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Gegenläufige Kontinuitäten - Ein Rückblick auf das Jahr 2018
Entwicklung in der Region Hoyerswerda im Bezug auf Zivilgesellschaft, AfD und Neonazis

Mit einem Festakt und einer Podiumsdiskussion feierte das Bürgerbündnis "Hoyerswerda hilft mit Herz" im November 2018 sein fünfjähriges Bestehen. Im Engagement der Initiative zeigt sich die Bedeutung einer anhaltenden Vernetzung zwischen Zivilgesellschaft und Stadtverwaltung bei der Integration von Asylsuchenden im ländlichen Raum. Indes konnte auch die rechtspopulistische AfD durch ihre Erfolge bei der letzten Bundestagswahl nachhaltig in der Region Fuss fassen. Dabei liess sich eine stetige Radikalisierung politischer Positionen bei anhaltender Resonanz in der Öffentlichkeit beobachten. Im Windschatten der Partei verzichtete die lokale Neonaziszene weitgehend auf eine eigene politische Agitation. Statt dessen verstärkte sie ihre Aktivitäten im Ausbau subkultureller Strukturen. Der hohe Organisationsgrad einzelner Akteure, ihre lokale Verankerung und Akzeptanz sowie zahlreiche Möglichkeiten zur Nutzung von Immobilien haben dazu geführt, dass die Zahl rechtsradikaler Veranstaltungen und Konzerte mit teils bundesweiter Relevanz in Ostsachsen wieder sprunghaft angestiegen ist.

Asylsuchende in der Region und fünf Jahre Bürgerbündnis

"Hoyerswerda hilft mit Herz"

Wie die Lausitzer Rundschau am 15.11.2018 berichtete, hielten sich im Oktober vergangenen Jahres 1.588 Asylsuchende und 77 anerkannte Flüchtlinge im Landkreis Bautzen auf, von denen etwa 400 in Wohnungen untergebracht waren. Damit hat sich deren Zahl im Vergleich zum Jahr 2017 abermals deutlich verringert. Laut einem Artikel der Sächsischen Zeitung vom 22.05.2018 war etwa ein Drittel von ihnen in Hoyerswerda ansässig. Ein Grossteil der Asylsuchenden in der Stadt lebt nach wie vor in den beiden noch verbliebenen Wohnheimen. Während die Unterkunft in der Thomas-Müntzer-Strasse auch in Zukunft als zentrale Aufnahmestelle bestehen bleiben soll, könnte, nach einer Meldung der Lausitzer Rundschau vom 15.11.2018, in absehbarer Zeit eine Schliessung der Einrichtung auf der Liselotte-Herrmann-Strasse auf Grund der rückläufigen Flüchtlingszahlen erfolgen.

Einen zentralen Beitrag zur Integration von Asylsuchenden in die Stadtgesellschaft leistet weiterhin das seit nunmehr fünf Jahren bestehende Bürgerbündnis "Hoyerswerda hilft mit Herz". Von den etwa 50 Personen, die sich zur Zeit in der Initiative engagieren, besitzt die Hälfte mittlerweile selbst einen Migrationshintergrund, wie Bündnis-Koordinatorin Birgit Radeck gegenüber der Lausitzer Rundschau vom 20.10.2018 ausführte. Über das Unterstützungsnetzwerk, das seither in Hoyerswerda geknüpft werden konnte, berichtete die Sächsische Zeitung in einem Artikel vom 14.11.2018: "Im Jugendklubhaus Ossi, dem Martin-Luther-King-Haus und dem Bürgerzentrum Braugasse 1 finden Begegnungen (...) mit der hiesigen Bevölkerung statt. Sportvereine nehmen Migranten jeden Alters auf. Die Kinder- und Jugendfarm des CSB Sachsen integriert die junge Generation. Eine Flüchtlingsambulanz entstand am Lausitzer Seenland-Klinikum und entlastet Hoyerswerdaer Hausärzte. (…) Seit 2015 arbeiten Geflüchtete ehrenamtlich im Bundesprojekt samo.fa (Stärkung der Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit) mit, übersetzen für Neuankömmlinge und bereiten die regelmässigen Begegnungscafés vor. Dort beantworten Mitarbeiter vom Jobcenter Hoyerswerda, von hiesigen Wohnungsunternehmen oder vom Ausländeramt des Landkreises Bautzen Fragen (...)."

