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Folter ist unter keinen Umständen rechtfertigbar oder entschuldbar
Resolution des Netzwerkes Stop Torture

Es ist erschreckend, wie einfach es gelingen konnte, anhand eines emotionalisierenden Einzelfalles das Thema Folter in der Öffentlichkeit wieder diskutabel erscheinen zu lassen. Die UnterzeichnerInnen dieser Erklärung wenden sich gegen jede Form der Rechtfertigung oder Entschuldigung staatlicher Folter oder Folterandrohung und weisen zugleich darauf hin, dass der vorliegende Einzelfall gerade nicht als Beispiel eines tragischen Konflikts zwischen persönlichem Gewissen und rechtlichen Anforderungen taugt, sondern dass der Fall mit dem Ziel der öffentlichen Debatte (und damit Enttabuisierung) über die Rechtfertigung staatlicher Folter bewusst lanciert worden ist.

Der Staat, der sich selbst zum "Rechtsstaat" ernennt, tut dies u.a. mit der Begründung, dass zum einen die Gewalt beim Staat monopolisiert ist, zum anderen aus diesem Monopol zugleich Gewaltbeschränkung erfolge. Zu diesem Zwecke existieren insbesondere Grund- und Menschenrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Dabei wird unterschieden zwischen Grundrechten, die zwar 'prinzipiell' gelten, Eingriffe in besonderen normierten Situationen aber zulassen, und absoluten Grundrechten, bei denen ein Eingriff eine solch unmittelbare Verletzung der Menschenwürde darstellen würde, dass sie eines Rechtsstaats unter keinen Umständen würdig sind, wie etwa im Falle der Todesstrafe.

Das Folterverbot im nationalen wie im internationalen Recht gilt absolut. Die bei der Folter frontal angegriffene Würde des Menschen ist nicht "abwägbar" gegen andere Rechtsgüter.

Ein Staat, der sich selbst als "Rechtsstaat" versteht, verzichtet - im Gegensatz zu Systemen offener Willkürherrschaft - auf das die Menschenwürde negierende Element der Folter. In dem Moment, in dem der Staat die von ihm selbst ausgehende Bedrohung mit oder die Anwendung von Folter - und wenn auch nur in einem "Einzelfall" - als "gerechtfertigt" oder "entschuldigt" gelten lässt, kündigt er das kategorische Versprechen auf, das in seine Hände gelegte Gewaltmonopol nur in - eben "rechtsstaatlichen" - Grenzen zu gebrauchen. Der Staat verzichtet damit auf ein konstitutives Element des "Rechtsstaates". Er hört auf, "Rechtsstaat" zu sein.

Die dieser Tage wieder lauter werdenden Stimmen, die für die normierte Wiedereinführung der Folter werben, versuchen sich an - bisher nie dagewesenen - Extrembeispielen von chemischen oder Atom-Bomben besitzenden Terroristen abzuarbeiten. Dies ist der Versuch, über Emotionen die rationale Erkenntnis, dass "Rechtsstaat" und Folter niemals in Übereinstimmung zu bringen sind, beiseite zu schieben. Es ist der Versuch, den klaren Blick für das, was Folter für die Gefolterten bedeutet, zu trüben. Es ist der Versuch, die unerträgliche Fratze eines Staates, der sich anmasst, die Menschenwürde in ein mathematisches Verhältnis zu anderen Rechtsgütern zu setzen, erträglich zu schminken. Dies ist nicht zuzulassen.

Selbst für den Fall, dass in einer - tatsächlich kaum vorstellbaren - Extremlage, in der ein Polizeibeamter für sich persönlich in höchster Gewissensnot keinen anderen Ausweg als Folter sieht, um zahlreiche Menschenleben zu retten, bliebe die Folter als Instrument staatlichen Handelns - selbstverständlich - weder rechtfertigbar noch entschuldbar (davon unabhängig ist der menschlich verständliche Wunsch persönlich Betroffener nach Anwendung 'aller Mittel'). Ein solches staatliches Vorgehen bliebe damit - selbstverständlich - nach den vom "Rechtsstaat" selbst geschaffenen Regeln strafbar. Lediglich hinsichtlich der Frage des Umfangs der Schuld könnte hierauf adäquat reagiert werden, sei es durch Einstellung des Verfahrens, durch "symbolische" Strafen oder über den Weg des Gnadenrechts.

