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Deutscher Frieden - vom Hindukusch bis Bagdad

Die plötzlich hereinbrechende Konsequenz nationalstaatlicher Realität unter den Bedingungen des Kapitalismus hat gezeigt, wie regressiv der grösste Teil der deutschen Friedensbewegung ist und eigentlich schon immer war. Es war zu Zeiten der Blockkonfrontation schon staatstragend, einfach mit dem Finger auf die anderen (USA und UdSSR) zu zeigen, fiel aber nicht so auf, weil die deutschen Staaten aussenpolitisch glücklicherweise nahezu bedeutungslos waren.

Jetzt, nach einigen Jahren auch militärisch unterstützter Interessenspolitik hat die vereinigte Bundesrepublik ihren Einfluss vergrössert, konkurriert sie mit anderen Staaten weltweit um Hegemonie. Wir erinnern uns: nachdem die BRD und andere Staaten Europas nur einen Teil der Staaten des zerfallenden Jugoslawien anerkannte, brach dort ein übler Bürgerkrieg aus, der nur unter Mithilfe der Vereinigten Staaten unter UN-Mandat einzudämmen war. Diese Schlappe wurde ein paar Jahre später wieder ausgemerzt. Nach einer Weile Destabilisierungspolitik gegen Restjugoslawien und der Ausrüstung einer terroristischen Untergrundguerilla (UCK) und Ausbildung ihrer Offiziere durch hauptsächlich die Bundeswehr und die GSG9 rief die innerhalb kürzester Zeit neuerschaffene Ethnie der "Kosovo-Albaner" ihre Unabhängigkeit aus, welche Milosevic militärisch zu verhindern suchte. Also rief die Bundesregierung (der gleiche Fischer und der gleiche Schröder wie jetzt) den "übergesetzlichen Notstand" aus und bombardierte "völkerrechtswidrig" (dazu später) die "fötengrillenden Serben" um "ein zweites Auschwitz" bzw. später die "Operation Hufeisenplan" zu verhindern. Die ganzen Schauermärchen stellten sich später als frei erfundene Luftnummern heraus, aber nach der Militärintervention war die D-Mark offizielle Währung im Kosovo, die deutsche Wirtschaft profitiert noch immer davon, in Kroatien, Slowenien, Mazedonien, Bosnien und im Kosovo die Infrastruktur wieder aufzubauen, nicht zu vergessen die andauernde militärische Präsenz. 1999 protestierten gegen den Jugoslawienfeldzug der BRD nicht mal ein Zehntel der Leute, die zur Zeit gegen den neuen Golfkrieg bzw. gegen die USA protestieren. Man kackt halt nicht ins eigene Nest.

Das was in diesem (wie jedem) Krieg das wirklich schlimme ist, nämlich die Tötung und Verletzung unzähliger, die von beiden Kriegsparteien nicht wirklich viel halten, wird von vielen Friedensbewegten mal eben im Nebensatz abgehandelt. Die Regeln der Kriegslogik, nur zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, werden von vielen mit umgekehrten Vorzeichen einfach reproduziert. Nicht die autoritäre Struktur der Akteure sind Gegenstand des Interesses, sondern die vielfältigsten Projektionen auf ihre Anführer. Das Zählen gefallener irakischer ZivilistInnen ist zynisch angesichts dessen, dass sich dort wahrscheinlich kaum jemand raussuchen kann, ob er oder sie "Zivilist" oder "Soldat" ist.

Was alle ständig betonen ist die vermeintliche "Völkerrechtswidrigkeit" dieses Krieges, wahrscheinlich hätten sie kein Problem damit, wenn ein Krieg unter Einhaltung aller Rechtsvorschriften geführt würde (geht das?). Es bleibt die Frage, warum nicht der Tod von Gerhard Schröder gefordert wurde (der von Bush wird es), wieso Fischer nicht auf jeder dritten Karikatur mit nasenbreitem Bart dargestellt wurde oder warum damals zwar in allen Restaurants die "serbische Bohnensuppe" von der Karte verschwand, aber der Absatz von "Deutschländer Würstchen" ungebrochen war.

