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Staatsanwaltschaft tritt nach

Nach dem Bekanntwerden der insgesamt 25 Verfahrenseinstellungen gegen mutmassliche Mitglieder einer in Dresden verorteten "Antifa Sportgruppe" hat der leitende Oberstaatsanwalt Lorenz Haase noch einmal nachgelegt. "Dass es eine Gruppe gab, die für organisierte Übergriffe auf Rechte verantwortlich war", so Haase gegenüber der Chemnitzer Freien Presse, "steht ausser Frage". Die mehrere Jahre andauernden Ermittlungen hatten im Frühjahr 2010 nach insgesamt zwei Übergriffen auf vermeintliche Nazis in Dresden ihren Anfang genommen. Beide waren von bis heute unbekannten Personen angegriffen und zum Teil schwer verletzt worden, immer mit dabei, die Presse der sächsischen Landeshauptstadt, die sich mit ihrem eigenwilligen Verständnis von Journalismus nicht nur in diesem Fall wenig mit Ruhm bekleckerte. Das merkwürdige Rechtsverständnis der hiesigen Strafverfolgungsbehörden tat schliesslich ihr übriges. So waren es ausgerechnet Hinweise aus der lokalen rechten Szene, die die Staatsanwaltschaft zu einem Sportstudio in der Äusseren Neustadt führte. Plötzlich hatte eine der Phantasie der Ermittler entsprungene "Sportgruppe" auch ohne konkreten Tatverdacht einen vermeintlich direkten Bezug gefunden.

Die beiden Übergriffe seien nach Einschätzung von Haase "keine Zufallstaten" gewesen, aus diesem Grund sei mit den vor mehr als vier Jahren begonnenen und intensiv geführten Ermittlungen, die weit in das Privatleben der vermeintlichen Tatverdächtigen hineinreichten, der "Fahndungsdruck" erhöht worden. Doch obwohl dabei fast die komplette Bandbreite der zur Verfügung stehende Ermittlungswerkzeuge genutzt wurde, konnten bis zum heutigen Tag in keinem der Fälle konkrete Tatverdächtige ermittelt werden. Für Oberstaatsanwalt Haase allerdings kein Grund dafür, an seiner Theorie zu zweifeln: "Es gab eine Gruppierung, die, das haben die Ermittlungen auch ergeben, hierarchisch organisiert war. Es gab eine Führungsebene, eine mittlere Ebene und eine ausführende Ebene." "Wenn man in Palermo mafiöse Strukturen durchleuchten will, dann muss man in die Breite ermitteln." so beschrieb Haase vor drei Jahren das Vorgehen seiner Behörde im Kampf gegen jene "Antifa Sportgruppe", die ähnlich strukturiert gewesen sein soll, wie die Mafia im süditalienischen Palermo.

Dass beispielsweise auch der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König von den eifrig ermittelnden Beamtinnen und Beamten dieser Gruppe zugeordnet wurde, mutet fast schon komisch an. Er selbst hatte immer wieder beteuert, die der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung Verdächtigten überhaupt nicht gekannt und sie erst bei einem der zahlreichen Betroffenentreffen kennengelernt zu haben. "Da sassen dann praktisch Menschen, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen haben und haben festgestellt: ok, gegen uns, gemeinschaftlich, wird hier ermittelt. Wir sollen eine kriminelle Vereinigung gebildet haben, aber sehen uns heute eigentlich hier zum ersten Mal." so schilderte Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen die skurrile Situation bei den ersten von Soligruppen organisierten Treffen. Bei Lothar König sollte es Monate dauern, bis das Verfahren gegen ihn in der Causa "Sportgruppe" eingestellt wurde.

Die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel zeigte sich solidarisch mit den Betroffenen und forderte ebenso wie das Bündnis "Dresden Nazifrei" die Abschaffung des "Schnüffelparagraphen" §129. Grünen-Stadtrat Johannes Lichdi kritisierte die Ermittlungen als politisch motiviert: "Es ist offensichtlich, dass das LKA aus politischen Gründen eine linksextremistische Gewalttätergruppe herbeifantasiert hat. Der Öffentlichkeit sollte suggeriert werden, dass Sachsen kein Problem mit Nazis, sondern mit Linken hat." Lichdis Parteikollegin Eva Jähnigen warf der Staatsanwaltschaft vor, mit ihren Überwachungsmassnahmen "kritische Bürgerinnen und Bürger aus dem sogenannten 'linken Lager' zu überwachen und einzuschüchtern". Innenminister Markus Ulbig (CDU) forderte sie dazu auf, die in Zusammenhang mit den Protesten im Februar 2011 erfassten Verkehrs- und Bestandsdaten als "Signal der Wiedergutmachung" zu löschen.

Von der Jagd auf ein "Phantom" hingegen sprach der Fraktionsvorsitzende der Linken im neu gewählten Sächsischen Landtag, Rico Gebhardt. Seiner Ansicht nach habe die Dresdner Staatsanwaltschaft "auf gut Glück und ohne reale Grundlage" im linken Milieu ermittelt, anstatt sich auf die "Zerschlagung gewalttätiger Nazistrukturen zu konzentrieren". So waren in den Abendstunden der erfolgreichen Blockaden vom 19. Februar 2011 auch Räumlichkeiten der Partei auf der Suche nach einem so genannten "Gewalthandy" durch vermummte Spezialeinsatzkräfte der Polizei gestürmt und durchsucht worden. Die Aktion blieb jedoch ebenso erfolglos, wie die auch über die sächsischen Landesgrenzen hinaus bekannt gewordene Funkzellenabfrage tausender Menschen wenige Wochen darauf. Im Anschluss daran hatte die sächsische Justiz damit begonnen, hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Massenblockaden juristisch zu belangen. Erst kürzlich war mit Caren Lay die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken für ihre Teilnahme an den Blockaden vom Dresdner Amtsgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro verurteilt worden.

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