Täterspurenmahngang - vom Histotainment zur politischen Forderung?
"Im Ergebnis der Kampagne müssen wir unsere veränderte, offenere Strategie gegenüber der Stadt als gescheitert ansehen. Es hat im Verhältnis zum Gedenken zwar auch im Verlauf dieser Kampagne Fortschritte gegeben (zum Beispiel die Anerkennung unseres Täterspurenmahnganges), wir müssen in einigen Punkten aber auch Rückfälle in längst überwunden geglaubte Debatten und Abläufe konstatieren - siehe Heidefriedhof, aber auch die Ergebnisse unserer Gespräche mit der "AG 13. Februar", in der seitens der AG-Vertreter_innen der bereits gesichert geglaubte Konsens wieder in Frage gestellt worden ist. Vor allem hat die von uns zugelassene Nähe zu Vereinnahmungstendenzen geführt, die uns Sorgen machen. Wenn suggeriert wird, das Bündnis Dresden Nazifrei wäre nur Teil eines grösseren
städtischen Gedenk- und Protestkonsenses, müssen wir dem klar widersprechen."
Dresden nazifrei, 16. April 2014
Der Dresdner Diskurs und die Akteur_innen der Erinnerung rund um den 13. Februar 1945 waren anfänglich sichtlich irritiert von der Form des Täterrundgangs und so kam es im Jahr 2011 sogar zu einer räumlichen Verlegung. Doch das Dresdner Gedenken ist ein Schwamm und kann so ziemlich alles aufsaugen. Ein wenig Kritik hier, ein wenig Asche auf das Haupt da, und dann wieder ruhig und würdig the same procedure as every year.
So geschieht es nun dem Täterspurenmahngang dass er in den Reigen der Gewollten aufgenommen wird. Unseres Erachtens liegen dem zwei Probleme zu Grunde:
Dresden war ein Ort der Täter, wie auch nicht?
Nur in Dresden kann aus der Tatsache der Täterschaft im Nationalsozialismus ein Politikum werden. Wo sonst kann sich historische Wahrheit so dissident gebärden? Im Grunde profitiert die Politik des Täterspurenmahngangs aus der totalen Bewusstmachungsblockade der Dresdner Bevölkerung. Der Unschulds-Mythos ermöglicht erst den Geschichtsunterricht über Täter_innenschaft in Dresden und die Manifestation eines anderen, neueren Gedenkens. Im 5. Jahr des
Täterspurenmahngangs wäre es unserer Meinung an der Zeit einmal auf dieses Paradoxon hinzuweisen!
Auf den Wandel des Dresdner Gedenkens wird von den Erinnerungsakteur_innen auch mit Bezugnahme auf den Täterspurenmahngang stolz verwiesen. Historische Wahrheiten dürfen genannt werden, zumindestens bis um 18 Uhr am 13. Februar jeden Jahres. Man wird den restaurativen Geist des Gedenkens los und kann jederzeit auf "unseren" Täterspurenmahngang verweisen.
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Das Eingemeinden funktioniert zudem über die Historisierung der Täter_innenschaft. Die Thematisierung bleibt bedingungslos. Sie vergisst die Folgen des Verbrechens und sucht keine Forderung um Restitution in der Gegenwart. Der Fingerzeig des Mahnganges "Da waren Täter_innen" reicht nicht.
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der damit einhergehenden Täter_innenschaft macht unseres Erachtens nur Sinn wenn die Spitzfindigkeiten der letzten 70 Jahre im Umgang mit der Täter_innenschaft Berücksichtigung finden: Schuldabwehr und Ignoranz. "Wenn in Deutschland - sowohl der Staat als auch die Menschen, die den Staat und die Institutionen repräsentieren - nach dem Krieg Reue empfunden hätten, hätte es Prozesse gegen die Täter_innen geben müssen.
