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Gefährdete Romantik
Ein zauberhaftes Urlaubsgebiet und Bühne für Felskletterer aus aller Welt« ist die Sächsische Schweiz, glaubt man der Werbung des Freistaates Sachsen. »Hätte es eine deutsche Romantik gegeben ohne die Sächsische Schweiz? Vielleicht - aber sie wäre um viele Höhepunkte ärmer geblieben.« Seit dem Erfolg der NPD bei den Kommunalwahlen am 13. Juni geht bei den Kommunalpolitikern im Elbsandsteingebirge die Angst um, die Angst um den Ruf der Tourismusregion. Insgesamt 53 Mandate erreichten NPD und Republikaner bei den sächsischen Gemeinde- und Kreistagswahlen, davon 18 in der Sächsischen Schweiz. Mit fünf Sitzen wird die NPD in den dortigen Kreistag einziehen. In sechs Gemeinden der Sächsischen Schweiz trat die NPD an, zweimal wurde sie zweitstärkste Kraft, einmal drittstärkste. Wie es dazu kommen konnte und wie man nun mit dem Erfolg der Rechten umgehen soll, darüber herrscht Uneinigkeit. Das PDS-Kreistagsmitglied Hans-Peter Retzler lehnt jegliche Zusammenarbeit mit der NPD ab; Friedrich Putzke, der für die Freien Wähler im Kreistag sitzt, meint hingegen: »Wir müssen sie einbinden, damit wir sie unter Kontrolle haben.« Die Bereitschaft zur Kooperation ist nicht neu. Bis zur Möllemann-Affäre bildeten FDP, Deutsche Soziale Union (DSU) und NPD in Sebnitz eine gemeinsame Fraktion. Dort erhielt die NPD nunmehr 13,2 Prozent der Stimmen. Sebastian Reissig von der Aktion Zivilcourage Pirna hofft auf das Potenzial der Christdemokraten, den rechten Rand der Wählerschaft zu binden: »Vielleicht haben ja die Politikwissenschaftler recht, die sagen, die CDU müsse sich wieder stärker rechts positionieren.« Seit einiger Zeit häufen sich nach Marianne Thum von der Dresdner Opferberatungsstelle Amal auch wieder Übergriffe mit rechtem Hintergrund. Am 19. Juni erklangen »Sieg Heil«-Rufe auf dem Pirnaer Stadtfest, in der Nacht darauf wurde einem Jugendlichen mit einer zerschlagenen Flasche das Gesicht zerschnitten. Am 12. Juni folgten etwa 150 Neonazis dem Aufruf der Jungen Landsmannschaft Ostpreussen und gingen in Pirna gegen die Antifademonstration »Kein schöner Land« auf die Strasse. In der Nacht darauf überfiel eine Gruppe Rechter einen Jugendlichen, sie schlugen ihn und traten ihn mit Füssen. Der Königsteiner Bürgermeister Frieder Haase fürchtet nun um den Tourismus. Im Interview mit der Sächsischen Zeitung sprach er von Gästebucheinträgen im Internet, die davon kündeten, »dass viele Leute Angst haben, in der Region ihren Urlaub zu verbringen«. Einträge, die Königstein als braune Hochburg bezeichneten, hat er gelöscht. Im Ort wurde die NPD mit 21,1 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft und zieht mit zwei Sitzen in den Stadtrat ein. Manchen Königsteiner sieht Haase in eine Falle getappt. Es gebe »Bürger, die rechts gewählt haben, jedoch selbst vom Tourismus leben. Diese haben sich jetzt möglicherweise selbst geschadet.« »Rechtsextremistisches Gedankengut« sei in der Sächsischen Schweiz »unbestritten sehr verwurzelt«, sagt Haase. Ihr Wählerpotenzial konnte die NPD seit der letzten Bürgermeisterwahl halten. Ein Werbeflugblatt des NPD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz beschwor vermeintliche Gefahren der EU-Ost-Erweiterung. Die Wähler wurden aufgefordert, mit ihrer Stimme »die Pläne der Mächtigen für die weitere Ausplünderung des deutschen Volkes« zu durchkreuzen. Die NPD versteht sich selbst »als Sprachrohr der schweigenden Mehrheit in Deutschland«, gegen die »Bonzenklasse« der »Berliner Blockparteien«. Ihre Kandidaten sind anerkannte Geschäftsleute. Enge, teilweise familiäre Beziehungen zur militanten Neonaziszene der verbotenen »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) stören die Wähler nicht. Der Königsteiner NPD-Stadtrat Uwe Leichsenring, der mit dem Slogan »Ein Mann. Ein Wort. Uwe.