Neben dem Wunsch nach einer stärkeren Bürgerbeteiligung benannte Radeck gegenüber der SZ auch Faktoren, die die Arbeit des Bündnisses nach wie vor erschweren: "Es wäre wichtig, wenn eine Aussenstelle des Ausländeramts in Hoyerswerda wäre. Wegen allem müssen wir nach Kamenz fahren. Es würde schon helfen, wenn das Ausländeramt einmal pro Woche eine Sprechstunde in Hoyerswerda hätte." In einem Interview, das am 10.11.2018 in der Lausitzer Rundschau erschien, äusserten sie und Pfarrer Jörg Michel zudem Besorgnis darüber, dass gegenüber Asylsuchenden "zurzeit immer mehr Sanktionen" ausgesprochen würden. Michel erläuterte dazu: "Das potenziert dann natürlich die Angst bei denjenigen, die einen unsicheren Status haben. Das erschwert das Ankommen und das Wurzeln schlagen unheimlich. (...) Diese Verunsicherung ist schwierig für Begegnungen und Integration." Ausserdem übte Radeck Kritik an einer unverhältnismässigen Abschiebepraxis: "Wir haben einen aktuellen Fall in Hoyerswerda (...). Da ist eine Familie getrennt worden. Der Vater war auf Nachtschicht, die Tochter und ihre Mutter sind aus dem Asylbewerberheim abgeholt worden. Die Tochter war Klassenbeste im Foucault-Gymnasium, hat sich dort sehr aktiv eingebracht. (…) Der Vater hat Arbeit. Trotzdem sind die beiden, Mutter und Tochter, abgeschoben worden nach Georgien. Die Klasse des Mädchens hat das sehr getroffen. Das sind Sachen, die man nicht mehr tolerieren kann. Auf der einen Seite heisst es, wir haben Fachkräftemangel und auf der anderen Seite schiebt man solche Menschen dann ab."

Im Jahr 2018 wurde "Hoyerswerda hilft mit Herz" für sein Engagement sowohl im Bundes- Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleranz" ausgezeichnet, als auch für den "Sächsischen Bürgerpreis" nominiert. Als Trägerverein bemüht sich die RAA-Hoyerswerda, neben der Weiterführung des Bürgerbüros, das als Anlaufpunkt für die Initiative dient, auch um den Erhalt der Strukturen, die durch die Arbeit von samo.fa entstanden sind (das Projekt selbst lief zum Jahresende 2018 aus).

Zudem organisierte sie gemeinsam mit der Stadtverwaltung und weiteren Akteuren die Ausrichtung der Wanderausstellung "Hasan und die Enkel" im Stadtschloss Hoyerswerda. In ihr erhielten BesucherInnen historische und biografische Einblicke in die Geschichte der westdeutschen Arbeitsmigration und konnten diese mit den Erfahrungen in der ehemaligen DDR sowie den gegenwärtigen Entwicklungen in Beziehung setzen.

Wie präsent vor allem die Ereignisse vom September 1991 nach wie vor im Stadtgedächtnis sind, liess sich bereits im Mai 2018 beobachten. In der regional weitverbreiteten Facebookgruppe "Alle Hoyerswerdschen Jungs und Mädels" wurde eine Diskussionen zu Thema begonnen, die auf rege Beteiligung stiess und viele Menschen dazu bewegte, ihre Erinnerungen an die Zeit mitzuteilen. Auf sie bezog sich auch der Film- und Fernsehdramaturg Olaf Winkler in einem Kommentar, den die Sächsischen Zeitung in ihrer Ausgabe vom 23./24.06.2018 abdruckte. Darin reagierte er auf einen offenen Brief, den der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat und Landtagsabgeordnete Frank Hirche kurz zuvor an Angela Merkel adressiert hatte, um sich von ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik abzusetzen. Winkler kritisierte in diesem Zusammenhang eine Debattenkultur, die mit "pauschalen Urteilen" operiere und in der politische Entscheidungen "auf Grundlage medialer 'Eindrücke'" gefällt würden. Demgegenüber fragte er: "Wären nicht authentische Sorgsamkeit und Genauigkeit angebrachter? Etwas Diät von der Meinung und stattdessen mehr ,Studium' und genauere Mitteilung über das, was wir (...), hier an der Basis, wirklich beobachten können? Das schliesst ein, das wir offen aussprechen, was genau uns irritiert, was genau uns Angst macht vor den Flüchtlingen, die wir hier in unserer Stadt erleben."