Und Verurteilungen".¹
Ausserdem folgten dem Verbrechen - und eben jenes macht die Täter_innen zu Täter_innen - keine vollumfängliche Anerkennung der Schuld, keine Entschädigung der Zwangsarbeit, der zerstörten Biografien und dem unendlichen Leid. Daher muss die Thematisierung der Tat Folgen haben, alles andere ist ein Lippenbekenntnis und verhöhnt die vielen Opfer nochmals.
Wenn der Täterspurenmahngang eine politische Manifestation bleiben (werden) will und sich die Veranstalter_innen nicht auf die Abgrenzung vom städtischen Diskurs der Stadt verlassen wollen, wären sie gut beraten den Geschichtsunterricht unter freiem Himmel einzustellen und aus der Täter_innenschaft im Nationalsozialismus aktuelle politische Konsequenzen abzuleiten: Rückgabe aller Raubkunst aus deutschen Museen, Renten für alle Zwangsarbeiter_innen egal woher die Menschen kamen und unter welchen Bedingungen sie zur Arbeit gezwungen wurden. Die beste gesundheitliche Versorgung für die Verfolgten im Nationalsozialismus. Deutschland muss endlich die Massaker der SS als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkennen, die Verantwortung übernehmen und
Entschädigungszahlungen leisten.
Es gibt eine Vielzahl an Forderungen der Verfolgten und deren Angehörigen denen sich ein Täterspurenmahngang anschliessen kann. Die Täter_innenschaft im Nationalsozialismus muss erforscht werden, sicherlich aber nicht ohne die Konsequenzen aufs politische Tableau zu holen - sonst verlängert sich das Leid und das Unrecht der Verfolgten!
"Den Begriff Entschädigungen finde ich immerhin besser als das abscheuliche Wort Wiedergutmachung. Das ist gleichbedeutend damit, alle Scheusslichkeiten und Verbrechen als eine heilbare Krankheit anzusehen. Diese Kriegsverbrechen, diese Morde sind etwas Definitives. Die sind nicht wiedergutzumachen. Dass man im Nachkriegsdeutschland - ich weiss nicht, wo es diesen Begriff sonst noch gibt - dieses Wort wählte, ist schon eine Beschönigung für die Geschichte, für das, was im Nationalsozialismus geschehen ist."²
Spät aber nicht zu spät
Neben der zentralen Forderung nach Restitution für die Verbrechen sind weitere Politisierungen zu nennen. So startete im letzten Jahr die Kampagne "Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II". Sie ist eine Initiative des Simon-Wiesenthal-Centers und verfolgt den Zweck, die noch lebenden und bisher nicht verurteilten NS-Kriegsverbrecher_innen mit Hilfe der Bevölkerung aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Das Problem ist kein Historisches, noch müssen die Täter_innen nicht abstrakt verhandelt werden, noch können Sie verurteilt werden.
Bleibt der Täterspurenmahngang ohne Forderungen nach Konsequenzen und Veränderung, kann er kaum etwas Politisches für sich in Anspruch nehmen, sondern ist nicht mehr als Gedenken.
In diesem Zusammenhang wünschen wir uns ausserdem eine klare Kritik am Vorhaben der Busmannkapelle seitens des Täterspurenmahngangs. Man kann nicht einerseits auf die Täter_innenschaft in Dresden hinweisen wollen und es dann total ignorieren, dass eben jener durchschnittlichen Täter_innengesellschaft durch namentliches Erinnern sei es nun in Stein oder auf Papier gedacht werden soll.
Wir bleiben dabei, der 13. Februar birgt unzählige Probleme und hat keinerlei emanzipatorische Potentiale - deswegen gehört das Gedenken unseres Erachtens abgeschafft! Denn mit Sicherheit ist jedes dieser sehr wichtigen Themen besser an einem anderen Tag als am Spektakel des 13. Februar platziert.
¹ Argyris Sfountouris überlebte das SS-Massaker im griechischen Distomo
² ebenda
Autor_innenkollektiv Dissonanz, August 2014