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Zwei Tage "Ordnungshaft" für Totalverweigerer wegen "Ungebühr"

Zittau/Dresden, den 05.06.2009. Es klingt wie eine Erzählung aus weit vergangener Zeit: Weil der Zittauer Antimilitarist in der strafgerichtlichen Verhandlung Ende 2007 wegen seiner Totalverweigerung am Amtsgericht Zittau bei der Urteilsverkündung nicht aufgestanden war, muss er nun wegen sog. "Ungebühr" für zwei Tage ins Gefängnis. Seine Haft hat er am Montag, den 08.06.09 in der JVA Görlitz anzutreten.

Der Totale Kriegsdienstverweigerer und Pazifist Andreas Reuter lehnt die Wehrpflicht aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Auch die Ableistung von Zivildienst kam für ihn von vornherein nicht in Frage, weil dieser über das 'Konzept der Gesamtverteidigung' in militärische Strukturen fest eingebunden ist. Als Teil der zivil-militärischen Zusammenarbeit erfüllt der Zivildienst eine der Grundbedingungen für das Funktionieren der militärischen Option - sich daran zu beteiligen, ist für einen Kriegsgegner aus Überzeugung unmöglich. Reuter verweigerte daher den Befehl, sich bei seiner Zivildienststelle einzufinden. Infolgedessen wurde er dafür wegen sog. 'Dienstflucht' (§ 53 ZDG) angeklagt und musste sich vor dem AG Zittau verantworten. Hier wurde er zunächst zu zwei Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. In zweiter Instanz änderte das LG Görlitz im September 2008 den Strafausspruch schliesslich ab auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen.

Doch das Strafverfahren am AG Zittau wies eine Vielzahl pikanter Details auf, von einem "fairen Verfahren" konnte nicht die Rede sein.

So war die Tätigkeit des zuständigen Richters am Amtsgericht Ronsdorf bereits im Vorfeld der Verhandlung davon geprägt, die prozessualen Rechte des Beschuldigten bewusst massiv zu beschneiden, u.a. durch Verweigerung von Akteneinsicht und willkürliche Beschränkung der Verteidigung, die mehrere Ablehnungen des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit zur Folge hatten.

Zur völligen Eskalation kam es schliesslich im Rahmen der Hauptverhandlung am 12. und 14. Dezember 2007. Zum Einen dokumentierte der Richter seine offensichtliche Befangenheit dadurch, dass er ohne jeden Anlass sechs bewaffnete und teilweise mit schusssicherer Weste ausgerüstete Beamte der Bereitschaftspolizei in der ersten Reihe des Sitzungssaales postierte - was angesichts eines Verfahrens, in dem sich der Angeklagte für seine Totalverweigerung ausdrücklich auf seine gewaltfreie Grundeinstellung beruft, nur noch als blanke Provokation aufgefasst werden konnte und eine weitere (erfolglose) Befangenheitsablehnung zur Folge hatte.

Zum Anderen wurde die offenbar als störend empfundene Verteidigung durch den Richter in einer Art "Überraschungscoup" förmlich kaltgestellt: Zu Beginn des Fortsetzungstermins am 14.12.07 verkündete Ronsdorf plötzlich einen Beschluss, mit dem den Verteidigern die Zulassung, die ebenfalls erst über die Beschwerde beim LG Görlitz erstritten worden war, wieder entzogen und die Verteidiger sofort ins Publikum verwiesen (die Zulassung wurde später durch das Landgericht auf Beschwerde hin erneut erteilt). Anträge des Angeklagten, ihm die Gelegenheit zur Neuorganisation seiner Verteidigung zu geben, wurden rundweg abgewiesen, die Hauptverhandlung ohne auch nur eine Minute der Unterbrechung gegen den auf diese Situation völlig unvorbereiteten und derart überrumpelten Angeklagten fortgeführt.

Bereits wenige Minuten später war Reuter verurteilt.

Bevor es jedoch dazu kommen konnte, hatte der Angeklagte, nachdem auf diese Weise seine Verteidigung sprichwörtlich "beseitigt" worden war, anschliessend über die gesamte Dauer der "Verhandlung" geschwiegen, auch seine vorbereitete Prozesserklärung trug er nicht vor. Es gab kein Plädoyer der Verteidigung, kein "letztes Wort". Nur einen Staatsanwalt und einen Richter, die einem schweigenden Angeklagten, der seiner Verteidigung beraubt worden war, in einer gespenstischen Veranstaltung vor empörten Zuschauern den Prozess machten.

