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Aus der Geschichte gelernt?
Eine kritische Betrachtung deutscher Erinnerungskultur am Beispiel Dresden

"Was geschah, geschah. Aber dass es geschah, ist so einfach nicht hinzunehmen.
Ich rebelliere: gegen meine Vergangenheit, gegen die Geschichte, gegen eine Gegenwart, die das Unbegreifliche geschichtlich
einfrieren lässt und es damit auf empörende Weise verfälscht."
Jean Amery


Der Versuch, eine deutsche Nationalidentität zu rekonstruieren, bestimmt seit 1945 die öffentliche Debatte in Deutschland. Damit einher ging immer auch die Bestrebung ein unbelastetes Geschichtsbild zu etablieren. Waren es bis in die 90er Jahre die offensiven Ansätze den Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen, ist es seit der Berliner Republik gerade die Anerkennung deutscher Vergangenheit und die eigene Läuterung, aus welcher schamlos politischer Mehrwert gezogen wird - nicht trotz, sondern wegen Auschwitz führe Deutschland wieder Krieg. Denn man habe aus der Geschichte gelernt. Diese Geschichte, die Schuld, welche anerkannt wird, bleibt jedoch abstrakt und unkonkret. Das Interesse einer gegenwärtigen Geschichtsbetrachtung ist es gerade nicht deutsche Identität mit Täterschaft zu belasten. Stattdessen findet vor allem im institutionalisierten Gedenken eine Einebnung aller Differenzen statt - gedacht wird der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft von gestern und heute. Auch soll der eigenen Leiderfahrungen durch Vertreibung und Bombardierung gedacht werden. Beides vollzieht eine moralische Gleichsetzung von Täter_innen und Opfern durch das Ausblenden von Kausalitäten sowie politischer und historischer Kategorien.
Das jährliche Gedenken in Dresden anlässlich der Bombardierung der Stadt am 13./14. Februar 1945 erscheint in diesem Kontext als ein Beispiel für diese Entwicklungen im Diskurs um Erinnerung und Geschichte.
In vier Abendveranstaltungen werden deshalb zunächst die aktuellen Koordinaten des bundesdeutschen erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Diskurses beleuchtet um daran anknüpfend auf die Gedenkpraxis in Dresden einzugehen.


Die Nation der geläuterten Gedenkexpert_innen - Nivellierung, Gleichsetzung und Identitätsbildung im deutschen Erinnerungsdiskurs am Beispiel des neuen Bundesgedenkstättengesetzes
Claudia Krieg, Leipzig

Dienstag 20.01.09 19Uhr im TUD Hörsaalzentrum 403, Bergstrasse 64

Die kurze kritische Einführung in den deutschen Erinnerungsdiskurs beruht auf der Benennung der zentralen Funktionen und Bedeutungen von Erinnerung. Im Bezug auf das institutionalisierte Gedenken an die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands in der vereinigten BRD und dem darin aufscheinenden Zusammenwirken von Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik wird deutlich, wie sich die aktuelle Verfasstheit dieses Gedenkens vor allem durch Strategien der Nutzbarmachung von Geschichte für eine deutsch-nationale Identitätsbildung auszeichnet. Die Herstellung eines positiven kollektiven nationalen Bezugsrahmens und eine "Normalisierung" des Bildes der "deutschen Nation" nach Innen und Aussen manifestieren sich unter anderem dort aber auch auf anderen politisch-sozialen nationalen Feldern kollektiver und individueller Rekonstruktion von Erinnerung. Ein positiver Bezug zu einem Kollektiv entsteht dabei über den Ausschluss von Täter_innen und mithilfe der Betonung und Heraushebung des Opferaspekts. Diese Nivellierung des Opfersbegriffs ist wiederum Teil der "Normalisierung", die mithilfe von weiteren Relativierungen entsteht - in diesem Fall der NS-Verbrechen zugunsten von positiven Konnotationen deutscher Geschichte.

Das im Juni 2008 verabschiedete neue Bundesgedenkstättengesetz der Bundesregierung ist ein exemplarisches Beispiel für begriffliche Verschiebungen im Feld der bundesdeutschen Erinnerungs- und Gedenkstättenpolitik. Hier wird deutlich, wie sich unter dem Eindruck der fortwährenden Festschreibung von Totalitarismus- und Extremismustheorien die Täter-Opfer-Umkehr im Kontext der nationalsozialistischen Verbrechen längst vollzogen hat. Eine Betrachtung der zentralen Aussagen dieses Gesetzes soll überleiten zu einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungslinien, anhand derer zum Beispiel Günther Jacob im Bezug auf Gedenkstätten von "nationalen Weihestätten" spricht.