« für sich warb, leitet eine Fahrschule. Seine Lebensgefährtin Carmen Steglich, tausendstes sächsisches NPD-Mitglied und seit der Wahl ebenfalls im Königsteiner Stadtrat vertreten, gehört ebenso zu seinen Mitarbeitern wie das NPD-Kreistagsmitglied Johannes Müller. In der Gemeinde Struppen erhielt Klaus Rackow für die NPD einen Sitz im Gemeinderat; sein Sohn erstellte das »Zeckenerfassungsprogramm« für die SSS und wurde vom Dresdner Landgericht wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Vater und Sohn wechselten sich als Domaininhaber des rassistischen Elbsandsteinportals ab. In Reinhardtsdorf-Schöna, wo die NPD mit 25,2 Prozent ihr höchstes Ergebnis erzielte, stellte sie einen populären Kandidaten. »Der Jacobi ist nun mal Klempner und hat hier 60 Prozent der Heizungen eingebaut. Dass er nun für die NPD kandidiert - Pech gehabt«, sagt ein Reinhardtsdorfer. Nach der vorhergehenden Kommunalwahl sass der 50jährige Michael Jacobi noch für die freie Wählervereinigung im örtlichen Gemeinderat. Im Juni 2000 durchsuchte das sächsische LKA im Rahmen der SSS-Ermittlungen 51 Wohnungen, darunter auch das Haus der Familie Jacobi. Ihr Sohn Matthias war beteiligt, als die SSS im Oktober 1998 einen Jugendclub überfiel. Das LKA fand Kriegsschrott, den die Familie auf NVA-Übungsplätzen gesammelt hatte, Waffen, etwa zwei Kilogramm Sprengstoff und eine Hitlerbüste. Nach der Razzia trat Michael Jacobi als Gemeinderat zurück. Der Reinhardtsdorfer verteidigt ihn: »Das mit dem Sprengstoff wurde von der Presse hochgepuscht.« Matthias Jacobi ist derweil weiter im alten Umfeld aktiv. Nach Informationen der Pirnaer Antifagruppe afa13 war er dabei, als im September 2003 auf dem Tag der Sachsen einem Zeugen des SSS-Prozesses von Rechten der Unterkiefer zerschlagen wurde. Drei Sitze könnte die NPD im Reinhardtsdorf-Schönaer Gemeinderat belegen. Einer davon bleibt leer, weil die NPD nur zwei Kandidaten aufstellte. 1 600 Einwohner hat die Ortschaft, für die Rechten »die Hochburg schlechthin«, sagt Sven Forkert von der Pirnaer Aktion Zivilcourage. Nur widerwillig habe der Bürgermeister Arno Suddars (CDU) einen rechten Jugendclub und Treffpunkt der SSS-Aufbauorganisation geschlossen. Forkert befürchtet nun die baldige Wiedereröffnung des Clubs. Nazischmierereien und Drohungen seien an der Tagesordnung, berichtet ein Einwohner des Ortes, der lieber anonym bleiben will. Durch Mobbing werde hier jeder bekämpft, der etwas gegen die Zustände vor Ort sage. Hakenkreuze aus brennenden Heuballen seien aufgestellt worden, einmal habe ein Plakat am Jugendclub geklebt, das »Freiheit für Möbus« forderte, den wegen Mordes verurteilten rechtsextremen Thüringer Black-Metaler. »Massive Probleme« habe es im vorigen Sommer beim Haus der Naturfreundejugend gegeben, einem Treffpunkt nicht rechter Jugendlicher, weiss Marianne Thum von Amal. »Vierzehnjährige Mädchen wurden dort bedroht, nur weil sie nicht zu den Rechten gehören wollen.« In einer Diskussion mit Jugendlichen habe Bürgermeister Suddars die Lage verharmlost. Für ihn scheint ohnehin weniger die NPD als ihr schlechter Ruf das Problem zu sein. Nach Angaben der Sächsischen Zeitung befürchtet er Konsequenzen für den Tourismus. Die Zusammenarbeit mit der NPD vor Ort werde aber voraussichtlich leichter als mit der PDS: »Ich erwarte im Gemeinderat keine Schwierigkeiten.« Alexander Fichtner, Jungle World 28/2004 vom 30. Juni |
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