Bei der Verkündung des Urteils forderte der Richter den Angeklagten auf, sich von seinem Platz zu erheben. Als Reuter dies verweigerte, verhängte der Richter gegen ihn ein "Ordnungsmittel" wegen "Ungebühr", 100,00 EUR Ordnungsgeld, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft. Die hiergegen erhobene Beschwerde verwarf das OLG Dresden unter Berufung auf Rechtsprechung aus den 1970ern als unbegründet. Das Geld will Reuter trotzdem nicht zahlen - deshalb muss er nun für zwei Tage ins Gefängnis.

"Wenns der Wahrheitsfindung dient" - dieser Satz, mit dem Fritz Teufel 1967 der Aufforderung eines Gerichts, sich zu erheben, nachgekommen war, hat viele zum Nachdenken angeregt: über völlig sinnfreie "Formen im

Gerichtssaal" und erzwungene Höflichkeit, den "Muff unter den Talaren" und über die Frage, was von einem Angeklagten vernünftigerweise erwartet werden darf. Seitdem wird immer wieder scharfe Kritik geäussert an der Praxis, die "Achtung vor der Würde des Gerichts" - mit der schärfsten unserer Gesellschaft zur Verfügung stehenden Waffe: dem Entzug der Freiheit - erzwingen zu wollen. Heute sind Gerichte, die tatsächlich so weit gehen, klar in der Minderheit.

Auch in der juristischen Literatur wird seit langem fast einhellig abgelehnt, dass Nichtaufstehen bei der Urteilsverkündung eine sanktionierbare "Ungebühr" darstellen soll. Von einer "Rückbesinnung auf den

weniger toleranten Verhandlungsstil (...) wie er bis in die Mitte der 60er Jahre unangefochten gepflegt wurde" (Rainer Hamm) ist da die Rede, davon dass die Würde des Gerichts nicht darin bestehe, "dass der Richter sich selbst feierlich nimmt, Ehrenbezeigungen verlangt und sie, wenn sie ihm nicht freiwillig erwiesen werden, mit Strafen zu erzwingen versucht. Das erweckt sehr leicht den Eindruck, als nehme er seine Person zu wichtig und im Vergleich dazu die Sache nicht wichtig genug. Die Sache ist in erster Linie die des Angeklagten.

Er, nicht der Richter, ist die Hauptperson" im modernen Strafprozess (Werner Sarstedt, Richter am BGH). Auch der bekannte Jurist Rudolf Wassermann forderte bereits 1969 die Abschaffung des Aufsteh-Zwanges: "Ein Gericht, dass nicht auf Unterwürfigkeit, sondern auf menschliche Atmosphäre abstellt, erwartet keine Ehrenbezeigungen. Auch bei der Urteilsverkündung kann der Angeklagte sitzenbleiben. Der Angeklagte ist nicht mehr der Untertan, über dem das Gericht das Schwert schwingt".

Das AG Zittau und mit ihm das OLG Dresden ist indes nicht nachdenklich geworden. Ohne einen Funken der Reflektion der sich seit Jahrzehnten wandelnden Vorstellungen über den Verhandlungsstil vor deutschen Gerichten wird hier eine Machtdemonstration zelebriert, die ihresgleichen sucht. Im Rechtsstaat aber sind die Freiheit und die Würde des Menschen Güter von höchstem Verfassungsrang. "Auch bei der Urteilsverkündung sollte dem Opfer erlaubt sein, den Keulenschlag im Sitzen entgegenzunehmen", schlussfolgerte Rudolf Wassermann 1969 in einem Artikel in der "Zeit". Der Wert der Freiheit, die bereits genommen werden kann, weil ein Angeklagter sich weigert, bei Empfang seines Urteils sich zu erheben, ist nicht allzu hoch anzusetzen.

Weitere Informationen zu diesem Verfahren:

http://tkdv-zittau.blogspot.com


i.A. Jörg Eichler

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