternimmt.

Wie jene freiwillige Beschränkung aussieht, führten die Firmen Siemens und Nokia vor, die dem Iran letztes Jahr ein System zur umfassenden Überwachung von Handy-, Telefon- und Internetverbindungen lieferten. Durch diese Technik kann der Zugriff auf bestimmte kritische Webseiten geblockt werden. Zugleich wird die Nachverfolgung des Internetzugriffs ebenso möglich wie die Ortung und Verfolgung von Handygesprächen. In den vergangenen Wochen kam diese Technik zum Einsatz, um Systemkritiker_innen ausfindig zu machen und zu verhaften - die jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund deutscher Technik in iranischen Gefängnissen einem ungewissen Dasein entgegen treten.

Das bei heuchlerischen deutschen Gutmenschen beliebte Argument, dass ohne deutsche Lieferung die iranischen Firmen auf russische oder chinesische Technologie umsteigen würden, ist dabei unzutreffend, da diese nach Einschätzungen von Sicherheitsexperten weniger fortgeschritten und darüber hinaus zu unzuverlässig sind, um das deutsche Know-How zu ersetzen.

Die notwendigen Mittel für eine angemessene Reaktion auf die aggressive Politik des iranischen Regimes nach aussen und nach innen stehen Deutschland und der EU zur Verfügung. Harte Sanktionen gegen die iranische Terrordiktatur und alle mit ihr paktierenden Konzerne sind mehr als überfällig und wären äusserst effektiv, denn das iranische Regime ist auf ausländische Kooperation angewiesen. So muss es z. B. ungeachtet seines Ölreichtums 40 % seines Benzins zum Weltmarktpreis importieren, da es im Iran nicht ausreichend Raffinerien zur Benzinherstellung gibt. Internationale Sanktionen würden die Geschäfte von Grosshändlern wie Britisch Petrol, Reliance, Total, Trafigura oder Vitol mit dem Iran unterbrechen. Letzte Woche war das iranische Regime gezwungen, auf dem Höhepunkt der Protestwelle anzukündigen, dass die Subvention von Benzin in nächster Zukunft wegfallen würde.

Die Inflation lag derweil im letzten Jahr bei 25 %. Zur politischen Regimekrise kommt die wirtschaftliche Krise. Diese liesse sich ausnutzen, um die mörderische Politik der Mullah-Diktatur einzuschränken. Die notwendigen Gesetzesmassnahmen stünden auch US-Präsident Obama schon lange zur Verfügung; sie würden Banken und Konzerne, die mit dem Iran Handel betreiben, vom amerikanischen Markt verbannen. Die Hinauszögerung von wirtschaftlichen Sanktionen ist ein gefährliches Zeichen der Schwäche gegenüber einem mörderischen Regime. Die Kompromissbereitschaft gegenüber der islamischen Diktatur fällt den hunderttausenden Demonstrantinnen und Demonstranten, die für dessen Sturz auf die Strassen gegangen waren, in den Rücken.

Wir fordern daher ein Ende der Appeasement-Politik mit dem Iran. Wir fordern die deutsche Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel auf, sofortige Schritte gegen das iranische Regime und die mit ihm handelnden deutschen Firmen zu unternehmen. Wir fordern die deutschen Konzerne wie Siemens, Linde und RWE auf, sich nicht weiter an der Unterstützung des Regimes zu beteiligen.

Wir fordern die amerikanische Regierung auf, harte wirtschaftliche Massnahmen gegen den Iran einzuleiten. Anders kann die iranische Protestbewegung nicht unterstützt werden, und anders kann die iranische Atombombe nicht verhindert werden.

Über wirtschaftlichen und politischen Druck hinaus müssen ebenso gezielte Militärschläge gegen die iranischen Atomanlagen als Mittel gegen die iranische Bombe ins Auge gefasst werden. Jede Tabuisierung von Gewalt angesichts eines Atomprogramms, welches die Vernichtung Israels anstrebt, ist eine zynische Weigerung, das Wesen des iranischen Regimes zur Kenntnis zu nehmen.

Über diese aussenpolitischen Schritte hinaus fordern wir ein Bleiberecht für alle iranischen Flüchtlinge in Deutschland. Dies wäre der mindeste Schritt zur Unterstützung der iranischen Bevölkerung in ihrem Kampf gegen die theokratische Unterdrückung und ein Zeichen, dass man nicht länger gewillt ist, diesem Regime freie Hand in der Unterdrückung der Opposition zu lassen.


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