"Volksschuld", "Landzerstörer", "sozialistische Weltgemeinschaft"

  • Die Radikalisierung und Etablierung der AfD

Dass auch die dezidierte Verweigerung sachbezogener politischer Diskussionen von vielen Menschen in der Region Zustimmung erfährt, hat der Erfolg der AfD bei der letzten Bundestagswahl im Herbst 2017 bewiesen. Dabei konnten ihre hiesigen Direktkandidaten Karsten Hilse (Wahlkreis Bautzen I) und Tino Chrupalla (Wahlkreis Görlitz) mit 33,2% und 32,3% der Wahlstimmen Rekordwerte erzielen, die jeweils über den Ergebnissen ihrer CDU- Konkurrenten (u.a. dem derzeitigen sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer) lagen und ihnen aus dem Stand den Einzug in den deutschen Bundestag ermöglichten.

Nachdem die eher moderat auftretende sächsische Spitzenkandidatin Frauke Petry unmittelbar nach der Wahl ihren Austritt aus der AfD bekannt gab, wurde deutlich, dass sich die rechten Kräfte parteiintern endgültig durchgesetzt hatten und fortan tonangebend auftreten würden. Anfang Februar 2018 fand in Hoyerswerda ein Landesparteitag statt, auf dem das Erscheinen des Pegida- Gründers Lutz Bachmann den neuen Kurs symbolisch untermauerte und Hilse, nach Angaben der Freien Presse vom 03.02.2018, zur Begrüssung kämpferisch verkündete: "Wir haben die Macht, das Altparteienkartell zu stützen." Durch die finanziellen Mittel, die mit dem Erhalt der Bundestagsmandate verbunden sind, konnte die Partei ihre Strukturen seither deutlich erweitern. In Hoyerswerda zogen Hilse und der derzeitige AfD-Landeschef Jörg Urban im Januar 2018 mit ihrem Parteibüro auf die Friedensstrasse in der Altstadt um. Im Februar und August erfolgte die Eröffnung weiterer Büros in Bautzen und Kamenz.

Gegenüber der Presse bemühte sich der vom Dienst freigestellte Polizeibeamte aus Hoyerswerda ebenfalls stets darum, einen gemässigten und diplomatischen Eindruck zu vermitteln. So wurde er in einem Artikel, der am 21.09.2016 auf Zeit Online erschien, als "Mann, der mit der eigenen Partei fremdelt", beschrieben. Er wolle sich nicht auf die Themen Islam und "Angst vor Kulturverlust" festlegen und verzichte aus Angst vor "Extremisten" auf die Ausrichtung öffentlicher Kundgebungen sowie persönliche Angriffe, wie sie damals etwa von AfD-Chef Alexander Gauland gegen den Fussballspieler Jérôme Boateng getätigt wurden. Im Januar 2018 erklärte er in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung, dass seine Partei keine "nationalistische Haltung" vertrete und er auch keine Abgrenzungsprobleme in diese Richtung habe. Im Parlament stünden er und sein Kollegium für "eine sehr sachliche Politik".

Wie stark diese Verlautbarungen den Tatsachen widersprechen, zeigte sich im weiteren Jahresverlauf in zahlreichen Äusserungen Hilses im Bundestag und auf Kundgebungen sowie den Mitteilungen, die im von ihm zu verantwortenden Regionalblatt "Blaue Post BZ" erschienen. In ihnen offenbaren sich apokalyptisches Verschwörungsdenken, grotesk übersteigerte Fremdenangst und ungehemmte Denunziationslust. So heisst es in den Publikationen etwa mit Blick auf die Flüchtlingspolitik: "Heute entwickelt sich das Unwesen. Das Unwesen der Schubser, Pöbler, Spucker, Grabscher, Messerer, Kopftreter, Räuber, Diebe, Dealer, Vergewaltiger usw.. Diesen neuen 'Fachkräften' verdanken wir, dass unsere bisher homogene Gesellschaft langsam multiethnisch zersetzt wird." (Blaue Post 07.2018) "Regierung und Altparteien" würden einer ",Anti-Abschiebe-Industrie' (…) wohlwollend Rückendeckung" geben und "führen immer neue ,Flüchtlinge' zu, damit der Sumpf nicht austrocknet, in welchem unser Steuergeld verschwindet." (Blaue Post BZ 10.2018) Es existiere eine "unheilige Allianz (…) zwischen den tonangebenden ,Eliten' und den hier ,Versorgungssuchenden'. Ihr Ziel ist es, die ,schon länger hier Lebenden' niederzuhalten und auszubeuten." (Blaue Post 09.2018) VertreterInnen der Initiative "Bautzen bleibt bunt" werden indes als "Bunte Landzerstörer" (Blaue Post BZ 02.2018) bezeichnet, die "239.604" SPD-Mitglieder, die sich für den Fortbestand der grossen Koalition ausgesprochen haben, zu "Demokratiefeinden" erklärt. (Blaue Post BZ 04.2018) Mit Bezug auf lokale Polizeimeldungen wird der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt unterstellt, sie würde Freude über die Belästigung von Frauen empfinden, während im selben Atemzug Empfehlungen an die LeserInnen erteilt werden, wie sie sich mit Pfefferspray bewaffnen könnten, ohne in Konflikt mit der Polizei zu geraten. (Blaue Post BZ 07.2018)