Im vorliegenden Fall aus Frankfurt ist aber das Mass der Schuld gerade nicht gering. Im Gegenteil: Der Vizepräsident der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, hat seine Anweisung, mit Folter zu drohen und sie ggf. durchführen zu lassen, als verbindlichen Befehl verstanden, also als reguläres Mittel polizeilichen Handelns. Der Vize-Präsident hatte nach eigenen Aussagen keinen Kontakt zu dem mutmasslichen Täter, liess sich über die Ergebnisse der Verhöre und über die Psyche des mutmasslichen Täters nur durch Dritte informieren, da es "polizeilicher Grundsatz" sei, "wenn man schwerwiegende Entscheidungen treffen muss, sich nie ins Detail einzumischen" (Daschner) - um einen 'kühlen Kopf' zu wahren. Wer aber mit einem solchen kühlen Kopfe Folterdrohung und Folter als "polizeiliche Massnahme" (Daschner) befiehlt, steht - weit - ausserhalb der sich vom "Rechtsstaat" selbst auferlegten Grenzen. Wer einerseits 'polizeiliche Grundsätze' aufrechterhält und nicht einmal den 'zu Folternden' selbst in Augenschein nimmt, sich zugleich aber "sehenden Auges" (Daschner) über Grundgesetz, Europäische Menschenrechtskonvention und die Anti-Folter-Konvention der VN hinwegsetzt, handelt aus kalter Berechnung heraus.

Gerade diese Konstellation lässt eben keinen Spielraum, hier einen vom Gewissen geplagten Menschen zu erkennen, der im Moment seines Handelns zwar auch "zufällig" Polizist, aber dessen Handeln höchstpersönlicher und eigenverantwortlicher Natur war. Wolfgang Daschner hat auch wiederholt angekündigt, in einer vergleichbaren Situation erneut so zu handeln. Der Präsident der Frankfurter Polizei, Harald Weiss-Bollandt, erklärte: "Ich billige das Verhalten meines Stellvertreters in vollem Umfang." Damit ergibt sich zwingend die Aussage, dass bei der Frankfurter Polizei Folter als Instrument staatlichen Handelns gebilligt und als gerechtfertigt angesehen wird. Solange Daschner und Weiss-Bollandt im Amt sind, solange hat der "Rechtsstaat", auch offiziell, zumindest eine Pause eingelegt.

Besonders schlimm ist, wie einfach es - über den Weg der Emotionalisierung - gelingen konnte, die Öffentlichkeit über die Motive der Frankfurter Polizei zu täuschen. Wenn sich Daschner geradezu damit brüstet, ein Verfahren wegen Aussageerpressung (Verbrechen) riskiert zu haben, und doch zugleich sorgfältigste Vorbereitungen dafür getroffen hat, unter diesem Straftatbestand 'durchzurutschen' und insofern eine Gesetzeslücke auszunutzen; wenn Daschner redselig darüber Auskunft geben kann, welche - keine Spuren hinterlassende - Foltermassnahme von wem und wie lange anzuwenden ist, bis die gefolterte Person sprechen wird; wenn Daschner neue Gesetze fordert, um Handeln wie seines nicht nur als 'ausnahmsweise nicht verboten', sondern als 'eindeutig zulässig' normieren zu lassen - dann ist klar, dass es hier von Anfang an darum ging, einen 'geeigneten Fall' zum Testballon dafür zu machen, was in Zukunft an Foltermassnahmen eben nicht nur im Verborgenen, sondern auch in der Öffentlichkeit möglich sein könnte.

Schon vor dem 11.09.2001 hatte insbesondere der Heidelberger Jurist Prof. Winfried Brugger jahrelang geradezu verzweifelt für die Folter geworben - allerdings mit der Einschätzung, dass eine Gesetzesänderung kaum zu erwarten sei. Er hoffte auf einen Präzedenzfall, bei dem die Beamten seinen Vorgaben folgen, die Öffentlichkeit dann auf der Seite der Folterer stehen und die Gerichte einen juristischen Ausweg finden würden. Wolfgang Daschner hat insofern geradezu einen Lebenstraum von Winfried Brugger erfüllt. Was Brugger in seinem letzten diesbezüglichen vor den Frankfurter Ereignissen verfassten Aufsatz im Jahr 2000 noch nicht wissen konnte, war, auf welch fruchtbaren Boden dieser Präzedenzfall nach dem 11.09.2001 treffen würde. Die Folterdebatten in Israel und insbesondere in den USA haben den Fingerzeig dafür gegeben, was auch hierzulande vermutlich möglich sein würde. Hierüber ist nun Gewissheit eingetreten.


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