Offensichtlich ist im Moment nicht viel Platz für progressive Argumente, stattdessen regieren die dumpfen nationalchauvinistischen Ressentiments. Die Boykottaufrufe gegen "amerikanische" Waren werden überboten von beliebig dummen Bush-Persiflagen, die Akzeptanz von Saddam Hussein und seinem Ba'th-Regime wird mit Irak-Flaggen und wüsten Beschimpfungen gegen die USA dokumentiert.

Auch eine Spezialität vieler DresdnerInnen, der Geschichtsrevisionismus, hat Konjunktur: während die altbekannte Identifikation als Opfer alliierter Bomber schon zu erwarten war (was uns jetzt sogar die Forderung nach einem Überflugverbot für Dresden beschert hat), und der auch überregional beliebte Bush-Hitler-Vergleich hoffentlich von niemandem ernst genommen wird, übt die PDS in Gestalt ihrer Landesvorsitzenden Cornelia Ernst den Schulterschluss mit Rechtsaussen. So entblödete sich die Geschichtslehrerin (sic!) nicht, in ihrer Pressemitteilung zum Kriegsbeginn von einer "Blut-und-Boden-Politik der US-Administration" zu schwafeln.

Dass es unter den Bedingungen der Existenz von Staaten und Kapitalismus immer wieder zu Kriegen kommen wird, sollte niemanden besonders verwundern, der kein Problem damit hat, in einem Staat zu leben. Folgerichtig wäre eine radikale Kritik am Krieg gleichzeitig und zuallererst eine radikale Kritik am Staat, und zwar am "eigenen". Was erleben wir aber? "Weiter so, Gerhard!" (Transpi-Aufschrift auf einer Friedensdemo)

Es ist abzusehen, dass die versprochene Freiheit im Irak so nicht kommen wird, wie sie auch in Afghanistan so nicht gekommen ist. Der Zeitpunkt für die Entmachtung Husseins ist so beliebig, wie die Chance für die USA günstig war: die IrakerInnen sind den Kriegsparteien egal.

Dass Staaten ihre Interessen auch militärisch vertreten, wenn sie können, folgt aus ihrer Existenz. Dass sie dies auch ohne Krieg tun, wenn sie können, folgt aus dem kapitalistischen Effizienzprinzip. Kein einziger Staat wird mit dem vehementen Ruf nach "Frieden" seine wirtschaftlichen Beziehungen gefährden, wenn er nicht Interessen in dieser Form des Friedens hätte, die dies aufwiegen würden. Dass die BRD politisches oder wirtschaftliches Interesse daran haben könnte, dass die USA in Nahost an Einfluss verlieren, oder dass kein Krieg im Irak stattfindet, ignorieren viele. Das ist naiv, doch diese Naivität hat Methode, denn gleichzeitig identifizieren sie die Interessen der USA und entrüsten sich, scheinbar überrascht, darüber, dass der Krieg nicht geführt wird, um irgendwelchen Leuten "die Freiheit zu bringen". Diese ist allenfalls ein Nebenprodukt, dass sich auch nur in ein geschränkter Form (immerhin) einstellen wird.

Glaubt man einem offenen Brief irakischer Oppositioneller vom 23.3., so sind seit 1979 eine Million Menschen durch das Ba'th-Regime getötet worden, unabhängig von den Sanktionen der UN. Wer angesichts dessen Nichteinmischung fordert, muss sich fragen lassen, warum er nationale Integrität höher schätzt als fast 115 Tote täglich. Und wird sich, in die Vergangenheit geschaut, verblüfft an der Seite der USA wiederfinden, welche die militärische Beendigung der mörderischen Herrschaft von Pol Pot und seinen Roten Khmer in Kambodscha 1978 durch Vietnam als "völkerrechtswidrig" schärfstens verurteilt haben.

Was klarstellt, unter welchen Bedingungen dieser Krieg nachträglich vielleicht als das kleinere Übel betrachtet werden könnte: wenn als "Kollateralnutzen" tatsächlich Hussein und seine Clique davongejagt werden und die Leute im Irak ein Stück mehr von ihrem Leben haben.


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