Welche Wirkungen die anhaltenden Tiraden in AfD-Blättern, wie der Blaue Post entfalten, zeigte sich, als in Ausgabe 08.2018 eine Bloggerin aus Bautzen beleidigt und angegriffen wurde, die rechte Tendenzen in der Stadt öffentlich macht. Wie die Sächsische Zeitung vom 23.08.2018 meldete, erhielt sie in der Folge massive Drohungen. Hilse reagierte auf eine Anfrage der SZ zwar mit der Erklärung, Gewalt abzulehnen. Gleichzeitig gab er der Betroffenen eine Mitschuld, indem er ihr Engagement mit den gegen sie geäusserten Gewaltaufrufen gleichsetzte. Die SPD bezeichnete den Umstand, dass "ein Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Polizeibeamter, Verstösse, die bereits strafrechtliche Ermittlungen ausgelöst haben, als entschuldbar rechtfertigt" in einer Pressemitteilung als "inakzeptabel".

Auch in Berlin, wo Hilse als umweltpolitischer Sprecher der AfD- Fraktion im Bundestag wirkt, fiel er im vergangenen Jahr vor allem mit radikalen Äusserungen auf. Durch seine Debattenbeiträge, in denen er sich zumeist als Kreuzritter gegen einen "von Menschen gemachten Klimawandel" inszeniert, hat er sich rasch den Ruf eines Verschwörungstheoretikers eingehandelt. Gegenüber einem Journalisten der taz, welcher Hilse beim Besuch der UN-Klimakonferenz in Kattowitz porträtierte, räumte er auf Nachfrage ein, den Vizepräsidenten des "Europäischen Insitituts für Klima und Energie" (EIKE) Michael Limburg mit einer Viertel-Stelle in seinem Bundestagsbüro zu beschäftigen. In dem Artikel vom 15./16.12.2018 werden einige seiner immer wiederkehrenden Aussagen zur Klimapolitik widerlegt und das EIKE als Einrichtung beschrieben, die "in Deutschland seit Jahren die kleine Szene der Klimawandelleugner organisiert."

In einer Bundestagsrede, die Hilse am 28.06.2018 zum Thema "Rückkehr des Wolfes" hielt, sprach er sich zunächst u.a. für eine Artenbestimmung durch Schädelvermessungen bei Wölfen aus und brachte deren Neuansiedlung anschliessend mit der Einwanderungspolitik in Verbindung. Auf einer Kundgebung gegen den sogenannten "Migrationspakt" der UN am 11.11.2018 äusserte er, "dass dieser Pakt unserem Vaterland (…) endgültig den Todesstoss verpassen wird. Schon (…) seit Jahrzehnten sind in der UNO und vor allem in der Europäischen Union Kräfte am Werk, die die Nationalstaaten als Grundlage unseres Wohlstandes vernichten und letztendlich eine sozialistische Weltgemeinschaft etablieren wollen." Es sei geplant "hunderttausende, ja Millionen Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika legal in Deutschland anzusiedeln." (...) "Kein anderes Volk", ausser das Deutsche, sei "in so grossen Teilen von Gleichmut und teillweise sogar Selbsthass gegenüber dem eigenen Land, der eigenen Kultur und der eigenen Geschichte zerfressen." Ihm würde auf Grund der nationalsozialistischen Vergangenheit eine "Volksschuld aufoktroyiert". Hilses anschliessende Forderung nach einem "gesunden Patriotismus" quittierte das Publikum mit der aus der Neonaziszene stammenden Parole: "Heimat, Freiheit, Tradition - Multi-Kulti-Endstation". Wie u.a. die Dresdner Neusten Nachrichten vom 20.11.2018 berichteten, nahm der Berliner Staatsschutz im Nachgang der Veranstaltung Ermittlungen gegen ihn wegen des Singens eines Liedes gegen Angela Merkel auf.

