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Raum für ein soziales Zentrum
Eine Art Zwischenbilanz
Am 1. Dezember 2004 wurden am Lutherplatz ein über vier Monate bewohntes und genutztes Haus und Hinterhaus von einem Grossaufgebot der Polizei geräumt. Während die Einsatzkräfte allerlei Möbel, Klamotten und Kleinteile aus dem Haus trugen und in zwei überdimensionierte Container verfrachteten, flatterte in einem der Fenster noch ein Transparent mit der Aufschrift SOZIALES ZENTRUM. Im Juli 2004 war es, als eine Gruppe junger, engagierter Dresdner den Versuch startete, ein bis dahin ungenutzt verfallendes Haus wieder nutzbar zu machen und nach aussen zu öffnen. Ihre Vision war es, einen Raum zu schaffen, in dem jeder, ohne Zugehörigkeit zu einer politischen oder sozialen Gruppe und unabhängig seiner finanziellen Mittel die Möglichkeit hat, selbstbestimmt Ideen und Projekte zu entwickeln und diese kreativ in die Tat umzusetzen. Ein Ort der freien Kommunikation und des Informationsaustausches, offen für alle, die ein solidarisches Leben miteinander teilen wollen und frei von jedem Konsumzwang. Kurzum ein Refugium der Selbstbestimmung und ein Experimentierfeld für Selbstorganisation. Oder ganz einfach: ein Freiraum! Freiraum. Etwas, was man im heutigen Stadtbild mehr und mehr vergeblich sucht. Gemeint sind damit nicht Frei- und Grünflächen, Park- oder Sportplätze. Solche Orte sind in ihrer Funktion klar festgelegt und bieten blosse Nutzungs- und Aufenthaltserlaubnis in ihrem eingeschränken Rahmen. Gemeint sind Orte, die räumlich wie sozial gesehen nicht in Schranken weisen, sondern zum Ausloten auffordern, zum Füllen mit Leben. Das Potenzial für eine solche Nische fand die Gruppe in einem leerstehenden Gründerzeitbau am Martin-Luther-Platz. Das Haus, schon jahrelang ungenutzt, verfiel zusehends. Im Prinzip schon Freiraum in sich bergend, musste es also noch erschlossen und öffentlich nutzbar gemacht werden. Die Instandbesetzer beräumten Schutt, reparierten Teile der Fussböden und strichen die Wände. So entstand im Erdgeschoss des Vorderhauses ein offener Veranstaltungsraum. Hier war auch das "Umsonstkino" zu Hause. Einmal wöchentlich wurde dort unentgeltlich ein Film vorgeführt. Im ersten Stock eröffnete der "Umsonstladen". Hier konnten Menschen intakte Gegenstände, die sie nicht mehr benötigten, abgeben, ohne sie wegschmeissen zu müssen. Auf drei Räume verteilt sammelten sich Klamotten, Bücher, Geschirr und anderer Kleinkram. Wer etwas brauchte konnte sich einfach bedienen, ohne Geld oder Tausch. Oder man tratschte einfach über das alte Erbstück, von dem man sich endlich trennen konnte... Zweimal wöchentlich öffnete der Umsonstladen seine Türen und wurde trotz Kälte und notdürftiger Beleuchtung mittels einer Autobatterie in den vier Nachmittagsstunden von bis zu 40 Leuten verschiedenster Schichten besucht. In der Etage über dem Umsonstladen war ein offenes Atelier in Planung und eine Theatergruppe wollte die Räumlichkeiten daneben für sich nutzen. Im dritten Obergeschoss begann eine Gruppe junger politisch engagierter Menschen damit, Räume vorzubereiten, um eine Plattform des freien Informationsaustausches zu schaffen. Diese war als ein Ort gedacht, an dem Menschen an einer Art Litfasssäule Informationen aufnehmen und ebenso loswerden können. Zweimal im Monat sollte eine sogenannte "INFOKÜ" stattfinden, ein themenbezogener Abend mit Vorträgen und Filmen gewürzt und dazu Gekochtes zum Selbstkostenpreis, um den Hunger nach Nahrung und Information gleichermassen zu befriedigen. Nebenan planten sie einen Seminarraum für Workshops zu unterschiedlichen Themen wie Rassismus, Soziales, Verkehr... Zusätzlich zeigten zum Zeitpunkt der Räumung noch die Redaktion einer Zeitschrift für künstlerische und politische Momentaufnahmen und ein Treffpunkt für Asylbewerber konkretes Interesse. Und Raum war im Vorderhaus auch noch reichlich vorhanden. Das grosse Interesse und der augenscheinliche Bedarf eines sozialen Zentrums, wie es sich am Lutherplatz Stück für Stück entwickelte, war wenig überraschend, wie auch die Idee nicht ganz neu ist. In Italien entstanden bereits in den siebziger Jahren sogenannte centri sociali. Leerstehende und nicht mehr verwertbare Gebäude wurden dort übernommen und zu unabhängigen Politik- und Kulturzentren umgestaltet. Ein Mangel im sozialen und kulturellen Bereich sollte überwunden und eine wirkliche Souveränität in der Freizeit erreicht werden. Im Gegensatz zu autonomen Zentren und Infoläden lag den Centri eine grössere Offenheit und Nutzungsbreite zugrunde. Jeder konnte hier gleichermassen zum Nutzer und Gestalter von Projekten werden. Zu Zeiten der Massenproteste in Genua 2001 gab es zwischen 300 und 400 solcher selbstverwalteten Zentren in Italien. Sie bildeten auch die Basis für die Organisation des globalisierungskritischen Widerstandes zum Weltwirtschaftsgipfel. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass heutzutage viele, selbst langjährig etablierte Centri wieder vor der Räumung stehen. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen in verschiedenen Städten (wie beispielsweise Aachen und Berlin), soziale Zentren aufzubauen. Einige existieren auch bereits. In Zeiten, in denen öffentlicher Raum mehr und mehr privatisiert wird, scheint der Bedarf nach realer Teilhabe am öffentlichen Leben wieder zu wachsen. Immer mehr wird in den Städten fehlende Urbanität beklagt und eine soziale und räumliche Fragmentierung erlebt, die Stadtteile an bestimmte Schichten und Funktionen bindet. Die Innenstädte beispielsweise entwickeln sich mehr und mehr zu überwachten, inszenierten Einkaufswelten, in denen nur noch kapitalstarkes, kaufwilliges Klientel erwünscht ist. In Stadtteilen wie der Neustadt wird ersichtlich, wie sozial Benachteiligte schrittweise aus den Zentren vertrieben werden. Kurz vor der Wende stark vom Verfall bedroht, hatten sich hier Künstler, Studenten und Leute mit eher schmalem Geldbeutel angesiedelt. Diesen Bewohnern gelang es dann auch, den drohenden Abriss des Quartiers zu verhindern. Nach der Wende entdeckten Investoren und die Stadt den Wert des einstigen "Stiefkindes", welches als grösstes zusammenhängend erhalten gebliebenes Gründerzeitviertel in Deutschland gilt. Es wurde zum Sanierungsgebiet erklärt und ein neuer Laden nach dem anderen öffnete seine Pforten. Das nun als Dresdner "Szeneviertel" bezeichnete Gebiet hat zwar immer noch den höchsten Anteil an den unter 30jährigen in Dresden, doch sein Gesicht hat sich stark gewandelt. Inzwischen kann man hier im Designeroutlet seinen Anzug kaufen und im französischen Feinschmeckerrestaurant speisen. Dafür leben jetzt nur noch zehn Prozent der Bewohner von Anfang der neunziger Jahre hier; für viele wurde die Miete in den schick sanierten Häusern schlichtweg zu teuer. Und auch Teilhabe am kulturellen Leben wird hier mehr und mehr zum Privileg der Besserverdienenden. Dieser hier beschriebene Prozess ist auch aus anderen deutschen und vor allem amerikanischen Grosstädten bekannt. Er wird in der Stadtsoziologie gentrificatrion genannt, was übersetzt eine Aufwertung des Stadtviertels bedeutet. Einige obdachlose Jugendliche, die im aufgewerteten Wohnraum der Neustadt keine Bleibe mehr gefunden hatten, waren im Hinterhaus am Lutherplatz 6 untergekommen. Sie bildeten dort ein selbstverwaltetes Wohnprojekt, als die Räumungsaufforderung ins Haus flatterte. Acht Tage wurden darin den Bewohnern und Nutzern eingeräumt, um die Häuser zu verlassen. "Eine ordnungsgemässe weitere Nutzbarkeit", so der Bescheid, sollte damit gewährleistet werden. Der bis dahin unbekannte Eigentümer aus Süddeutschland, der wahrscheinlich erst durch die Polizei von der Nutzung seines Hauses erfahren hatte, kündigte eine - so wörtlich - "kurzfristige Sanierung" des seit Jahren verfallenden Gebäudes an. Da es innerhalb der acht Tage unmöglich war, einen neuen Raum für den Umsonstladen und die anderen Projekte zu finden (schon gar nicht, neuen Wohnraum für die fünf Bewohner des Hinterhauses), versuchte man schriftlich, mit dem Besitzer in Kontakt zu treten, um über ein befristetes Nutzungsrecht zu sprechen. So wäre es möglich gewesen, über den Winter ein neues Zuhause für das Soziale Zentrum zu suchen. Doch der Eigentümer zeigte sich nicht gesprächsbereit. Bis zuletzt auf eine gütliche Einigung hoffend, sahen sich die Menschen vom Lutherplatz 6 dann pünktlich am 1. Dezember dem Räumungskommande gegenüber. Im Verlauf der Räumung wurde einer weiteren Nutzbarkeit des Hauses erst einmal ein Riegel vorgeschoben. Sämtliche (noch gut erhaltene) Fenster und Türen wurden von eigens dafür angeheuerten Handwerkern herausgerissen. Dank der vielen Helfer, die Autos und ihre Arbeitskraft kurzfristig zur Verfügung stellten, konnten viele der Artikel aus dem Umsonstladen gerettet werden. Sie sind nun provisorisch bei Unterstützern eingelagert. Das Umsonstkino hat übergangsweise in einem anderen Raum Asyl gefunden und wird weiterhin wöchentlich betrieben. Doch wie lange der Raum genutzt werden kann ist fraglich. Die Bewohner des Hinterhauses traf es am schlimmsten. Einige kamen sofort bei Freunden unter, doch der Rest fand erstmal keine feste Bleibe und musste Nacht für Nacht woanders schlafen. Aus den ehemaligen Nutzern und aktiven Leuten der beteiligten Projekte hat sich nun die Initiative für ein soziales Zentrum herausgebildet. Diese Menschen haben es sich ausdrücklich zum Ziel erklärt, ein Soziales Zentrum für Dresden möglich zu machen. Denn eines ist durch die Räumung umso deutlicher geworden: Der Bedarf, einen solchen Freiraum mit Leben zu füllen, ist grösser denn je. Und leere Gebäude gibt es in Dresden genug. |
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