Gedenken in Dresden am Beispiel des 9. November
Gunda Ulbricht, Hatikva Dresden

Donnerstag 22.01.09 19Uhr im TUD Hörsaalzentrum 403, Bergstrasse 64

Im Gegensatz zum jährlichen Gedenken am 13. Februar ist das Gedenken anlässlich der Novemberprogrome am 9. November 1938 in Dresden weder so stark frequentiert noch Gegenstand intensiver Debatten und Auseinandersetzungen in der Stadt. Daran wird ganz praktisch deutlich, dass zugunsten der Ermöglichung eines positiven kollektiven nationalen Bezugsrahmens die Täter_innenperspektive in den Hintergrund rückt, während die Opferperspektive hervorgehoben wird. Möglich wird dies nicht zuletzt durch ein bis heute vermitteltes Geschichtsbild welches die nationalsozialistische Gesellschaft trennt in "die Nazis" einerseits, welche entweder vollkommen abstrakt bleiben oder sich auf die Führungsclique ala Guido Knopps Hitler's Helfer beschränken und andererseits in die "normalen Deutschen".
Um dieser These nachzugehen, beschäftigt sich die Veranstaltung mit dem gesellschaftlichen Diskurs um den 09. November in der DDR und im vereinigten Deutschland. Wie wurde die Reichsprogromnacht im Geschichtsunterricht der DDR vermittelt? Welche Auseinandersetzungen und Reflexionen fanden statt? Wurde der Tag als die Tat weniger SA- Leute oder als der gewaltsame Ausbruch vorhandener antisemitischer Ressentiments in der deutschen Bevölkerung behandelt? Wie hat sich das Gedenken an den 09. November im Zuge der Wiedervereinigung verändert? Diese Fragen gilt es in der Veranstaltung zu erörtern.


Dresden, 13. Februar - Die erinnerungskulturellen Auseinandersetzungen um Ritual- und Symbolstrukturen
aus der AkteurInnenperspektive
Claudia Jertzak, Dresden

Dienstag 27.01.09 19Uhr im TUD Hörsaalzentrum 403, Bergstrasse 64

"Hamburg, Dresden and Berlin will be forever trumped by Auschwitz, Sobibor, and Buchenwald.", schrieb 2002 ein Leser der us-amerikanischen Zeitschrift New Yorker und weist damit auf den Symbolwert der Dresdner Ereignisse hin. Aufzählungen dieser Art bestimmen nicht nur die Aussenwahrnehmung des Dresdner Gedenkens, sondern sie bilden ebenfalls ein Element der lokalen Erinnerungskultur. Das Dresdner Gedenken am 13.Februar wird massgeblich von lokalen Akteur_innen gestaltet, die darin ihre erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Vorstellungen verwirklichen. Die öffentliche Memorialkultur als Teil der Erinnerungskultur bedient sich einer Ritual- und Symbolstruktur, die sich in Folge von Auseinandersetzungen verändert. Dieser Prozess unterliegt seit der Wiedervereinigung 1990 einer grösseren Dynamik und ist noch nicht abgeschlossen. Die Auseinandersetzungen kulminieren in der Bestimmung der Sicherungsformen des kulturellen Gedächtnisses.

Der Vortrag erläutert diesen gegenwartsbezogenen funktionalen Gebrauch der Vergangenheit und daraus erwachsende Identitäten anhand der Dresdner Erinnerungskultur zu den Bombardements am 13./14. Februar 1945.
Welches Bild der Stadt im Nationalsozialismus verwenden die AkteurInnen? In welchem Zusammenhang stehen Versöhnungs-Topos und internationale Beziehungen? Dresden wird in eine epochenübergreifende Reihe von Stätten militärischer Zerstörung und Massenmordes mit je hohem Symbolwert gestellt. Wie nutzen die Akteur_innen diese architektonischen und medialen Deutungsversuche des historischen Ereignisses hinsichtlich des Bildes einer europäischen bzw. internationalen Opfergemeinschaft? Welche Rolle spielen Zeitzeug_innen?


Erinnerung und deutsche Geschichte in der medialen Verarbeitung -
Die neuen deutschen Histotainment-Event-Movies
Antonia Schmidt, Wuppertal

Donnerstag 29.01.09 19Uhr im TUD Hörsaalzentrum 403, Bergstrasse 64

Die Fokussierung auf Deutsche Opfer im Erinnerungsdiskurs der vergangenen Jahre wurde nun auch medial umgesetzt. "Historien-Filme" wie "Dresden", "Die Flucht" oder "Gustloff" brachten die Kollektivsymbole deutschen Leidens für ein Millionenpublikum auf die Mattscheiben. Diese 'event-movie's' verbinden Fiktion und Fakten, erzeugen so ein von der Realität abweichendes Geschichtsbild, welches jedoch aufgrund der Aufmachung volle Authentizität für sich in Anspruch nimmt. Sie offerieren ein Identifikationsangebot, welches ganz im Einklang mit dem Bedürfnis nach ungebrochener deutscher Identität, Unschuld und Leiden statt der Auseinandersetzung mit deutscher Schuld enthält. Damit sind diese Filme sowohl Ausdruck als auch Teil einer Transformation von Erinnerung.

Besonders das Melodram "Dresden" ist symptomatisch für das Verhältnis des ,wiedervereinigten' Deutschlands zur NS-Vergangenheit: Die Täterschaft Deutscher wird zwar durchaus thematisiert, Identifikationsangebot ist gleichwohl der Opferstatus. Gleichzeitig repräsentiert Dresden ein religiöses Verständnis von Schuld, die abgelöst vom Tatzusammenhang durch Busse abgeglichen werden kann. Entpolitisiert und enthistorisiert, ist das Identitätsangebot universal: der seinem Schicksal wie einem Naturereignis ausgelieferte Gute Mensch, an dessen situativen Entscheidungen sich sein Schuldigsein misst. Zentraler Mechanismus bei der Konstruktion dieses universalisierten Opferbegriffs ist die Trennung von dessen Konstitutionsbedingungen. Zur Bebilderung deutschen Leidens wird in Dresden neben der Ikonografie der Passionsgeschichte vor allem das kulturelle Bilderrepertoire von Holocaustrepräsentationen verwendet.

Der Vortrag analysiert die inhaltlichen und formalen Mittel, mit denen diese Viktimisierung filmisch umgesetzt wird und arbeitet anhand der Histotainment-Event-Movies die Mechanismen der Neuinterpretation deutscher Geschichte heraus.

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