Bei einer weiteren Kundgebung am 01.12.2018 hielt Hilse eine fast gleichlautende Rede und bekräftigte einmal mehr seine Nähe zu Pegida, wo sein "politisches Engagement" begonnen habe. Da sich wiederum zahlreiche Personen aus dem Neonazi- und Reichsbürger-Milieu im Publikum befanden, wirkte seine ebenfalls geäusserte Distanzierung von "Nazis" an diesem Tag besonders skurril. Der Verleger des Querfront-Magazins Compact, Jürgen Elsässer, hatte zudem in seiner Vorrede die Jugendorganisation der AfD (Junge Alternative) in einem Atemzug mit der rechtsradikalen Identitären Bewegung als "Neue Deutsche Freie Jugend" bezeichnet, auf die im "Widerstand" zurückgegriffen werden könne.

Hilses Engagement gegen den "Migrationspakt" in Berlin fand insbesondere in Bautzen einen öffentlichen Widerhall. Ein lokaler Ableger des Vereins "Mündige Bürger e.V." veranstaltete gegen Ende des Jahres insgesamt fünf Demonstrationen zum Thema, an denen sich mehrere hundert Personen beteiligten. Die ursprünglich von Engelbert Merz aus Bröthen bei Hoyerswerda gegründete Initiative setzt sich nach eigener Aussage "für mehr Demokratie und Mitbestimmung nach dem Schweizer Modell" ein. Tatsächlich entpuppte sie sich bereits vorher durch Merz Rednertätigkeit bei Pegida und ähnlichen Gruppen sowie ihre Facebook-Auftritte als weiterer Resonanzraum für die regionale "Wutbürger"-Klientel samt rechtsradikalem Anhang. Dementsprechend wurde, laut Sächsischer Zeitung vom 14.09.2018, schon vor einer offiziellen Bewerbung der ersten Kundgebung ein Aufruf in sozialen Netzwerken verbreitet, in dem von einer Demonstration "gegen kriminelle Asylanten und die Kuscheljustiz" die Rede war.

Trotz einer nachträglichen Distanzierung von "Extremisten" durch den Vereinsvorsitzenden Stephan Juros nahmen u.a. Mitglieder der Identitären Bewegung am 18.11.2018 mit Fahnen und eigenem Transparent an einer der Veranstaltungen teil. Zudem wurden nach Angaben der Opferberatung der RAA-Sachsen zwei Personen von Rechten aus der Kundgebung vertrieben. Wie die Sächsische Zeitung am 05.11.2018 berichtete, trat die IB-Gruppe aus Bautzen im Jahresverlauf 2018 mehrfach durch Propagandaaktionen in Erscheinung. Als während einer Lasershow im Rahmen der Einkaufsnacht "Romantica" ein 40 Meter langes Transparent gegen den "Migrationspakt" entrollt und Pyrotechnik gezündet wurde, nahm die Polizei Ermittlungen gegen 8 Männer u.a. "wegen des Verstosses gegen das Sprengstoffgesetz" auf. Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums hatte im September 2018 auch in Hoyerswerda ein Treffen von Akteuren der Identitären Bewegung aus Sachsen und Nordrhein-Westfalen stattgefunden, bei dem die Förderbrücke F60 besichtigt wurde. Bereits im Juni versuchten sie ein "Sachsengespräch" mit Ministerpräsident Michael Kretschmer in der Lausitzhalle zu stören.

Ein gutes Verhältnis pflegt Hilse ebenfalls zu seinem umstrittenen Parteikollegen Jens Maier, der zum völkisch-nationalistischen "Flügel" der AfD zählt. Der ehemalige Richter am Landgericht Dresden geriet Anfang 2018 wegen rassistischer Äusserungen auf seinem Twitteraccount in den Fokus der Staatsanwaltschaft und erhielt eine parteiinterne Abmahnung. Schon im Jahr zuvor waren berufliche Sanktionen wegen einer Verletzung des richterlichen "Mässigungsgebots" gegen ihn verhängt worden, nachdem er, laut Angaben der Welt-Online vom 19.01.2017, die NPD bei einer Rede in Dresden "als einzige Partei" bezeichnete, "die immer geschlossen zu Deutschland gestanden" habe. Unter dem Motto "AfD Bundestagsfraktion vor Ort" organisierten beide im letzten Jahr gemeinsame Diskussionsabende in Bautzen und Hoyerswerda, an denen, laut Sächsischer Zeitung, jeweils etwa einhundert Menschen teilnahmen.

