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Da waren's nur noch neun

Die Parteiführung der NPD um Udo Voigt, Holger Apfel und Peter Marx dürfte nicht besonders gut gelaunt ins neue Jahr gerutscht sein. Der Neujahrsgruss auf der Homepage der Partei wirkt etwas unpassend: »Guten Start ins neue Jahr«. Denn die jüngsten Austritte aus der sächsischen NPD-Landtagsfraktion belasten die Bemühungen der Partei um eine »Volksfront« mit der Deutschen Volksunion (DVU) und den so genannten freien Kameradschaften.

Kurz vor Weihnachten erklärten die NPD-Abgeordneten Mirko Schmidt, Klaus Baier und Jürgen Schön ihren Austritt aus der Partei. »Die Ereignisse in Sachsen haben mit dem dritten abtrünnigen Abgeordneten wohl ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht«, sagte der Vorsitzende Voigt und betonte, dass sie »schon lange Angriffe« auf die Partei erwartet hätten. Aber er räumte ein: »Ich gestehe freimütig, dass mir die Worte fehlen.«

Umso wortreicher waren die Treuebekundungen der sächsischen Kreisverbände. Derjenige in Meissen, wo Schmidt im Stadt- und Kreisrat sitzt, erklärte, die Mehrheit der Mitglieder stehe »treu zur Fraktion und deren Zielen«. Der Leipziger Verband, dem Schön angehörte, beteuerte »klar und unmissverständlich«, man stehe »fest und treu hinter dem politischen Programm«.

»Trotz allen Widrigkeiten. Im KV alle i.O.«, verkündete der Verband Plauen. Und auch die Kameraden aus Aue-Schwarzenberg bekräftigten: »Auf uns kann sich die Partei verlassen.« Man schimpfte: »Baier, du alter Mann, warum lügst du? Wie viel Geld hat dir der Verfassungsschutz gegeben? In den letzten Wochen konnten wir dein zerstörerisches Verhalten im KV Annaberg mitbekommen.«

Nach den ersten Austritten von Schmidt und Baier ging die Führung der NPD sofort von einer »operativen Massnahme der Geheimdienste« aus. Das Zusammenspiel der Dienste, der Landtagsverwaltung und der Medien liegt für die älteste neonazistische Partei Deutschlands auf der Hand. »Wir wissen noch nicht, welchen Judaslohn die Verräter erhielten, doch wir wissen, dass sie uns verraten haben«, meinte Voigt. Und Uwe Leichsenring, der Fraktionsgeschäftsführer der NPD im sächsischen Landtag, kündigte eine parlamentarische Anfrage an. Man wolle wissen, in welchem Umfang Schmidt mit den sächsischen Behörden zusammengearbeitet habe.

Der sächsische Verfassungsschutz beteuerte hingegen, die Austritte seien keineswegs »eine konzertierte Aktion« gewesen. Allerdings bestätigte der Sprecher Alrik Bauer, dass mit dem Immobilienverwalter Schmidt »am längsten« ein Kontakt bestand, der in das offizielle Aussteigerprogramm mündete. Lediglich um »Polizeischutz aus Angst vor Übergriffen« habe der Krankenpfleger Baier gebeten. Der Gastwirt Schön soll nach Informationen der taz und entgegen eigener Aussagen Gespräche mit dem Verfassungsschutz geführt haben.

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) sagte, Schmidt und Baier hätten von sich aus den Kontakt zum Verfassungsschutz gesucht, »nicht umgekehrt«. Und Schön sei vor seinem Austritt zum Landtagspräsidenten gegangen, um »Schutz für sich und seine Familie« zu erbitten. »Daraufhin hat sich der Sicherheitsbeauftragte des Landtags mit der Polizei in Verbindung gesetzt«, führte Buttolo aus. Dass die drei Abgeordneten Verbindungsmänner des Ver-fassungsschutzes gewesen seien, schloss er aus.

Nach ihren Austritten beklagen die jetzt parteilosen Abgeordneten, die seit Jahren hohe Ämter in der NPD innehatten, vor allem den »autoritären Führungsstil« der Fraktion. Völlig enttäuscht seien sie von dem »Hitlerismus« der Faktion und dem »Anti-Amerikanismus« im Programm. Haben sie in den etlichen Jahren der Parteiarbeit nie das Programm gelesen? Erst jetzt will Schmidt erkannt haben, dass die NPD die »demokratischen Grundrechte verlassen hat«. Schön betont auf einmal, die Partei sei für ihn eine »klare Feindpartei«. Gemeinsam werfen Schmidt, Baier und Schön, die sich selbst als »linken Flügel der NPD« verstanden, der Fraktion vor, soziale Sachthemen zu missachten. Dabei stellte selbst eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung fest: »Die Redebeiträge der NPD-Abgeordneten orientierten sich zum grossen Teil an sachbezogener Politik«, die Anträge »mit wenigen Ausnahmen an fachbezogenen Fragestellungen«. Mit nationalistischen und rassistischen Äusserungen hielten sich die NPDler demnach zurück. Was die Aussteiger tatsächlich störte, bleibt demnach ein Rätsel.

Um den Schaden zu begrenzen, verweist die NPD vor allem auf die Arbeit des Verfassungsschutzes. Voigt warnte, zu der »operativen Massnahme von Geheimdiensten« gehöre auch das Ziel, »dass wir alle im Heulen und Zähneknirschen mit gegenseitigen Anschuldigungen über uns herfallen sollen«. Dennoch brach bei den Kameradschaften nach den Austritten die alte Debatte über das Für und Wider eines »nationalen Parlamentarismus« und die Zusammenarbeit mit der NPD auf. »Innerhalb der nationalen Szene« gebe es nicht »wenige Stimmen, die für einen Teil der Motive der Aussteiger nicht ohne Verständnis« seien, heisst es beim »Freien Widerstand«. Angespielt wird auf die Bemühungen der NPD um eine Dominanz gegenüber den Kameradschaften und um die Legalität der Partei.

Glaubt man Schön, dann hat die NPD nach den Austritten an die 110 Mitglieder verloren. Der Verband sei auf »mehr als 1 000 Parteimitglieder« gewachsen, behauptet dagegen die Partei. Dass sie nur noch mit neun Abgeordneten im Landtag vertreten ist, trifft sie aber finanziell. Pro Monat und Abgeordneten erhalten alle Fraktionen 2 380 Euro. Jährlich verliert die NPD somit 85 680 Euro. Ausserdem muss sie Sitze in den Ausschüssen räumen. Und in den Umfragen sank sie in Sachsen wieder unter die Fünf-Prozent-Marke.

Schmidt und Bauer kündigten derweil an, im Februar die Sächsische Volkspartei (SVP) gründen zu wollen. Sie rechnen mit 150 Interessierten. Vor Monaten habe Schmidt sich den Namen bereits gesichert. »Soziales« und »Heimat« sollen die Themen sein, weiss-grün das Logo.

Diese Ankündigung dürfte dem Verfassungsschutz etwas unangenehm sein. André Hahn, der Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag, merkte an, dass »die Herauslösung von gewählten Abgeordneten« und die damit »möglicherweise einhergehende Änderung von Mehrheitsverhältnissen« keine Aufgabe des Verfassungsschutzes sei. Und die indirekte Unterstützung der Gründung einer weiteren rechtskonservativen Partei wohl auch nicht.


von Andreas Speit (Jungle World

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