Mit Blick auf die anstehende Kommunal- und Europawahl in Sachsen hat die hiesige AfD ihren Konfrontationskurs wieder etwas zurückgefahren und gibt sich betont bürgernah. Ihre "Kernpunkte zur Kommunalwahl" kreisen um Themen wie "Bürokratieabbau", "schlanker Staat", eine "Landarztquote für das Medizinstudium" und "Verkehrslärmsenkung". Im November 2018 wurden die lokalen Wahlkandidaten bekannt gegeben. Neben dem Pulsnitzer Autor Christian Schultze (Wahlkreis53 (u.a. Kamenz)) treten der Dachdeckermeister Timo Schreyer aus Königsbrück (Wahlkreis54 (u.a. Lauta, Bernsdorf, Wittichenau, Ossling)) und die Bilanzbuchhalterin Doreen Schwietzer aus Hoyerswerda (Wahlkreis 55 (u.a. Hoyerswerda, Lohsa, Elsterheide und Spreetal) an. Am Beispiel Hilses, der sein Image als sach- orientierter Politiker im letzten Jahr durch seine Themensetzung, zahlreiche Ausflüge an den rechten Rand und seine aggressive Rhetorik nach Leibeskräften demontiert hat, lässt sich ablesen, was die Region erwartet, falls die Partei an ihre bisherigen Wahlerfolge anknüpfen kann.

Konzerte, Kampfsport und Krawalle - Ostsachsen als neonazistische

Erlebnisregion

Neben Pegida-nahen und "neurechten" Strukturen sind in Ostsachsen weiterhin zahlreiche Neonazigruppierungen aktiv. In Hoyerswerda tritt die lokale Szene seit Ende 2015 vor allem unter dem Vereinsnamen "Deutschland muss leben e.V." (Dml) in Erscheinung, dessen Sitz sich in Greifswald befindet. Damals wurde, laut Auskünften des sächsischen Innenministeriums, "bei einer sogenannten ,Heldengedenkfeier' (…) ein Kranz mit der Aufschrift ,Widerstand Hoyerswerda Freie Kräfte Hoyerswerda Dml' niedergelegt." Ab 2016 fanden unter jenem Label zahlreiche weitere Veranstaltungen, Liederabende und eine Demonstration statt, an der etwa 60 Neonazis teilnahmen. Eine enge Verbindung zur örtlichen Fussball-Hooligangruppe "Black Devils" ermöglicht es den Beteiligten, deren Immobilie in der Strasse E im Industriegelände für Treffen und gemeinsame Rechtsrockkonzerte zu nutzen. Zu Auftritten neonazistischer Bands, die am 30.12.2017 und am 10.03.2018 in dem Gebäude ausgerichtet wurden, kamen etwa 70 bzw. 100 Personen.

Nach Angaben der Sächsischen Zeitung vom 22.10.2018 sind seit 2016 allein im Landkreis Görlitz mindesten 21 neonazistische Veranstaltungen organisiert worden. So spielte etwa am 02.12.2017 die überregional bekannte Cottbusser Band "Frontalkraft" einen Auftritt vor ca. 300 Personen in Horka bei Niesky. Seit 2017 wird auch eine Lagerhalle in Mücka regelmässig für Rechtsrock- Konzerte genutzt. Wie schwierig es ist, wirksam gegen lokal verankerte Strukturen vorzugehen, die über privat vermietete oder eigene Räume verfügen, zeigte sich im nahegelegen Weisswasser. Dort nutzte ein Ableger der Rocker-ähnlich organisierten und bundesweit agierenden Neonazivereinigung "Brigade 8" ein Gebäude in der Werner-Seelenbinder-Strasse als "Clubhaus". Wie die Lausitzer Rundschau am 21.06.2017 berichtete, erwarb die Stadt die ehemalige Gaststätte zwar vom Eigentümer, wodurch das bestehende Nutzungsverhältnis aufgehoben werden konnte. Doch nur kurze Zeit später fand die Gruppe auf der gegenüberliegenden Strassenseite eine neue Immobilie und setze ihr Aktivitäten fort. Neben weiteren Musikveranstaltungen führte sie am 02.12.2017 auch einen sogenannten "Zeitzeugenvortrag" mit der derzeit inhaftierten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck durch.

Mehrere neonazistische Grossevents mit internationaler Strahlkraft fanden im Jahr 2018 auf dem Gelände des "Hotel Neisseblick" in Ostritz statt, dessen Eigentümer Hans-Peter Fischer das Grundstück bereits seit 2012 an die NPD und andere rechtsradikale Akteure vermietet. Sowohl im April, als auch im November vergangenen Jahres konnte der Landeschef der NPD Thüringen Thorsten Heise dort das "Schild und Schwert"-Festival ausrichten. Die Verpflichtung namenhafter Szenebands und seine Verbindungen, die bis in militante Netzwerke wie Blood and Honour und Combat 18 reichen, sorgten dafür, dass nach Auskunft des Verfassungsschutzes etwa 1.300 (April) bzw. 800 (November) Neonazis aus dem In- und Ausland mobilisiert werden konnten und den kleinen Ort in den Ausnahmezustand versetzten. Laut einem Beitrag des ARD-Magazins Monitor vom 25.10.2018 fand im Oktober zudem eine eigenständige Veranstaltung der neonazistischen Kampfsportreihe "Kampf der Niebelungen" in Ostritz statt, an der etwa 700 Personen teilnahmen. Als Schirmherr traten dabei der Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla und Malte Redeker auf. Redeker gilt als führender Aktivist der Hammerskins und stellte in den vergangenen Jahren sein "Niederschlesisches Feriendorf" am Quitzdorfer Stausee für rechtsradikale Events zur Verfügung. In die weitere Organisationsstruktur waren sowohl wegen schwerer Gewaltverbrechen verurteilte Neonazis mit Kontakten zum rechtsterroristischen NSU, als auch Hooligans aus dem gesamten Bundesgebiet eingebunden, die sich etwa im September 2018 an den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz beteiligten. Recherchen des Internetblogs "runtervondermatte" zufolge nahmen auch lokale Neonazis an den Wettkämpfen teil. Kämpfer aus Cottbus und Spremberg, die im rechten Hooligan- und Türstehermillieu um die Firma "Boxing Security" aktiv sind, waren im Team "Black Legion" organisiert. Aus Bautzen traten Julian Menzel und Lucas Hartmann gegeneinander an, die dem Umfeld der Gruppe "StreamBZ" zuzurechnen sind.

Die regionale Neonazisszene nutze in den vergangenen Jahren sowohl Redekers, als auch Fischers Grundstücke u.a. als Austragungsort für das regelmässig stattfindende "Ostsächsischen Sport- und Familienfest". Im Jahr 2018 wurde das damit verbundene Rechtsrockkonzert indes im Festsaal "Zum Herrenhaus" im Weissenberger Ortsteil Nostriz durchgeführt. Eine massgebliche Rolle bei der Organisation spielte dabei Sebastian Raack, der im südbrandenburgischen Lindenau das neonazistischen Musik-Label OPOS-Records betreibt und ebenfalls in Blood und Honour-Strukturen eingebunden war. Er sponserte bei vergangenen "Kampf der Nibelungen"-Events ein Kämpferteam aus der Region Senftenberg durch seine Modemarke "Greifvogel Wear".

Dass sich Ostsachsen inzwischen wieder zum Hotspot für Szeneveranstaltungen entwickeln konnte, ist keineswegs nur den günstigen Ausgangsbedingungen durch die grosse Anzahl zur Verfügung stehender Immobilien geschuldet. Es liegt auch am fehlenden Willen und Unvermögen einzelner Kommunen wirksam auf rechte Tendenzen zu reagieren. Wie ein Bericht aus der vom Kulturbüro Sachsen herausgegebenen Broschüre "Sachsen rechts Unten 2018" zeigt, haben sich insbesondere in Bautzen über das letzte Jahrzehnt hinweg eine Vielzahl neonazistischer Akteure in die Stadtgesellschaft integrieren können. Rechtsradikale Hooligans trainieren beim örtlichen Boxverein "SV Post Germania", der Fussball-Club "SV Bautzen" wurde von einem Neonazigeschäft in Wilthen gesponsert, Mitglieder der ehemaligen Kameradschaft "Sturm 24" treten bei öffentlichen Veranstaltungen als Sicherheitsdienst auf. Dass deren nahezu nahtlose Integration in die Anti-Asyl-Proteste aus dem Pegida- und AfD- Umfeld sie schliesslich soweit bestärkte, im Herbst 2016 gezielt gegen Asylsuchende im öffentlichen Raum vorzugehen, war die logische Konsequenz ihrer Akzeptanz vor Ort. Ein ähnliches Lagebild ergibt sich beim Blick auf die Entwicklungen in Cottbus und Umland. Die zunehmende Vernetzung der regionalen Neonazi- Strukturen im Rahmen regelmässiger Szeneevents gibt allen Anlass zur Sorge.

Quellen:

"Das ist nicht mein Problem". Interview mit Hans-Peter Fischer auf sächsische.de vom 06.04.2018.

"AFD Bundestagsfraktion vor Ort" lockte knapp 100 Interessierte ins Bowlingcenter. Sächsische Zeitung vom 25.10.2018.

"Die Migranten sind ganz normale Leute". Lausitzer Rundschau vom 10.11.2018.

"Einfach Säure ins Gesicht schütten". Sächsische Zeitung vom 23.08.2018.

AfD eröffnet Bürgerbüro in Bautzen. Sächsische Zeitung vom 10.02.2018.

AfD gibt sich bei Parteitag in Hoyerswerda kämpferisch. Freie Presse vom 03.02.2018.

AfD-Präsentation: "Kernpunkte zur Kommunalwahl am 26. Mai 2019". Blaue Post BZ: Ausgaben 02.2018 / 04.2018 / 07.2018 / 08.2018 / 10.2018.

Bürgerbündnis bringt Menschen zusammen. Sächsische Zeitung vom 14.11.2018.

Damit die Integration besser gelingt. Lausitzer Rundschau vom 20.10.2018.

Der "Kampf der Nibelungen" 2018 - Eine erste Auswertung. Bericht des Internetblogs runtervondermatte.noblogs.org vom 26.10.2018.

Dresdner Richter preist öffentlich die NPD und Höcke. Welt Online vom 19.01.2017.

Ein Eindruck ist kein Fakt. Sächsische Zeitung vom 23./24.06.2018.

Erfolgsgeschichte seit fünf Jahren. Lausitzer Rundschau vom 22.11.2018.

Extrem gewaltbereit: Kampfsport in der rechten Szene. Beitrag des ARD-Magazins "Monitor" vom 25.10.2018.

Haben sie nur ein Thema, Herr Hilse? Sächsische Zeitung vom 18.01.2018.

Harig und Hirche: Kritik an Flüchtlingspolitik. Lausitzer Rundschau vom 15.06.2018.

Hilses Welt. taz vom 15./16.12.2018.

Hoyerswerdaer Asylheim vor der Schliessung? Lausitzer Rundschau vom 15.11.2018.

Illegales Plakat stört Lasershow. Sächsische Zeitung vom 05.11.2018.

Kinderunterhaltung, Sport und Rechtsrock. Artikel des ART-Dresden auf nazuwatchdd.noblogs.org.

Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen - Thema: Treffen der Identitären Bewegung am 15./16.09.2018 in Hoyerswerda, Drucksache 6/15460.

Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen - Thema: Neonazistisches Treffen am 29.12.2017 sowie neonazistisches Konzert am 30.12.2017 in Hoyerswerda, Drucksache 6/12734.

Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen - Thema: Fussballfangruppierung "Black Devils" Hoyerswerda, Drucksache 6/13188.

Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen - Thema: Verein "Deutschland muss leben", Drucksache 6/13187.

Keine Demo, sondern Gespräch. Sächsische Zeitung vom 14.09.2018.

Konspiratives Sport- und Familienfest in der Oberlausitz. Bericht auf endstation-rechts.de vom 17.09.2018.

Landtagswahl 2019: AfD nominiert Kandidaten. Sächsische Zeitung vom 14.11.2018.

Lied gegen Angela Merkel: Chemnizer Justiz stellt Ermittlungen ein. Dresdner Neuste Nachrichten vom 20.11.2018.

Linke von Kundgebung verjagt. Chronik-Meldung der Opferberatung der RAA-Sachsen vom 18.11.2018.

Menschen, die aus der Fremde kommen. Sächsische Zeitung vom 22.11.2018.

Mit harter Hand. Umstrittener AfD-Politiker Maier. Spiegel-Online vom 15.05.2018.

Mitschnitte der Reden von Karsten Hilse (AfD) auf den Berliner Kundgebungen "Nein zum Migrationspakt" vom 11.11.2018 und 01.12.2018.

Nazis, die zum Umsturz aufrufen. taz vom 19.10.2015.

Neonazis nutzen im Landkreis sieben Objekte. Sächsische Zeitung vom 22.10.2018.

Neues AFD-Büro. Sächsische Zeitung vom 26.07.2018.

Ostritz kämpft weiter gegen rechts - Sächsische Zeitung vom 26.10.2018.

Plenarprotokoll 19/42 Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht 42. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2018.

Rechte wechseln Strassenseite. Lausitzer Rundschau vom 21.06.2017.

Sachsen rechts unten 2018. Broschüre vom Kulturbüro Sachsen.

SPD-Kritik: Hilse verharmlost Gewalt. Sächsische Zeitung vom 25.08.2018.

Viel Arbeit für die Flüchtlingshelfer. Sächsische Zeitung vom 22.05.2018.

Zweites rechtsextremes "Schild & Schwert"-Festival in Ostritz. Bericht des Bundesamt für Verfassungsschutz.

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